Opfermond

Wenn Sand durch die Straßen weht, die Hitze einen erdrückt und der Blutige Gott die Mächtigen belohnt und die Schwachen sich selbst überlässt, dann befindet man sich in Ghor-el-Chras. Die Stadt und ihre verschiedenen Viertel ist der Schauplatz von Opfermond, des Debüts von Elea Brandt, und erschien 2017 im Mantikore Verlag. Seit dem 5. März 2018 findet man den Titel auch auf der Longlist des Deutschen Phantastik Preises – ein Grund mehr, um ihn sich genauer anzusehen.

    

In Ghor-el-Chras richtet sich das Leben nach dem Gott Chras – des Blutigen. Die Priester gewinnen magische Kräfte durch das Vergießen von Blut und jeder kennt die Unbestechlichen, Assassinen, die einen Blutschwur geleistet haben, um Chras zu dienen. Varek ist einer dieser Unbestechlichen, die als Abschaum gelten und sogar ein noch schlechteres Ansehen als die Huren und Freier des Stadtteils Sha-Quai besitzen. Man beauftragt ihn wie die anderen seines Schwures als Auftragsmörder, eine Tätigkeit, die ihm zutiefst zuwider ist. Umso erleichterter ist er, dass er bei seinem neuen Auftrag einen Mord aufklären soll anstatt ihn zu begehen.

Zielgerichtete Stadtarchitektur

 
Originaltitel Opfermond
Ursprungsland Deutschland
Jahr 2017
Typ Roman
Genre Fantasy
Autorin Elea Brandt
Verlag Matikore Verlag

Opfermond kennt nur einen Handlungsort, doch dieser ist gut durchdacht. Man merkt auch durch Bemerkungen der Figuren, dass die Welt noch größer ist, jedoch ist es nicht nötig, diese kennenzulernen. Errichtet auf den Ruinen einer früheren Stadt, befindet sich in der Mitte der Tempel des Chra, den man nur über einen abenteuerlichen Weg erreicht. Als Varek gegen Ende des Buches dorthin muss und einen gerade einmal fußbreiten Steg überqueren muss wurde mir allein beim Lesen etwas schwindelig. Hier wohnen auch die reichsten und mächtigsten Personen, unter ihnen Vareks Auftragsgeber Rashach dai Mahal. Es folgt kreisförmig darum angelegt Sha-Nuri, wo, verglichen mit unserer Welt, der Mittelstand wohnt. Unter ihnen auch Varek. Den letzten Ring bildet Sha-Quai – ein heruntergekommenes Viertel, in dem die meisten Menschen mithilfe von Hurerei oder Diebstählen überleben müssen, hier lebt auch Idra, die zweite wichtige Figur des Romans.

Detailreicher Figurenaufbau

Nicht nur die (Stadt)Welt ist durchdacht, sondern auch die Figuren strotzen nur so vor Leben. Hinweise auf ihre Vergangenheit bieten gute Gründe für ihr Handeln. So geizt Idra, als einzige Zeugin des Mordes, den Varek aufklären soll, mit ihren Informationen, wenn die Bezahlung nicht stimmt. In einer Stadt, die sie abgehärtet hat, denkt sie an ihr eigenes Überleben und kämpft für eine bessere Zukunft, so schwer sich diese auch unter der Fuchtel ihres Zuhälters erträumen lässt. Nur wenig ist ihr wichtig und selbst das scheint ihr nicht vergönnt zu sein. Sie ist nicht auf den Mund gefallen und weiß, sich in ihrer Welt zu behaupten. Varek lernen wir direkt durch einen Auftragsmord kennen und bekommen bereits hier seine Vergangenheit angedeutet. Warum er sich gezwungen sieht, als Unbestechlicher zu töten, obwohl er sich nie daran gewöhnen konnte, das Leben anderer zu nehmen. Er ist ein Charakter voller Schattierungen, bedacht auf Ehre und Anstand, die er vor seinem Fall zum Unbestechlichen gelernt hat, auch wenn ihn seine Taten keine Ruhe lassen und die Schatten stets nach ihm zu greifen scheinen.

Kult und Gegenkult

Schnell wird klar, dass in Ghor-el-Chras nicht alles rosig ist – sieht man von den offensichtlichen Dingen wie einen komplett zerstörten Stadtteil und der extrem darwinistischen Einstellung der Bewohner der Stadt ab. Denn tief verborgen in den Katakomben treffen sich die Anhänger eines längst vergessen geglaubten Kultes. Dass sie nicht schon eher zerschlagen wurden liegt nur an der absoluten Geheimniskrämerei, doch auch in der verschwiegensten Gesellschaft gibt es Lücken. Bald erfährt Idra von der Käferkönigin Ulthai, in deren Namen bereits viele Menschen des Elendviertels geopfert wurden und deren Macht am Opfermond vollständig wiederhergestellt werden soll. Doch nicht nur die Anhänger Chras haben etwas gegen den unliebsamen Nebenbuhler, auch so mancher Mitwissende bekommt Skrupel …

Tempo, Tempo, Tempo

Den Einstieg machen direkt die Morde, auf denen die Geschichte aufbaut, ohne zu viel über das genaue Geschehen zu verraten. Dadurch ist der Leser direkt neugierig und verfolgt Varek und Idra gespannt, wie sie sich aufeinander zu bewegen. Dabei führt uns die Autorin geschickt durch Schlägereien, Ermittlungen, unpeinliche Sexszenen (das ist eine hohe Kunst!) und magischen Ritualen auf den titelgebenden Opfermond zu. Es wird auf keiner Seite langweilig und die einzelnen Puzzleteile um den Mord und die Hintergrundgeschichte und Beweggründe der Hauptfiguren werden geschickt eingesetzt, um am Ende ein spannendes und blutiges Bild zu ergeben. Was erwartet man anderes in einer Stadt, die einem Blutgott huldigt?

Ich hatte sehr viel Spaß beim Lesen von Opfermond – und passenderweise hat es etwas Wüstenflair in die Winterzeit gebracht. Allerdings liegt da auch einer meiner wenigen Kritikpunkte: ich hätte mir gern noch mehr Atmosphäre gewünscht. Varek erzählt immer wieder, dass es so warm ist, dass er ins Schwitzen kommt (was allerdings Sympathiepunkte gibt, meistens scheinen die Figuren in Romanen menschliche Körperreaktionen nicht zu kennen), aber gerade hier fehlte mir hier die Beschreibungsvielfalt der Autorin. Da hätte mich das Lesen gerne an die Sommer in meiner Dachgeschosswohnung erinnern dürfen. Das Debüt von Elea Brandt bietet einen spannenden Mix aus Fantasy und Thriller, der mit tollen Ideen – die manchmal auch sehr blutig waren, wie zum Beispiel, als Vareks Zwillingsbruder Askar durch das Schlüpfen tausender Skarabäen in seinem Körper starb – und lebensnahen Charakteren überzeugt. Außerdem rechne ich es Elea Brandt hoch an, dass sie mutig mit dem Thema Tod umgeht. Besonders macht mein Exemplar die persönliche Widmung der Autorin, über die ich mich seit dem BuCon 2017 freue!

MadameMelli

MadameMelli ist im Berufsalltag als Informationsninja unterwegs und hilft Suchenden, die passende Literatur zu finden. In ihrem Freundeskreis ist sie als Waschbär bekannt und dementsprechend ist auch kaum ein Buch, Manga oder Comic (oder Tee) vor ihr sicher – alles wird in die Hand genommen, begutachtet und bei Gefallen mit nach Hause geschleppt. Nur nicht gewaschen, das wäre zu viel des Guten. Sinniert gerade darüber, ob es als Waschbär sehr gefährlich ist, Wölfe zu lieben, lässt sich davon aber nicht abhalten und schreibt in ihrer Freizeit selbst Geschichten. Manchmal auch über Wölfe. Oder Tee.

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