Auslöschung

Manchmal katapultieren sich Filme weit vor ihrem Start ins Rampenlicht. So ein Fall ist Auslöschung von Alex Garland, der für sein Regie-Debüt Ex Machina auf Anhieb einen Oscar erhielt. Dementsprechend heiß ersehnt war sein Zweitling, bis die Meldung überraschte, dass der Film nun doch nicht ins Kino, sondern seine Premiere bei Netflix feiern würde. Zu intellektuell sei der Stoff, der das Publikum bei den ersten Testscreenings nicht mitreißen konnte. Debatten um die Zukunft des Kinos entbrachen und Kritikerstimmen lobten die Alternativplattform dafür, dass diese sich schwierigerer Erzählstoffe jenseits der üblichen Konventionen Hollywoods annimmt. Doch was ist eigentlich dran an Auslöschung?

  

Vor einem Jahr ist der Ehemann von Lena (Natalie Portman, V wie Vendetta) auf eine unbekannte Mission aufgebrochen. Seitdem hat sie nichts mehr von ihm gehört und verschiedene Phasen des Loslassens durchlaufen. Als sie im Begriff ist, das Schlafzimmer neu zu streichen, steht Kane (Oscar Isaac, Star Wars: Episode VIII – Die letzten Jedi) wieder auf der Matte. Wenngleich er lethargisch wirkt und nichts zu erzählen weiß. Kaum am Ziel, bricht er zusammen, was Lena veranlasst, den Notarzt zu rufen. Doch auf dem Weg ins Krankenhaus wird der Krankenwagen von einem SUV abgepasst. Als Lena wieder zu sich kommt, findet sie sich in einer Zelle wieder, die sich im Southern Reach Institut befindet. Die Psychologin Dr. Ventress (Jennifer Jason Leigh, The Hateful Eight) offenbart Lena, dass Kane bislang der einzige ist, der lebend von einer besonderen Erkundungsmission zurückgekehrt ist. Lena verpflichtet sich, die nächste Expedition zu begleiten und wird Teil eines Damenquintetts, das in ein Sperrgebiet aufbricht. Das an den Regenwald erinnernde Gebiet bringt jedoch unerwartet schnell Gefahren mit sich…

Kein Stoff für Millionen… oder doch?

Originaltitel Annihilation
Jahr 2018
Land USA
Genre Science-Fiction
Regisseur Alex Garland
Cast Lena: Natalie Portman
Dr. Ventress: Jennifer Jason Leigh
Anya Thorensen: Gina Rodriguez
Cass Sheppard: Tuva Novotny
Josie Radek: Tessa Thompson
Kane: Oscar Isaac
Katie: Sonoya Mizuno
Lomax: Benedict Wong
Laufzeit 115 Minuten
FSK

Man merkt es Auslöschung nicht sofort an, doch der Film ist lediglich der Auftakt einer größeren Erzählung, die ihren Ursprung in der Southern Reach-Trilogie findet, welche drei Romane zählt. Jeff VanderMeers Erstling ist also Auslöschung, gefolgt von den beiden Büchern Autorität und Akzeptanz. Zunächst sei gesagt, dass die visuelle Komponente des Films sehr ansehnlich ausgefallen ist, was den fehlenden Leinwandstart mit einem etwas faden Geschmack begleitet. Dafür wird der Film durch sein Debüt auf Netflix gleichzeitig einem Massenpublikum bekannt, was ein wenig paradox ist. Schließlich sollte der Film einer großen Zuschauerschaft im Kino vorenthalten werden. Um es den Zuschauern leichter zu machen, nimmt der Film Ereignisse der folgenden Bücher vorweg und klammert sich nicht an seine Vorlage. Alex Garland hat den Titel demnach frei interpretiert.

Betörend verstörend

Schnell wird klar: Trotz ihrer Präsenz als undurchsichtige Wissenschaftlerin kann Jennifer Jason Leigh nicht mit Natalie Portman Stand halten. Diese zeigt sich gleich von mehreren Seiten: als liebende Frau, Kämpferin und als Biologin. Sie bildet die einzige Konstante in einer sich stetig verändernden Umwelt und teilt auch nicht jeden ihrer Gedankengänge mit den anderen Teammitgliedern. Die emotionale Bandbreite, die sie widerspiegelt, ist bemerkenswert und macht Lena zu einer Hauptfigur, mit der man nur schwer nicht sympathisieren kann. Die Herausforderung, die sich für den Zuschauer ergibt: Der Film bewegt sich auf gleich drei verschiedenen Zeitebenen, die sich gegenseitig ausbremsen. Ein Grund, weshalb ein Kinopublikum unter Umständen nicht glücklich mit Auslöschung geworden wäre. In der Gegenwart, in Area X, geben sich Schönheiten und Grausamkeiten die Hand. Bedrohung und Faszination funktionieren wunderbar im Einklang und wenn die Gruppe gleich zu Beginn von einem Tier angegriffen wird, mag man diesen Angriff noch gar nicht als wirklich bedrohlich wahrnehmen angesichts der betörenden Kulisse. Bis der Film plötzlich Ernst macht.

Eine Frage des Geschmacks

Während die Frauengruppe minimal charakterisiert wird, jedoch weitestgehend unspektakulär bleibt, darf Lena eine Wandlung durchlaufen. Doch nicht immer ist sie der Star des Films, denn die Natur gibt ihr Bestes, regelmäßig die Aufmerksamkeit an sich zu reißen. In einem Moment beeindruckt die natürliche Schönheit des Schauplatzes, im nächsten machen sich surreale Schwingungen breit. Die inszenatorische Wucht wirkt selten erschlagend, führt allerdings immer wieder zu Spannungsmomenten. Es ist das letzte Drittel, das schließlich entscheidet, wie der Zuschauer den Film aufnehmen wird. Hier zeigt sich Garland besonders bemüht, seinen Stoff emanzipiert und mit Abweichungen zur Vorlage zu Ende zu bringen. Was in jedem Fall begeistern wird, ist die unwirkliche Umgebung, die den Film maßgeblich prägt.

Auslöschung kann mich leider nicht restlos überzeugen. Obwohl ständig etwas passiert und die Handlung immer wunderbar inszeniert ist, will der letzte Funke einfach nicht überspringen. Das Ende flacht ab und wirkt nicht mehr ganz so opulent wie der Rest des Films. Ich störe mich daran, dass Lena und Kane schlussendlich wieder zusammenfinden, dann aber wieder doch nicht. Sie sind nicht mehr die jeweils eigene Person und damit hängt die Zukunft ein wenig in der Luft. Was bleibt, ist ein Gefühl von ‘Das alles nur für dieses Ende?’. Bei Auslöschung handelt es sich um einen sehenswerten Film, der allerdings den Nachteil besitzt, schnell in der Gunst des Zuschauers kippen zu können. Bei mir geschah dies leider zu früh.

 

Zweite Meinung: 

*attention please, es folgt der Kommentar eines Buchfans*
Alex Garland sagte, seine Filmadaption müsse man als einen Traum verstehen. Er habe das Buch einmal gelesen und darauf basierend das Drehbuch geschrieben. Und genau so fühlt sich der Film mit seiner schillernden Benzinfilm-Optik und seinem psychedelischen Soundtrack auch an: wie ein diffuses, nicht getreues Abbild der realen Vorlage. Es gibt keinen Tunnel, es gibt keinen Crawler, keinen Leuchtturmwärter Saul, keine Hypnose. Dafür ein völlig anderes Ende samt Aussage.
Und dennoch bin ich froh darüber, denn den originalen Stoff halte ich nach wie vor für unverfilmbar. Durch Garlands freie Interpretation kann Auslöschung einträchtig vereint neben der originalen Auslöschung in meinem Kopf existieren, ohne dass ich befürchten müsste, dass meine eigene (visuelle) Interpretation überschrieben wird.  Gut ist, dass Auslöschung ein atypischer Vertreter der sogenannten „Alien-Filme“ ist. Es geht nicht um Invasion und Explosion, sondern um Atmosphäre – um die Auswirkungen eines entarteten Ökosystems auf den Einzelnen; darum, was jemanden antreibt, „selbstzerstörerisch“ zu handeln, indem er den freiwillig den Schimmer betritt und die Gefahr der eigenen Auslöschung in Kauf nimmt; darum, dass Fremdartigkeit nicht gleichbedeutend für Bosheit steht. Das und die „inszenatorische Wucht“ (O-Ton Ayres) macht den Film zu einem einnehmenden Trip und zu einem durchaus „sehenswerten Film“ (wieder O-Ton Ayres). Was mich nur persönlich nervt, ist der vergleichsweise starke Fokus auf das Beziehungsding. Für Garland ist Auslöschung ein Solostück. Er habe kein Interesse daran, den Rest der Trilogie auf die Leinwand zu bringen. Hätte mich auch gefragt, wie er nach seinem interpretatorischen Ego-Trip den Anschluss daran gepackt hätte.

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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Aki
Aki
Redakteur
7. April 2018 18:11

Der Artikel hat mich extrem neugierig auf den Film gemacht, weswegen ich die Chance an Ostern genutzt habe und meine Eltern den Film schmackhaft gemacht habe. Die Beschreibung,dass der Film nicht für die breite Masse ist, kann ich unterschreiben. Dafür geht es für Actionfans zu ruhig zu und auch für Horrofans ist mit Abstand zu wenig von diesem Element dabei. Da ich ein sehr neugieriger Mensch bin, hat mich hingegen die Frage: Was ist hier genau los? von Anfang an gepackt. Was mich nur von Anfang an störte, waren die nicht immer passenden Rückblicke zu Lenas Vergangenheit. Genauso schade finde ich es, dass die anderen Damen im Team doch sehr dünn charakterisiert werden. Eine Sache rechne ich ich dem Skriptschreiber aber positiv an :

Spoiler
Das Dr. Ventress Krankheit nur im Interview genannt wird. Damit macht man kein langes Gewese darum, warum diese Frau so zielstrebig voran gegangen ist.
Was ich übrigens sehr unlogisch finde: Wenn die Damen doch nur zum Leuchtturm sollen, warum sind sie nicht von Anfang an am Strand/bzw Küstenbereich einer Seite zum Turm gelaufen? Gut darüber nicht nachdenken, genauso wenig über das Finale, bei dem meine Eltern und ich uns einig waren, dass da doch jemand Drogen genommen hat um auf diese Bilder zu kommen!
Der Film hat mir persönlich gut gefallen aber es wäre auch kein Film, denn ich schnell noch mal anschauen würde. Ich bin aber sehr neugierig auf die Bücher geworden. Bin aber da etwas skeptisch, ob ich das gelesen bekomme…