Knutschpogo – Verliebt bis in die Haarspitzen

Der Ylva Verlag ist spezialisiert auf lesbische Literatur. Neben Romanzen und Krimis gibt es auch Ausflüge in die Fantastik. Mit Knutschpogo – Verliebt bis in die Haarspitzen wird die Sparte des Jugendromans im Juli 2018 um einen neuen Titel bereichert. Autorin Katrin Frank nimmt den Leser mit auf eine Reise in die 90er Jahre. Die Wende steckt den Leuten noch in den Knochen, Nazis und Punks kämpfen um ihr Revier auf dem Marktplatz und die 14.jährige Lexi sucht nach einem Platz in der Welt. Liebe, Freundschaft, Familie, Schule, Politik – große Themen in einer greifbaren Geschichte.

    

Lexi ist 14 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter in einem kleinen Kaff im Osten. Mit dem einsetzenden Konsumwahn steht sie auf Kriegsfuß, denn der lullt die Menschen nur ein, dass sie aufhören sich noch für etwas zu interessieren. Da sind zum Beispiel die stadtbekannten Nazis, die ohne viel Gegenwehr ein Tattoostudio eröffnen können. Lexi wird aber nicht nur von denen dumm angemacht, viele Leute halten sie für einen Jungen und haben es schwer, ihr Geschlecht einzuschätzen, was immer wieder für doofe Blicke und Kommentare sorgt. Und seit ihre beste Freundin Janine auf einem Jesus-Trip ist, fühlt sie sich noch einsamer als zuvor. Da kommt es grade recht, dass sie die Punks des Ortes näher kennenlernt. Die kommen ihr zu Hilfe, als die Nazis mal wieder pöbeln. Lexi mag ihre unangepasste Art, die bunten Haare und das gemeinsame Abhängen. Vor allem aber mag Lexi die Punkerin Rosa aus ihrer Parallelklasse. Ihr näher zu kommen macht den Alltag erträglicher und in Lexis Bauch fangen die Schmetterlinge an zu fliegen.

Außenseiter sucht Anschluss

Da Lexi als Ich-Erzähler auftritt, steckt der Leser von Anfang an in ihrem Kopf. Alles beginnt bei einem sonntäglichen Frühstück. Bisher ein Ritual, das ihr mit ihrer Mutter gehört, aber die hat einen neuen Freund. Schlimmerweise ist Rolf Polizist, was Lexi quer im Magen liegt und sie bezeichnet ihn in Gedanken meist nur als Bullen. Direkt darauf denkt sie an ihren Vater, der in ihren Erinnerungen einen wichtigen Platz einnimmt und dessen altes Flannelhemd sie noch immer trägt. Somit ist man ohne große Umschweife schon mitten in Lexis zerbröselnder Welt. Knutschpogo erzählt von ein paar wenigen Wochen, in denen sich viel in Lexis Leben bewegt. Ihre Mutter möchte Harmonie, wo Lexi einen Eindringling sieht. Ihre Freundin redet immer nur von Teenie-Kreis, wo sie ihre religiösen Erfahrungen macht und neuerdings auch mit einem Armbändchen signalisiert, dass sie Sex vor der Ehe ablehnt. Und immer wieder gibt es diese Momente, in denen eine Verkäuferin oder ein Busfahrer Lexi als Jungen bezeichnet, was schnell zu ungewollten Blicken von Passanten führt. So sind die Punker, die am Marktplatz ihren Ghettoblaster aufdrehen, Bierdosen kreisen lassen und sich um Nichts zu scheren scheinen, der beste Anlaufpunkt für Lexi. Vaters alte NVA-Stiefel und Mut zu einem radikalen Haarschnitt sind eine Fahrkarte zum Gruppenzugehörigkeitsgefühl.

Emotionale Achterbahnfahrt

Originaltitel Knutschpogo – Verliebt bis in die Haarspitzen
Ursprungsland Deutschland
Jahr 2018
Typ Roman
Bände 1
Genre Coming-of-Age, LGBT
Autor Katrin Frank
Verlag Ylva Verlag

Es ist einfach, Empathie für Lexis Lage aufzubringen und dann lesen sich die 178 Seiten fast von ganz allein, auf denen sie von einer Emotion zur nächsten taumelt. Der Schreibstil von Katrin Frank ist herrlich unkompliziert und vor allem ehrlich. Lexi hält nicht absatzsweise inne, um ihre Lage zu analysieren und neue Informationen von allen Seiten zu beleuchten. Sie ist 14 Jahre alt, weiß noch nicht alles von der Welt und lässt sich von Gefühlen leiten. Und die sind manchmal ganz schön verwirrend. Vor allem, wenn ihre Mutter das Schweigen bricht und ihr erzählt, wie ihr Vater vor sieben Jahren wirklich verschwunden ist. Nachdem er eine Kreuzfahrt für zwei Personen als Auszeichnung für seine gute Arbeit bekommen hatte, hat er 1987 einen Sprung in die See gewagt und sich so in den Westen abgesetzt. Frau und Kind waren egal. Auch ein Knaller, den Lexi verdauen muss, da es nicht zum Bild passt, das sie von ihrem Vater hat. Und im Laufe des Romans folgt eine ernüchternde Kontaktaufnahme, die im Ganzen leider eher nebensächlich bleibt.

Die erste Liebe

Der größte Aufhänger von Knutschpogo ist Lexis beginnendes Liebesleben. Dabei macht sie schon einen sehr gefestigten Eindruck, dass sie sich für Jungs nicht wirklich interessiert. Die Punkerin, die sie aus der Schule nur vom Sehen kennt, auf dem Marktplatz zu entdecken, hebt schon ihre Stimmung. Nach ihr hält sie immer Ausschau, die anderen Punks sind eher interessantes Beiwerk. Rosa nimmt Lexi ohne Umschweife ins Grüppchen auf und teilt ihre anarchistische Weltsicht freizügig, gepaart mit einem Joint. Obwohl Lexi anfangs nicht einmal weiß, wofür dieses große A in einem Kreis steht, das sie bei Punks immer sieht, verschlingt sie bald darauf die Philosophie von Bakunin und hört Schleim-Keim statt Bon Jovi. Lexi und Rosa haben Spaß zusammen und Rosa sendet so manches Signal, das Lexi schwer beschäftigt. Die Romanze beginnt einseitig, zaghaft und nimmt nach einem ersten verstohlenen Händchenhalten schnell Fahrt auf. Erfrischenderweise wird Lexi dabei nicht von Selbstzweifeln gequält, ob Homosexualität an sich ein Problem sein könnte. Konfliktpotenzial gibt es genügend an anderen Stellen und dass Rosa noch mit Armin geht, reicht als typisch romantisches Hindernis. Und das Herz bleibt einem stehen, wenn dann das ungewollte Outing vor der ganzen Klasse folgt, weil ein unbedachtes Zettelchen laut vorgelesen wird.

Ich hatte einen sehr unterhaltsamen Nachmittag mit Knutschpogo – Verliebt bis in die Haarspitzen. Für die erwartete Zielgruppe bin ich vermutlich zu alt, aber Coming of Age-Geschichten werde ich einfach nicht müde. Und dieser Blick zurück in die 90er weckt Erinnerungen, obwohl ich ein Wessi bin. Schon nur, dass Lexi anfangs nicht einmal Rosas Namen kennt, spricht Bände. Da gibt es noch kein Internetstalking. Und doch wirkt der Roman nicht überholt oder altbacken. Vor allem der Nebenplot mit den Nazis scheint furchtbar aktuell, auch wenn die Auflösung eine sehr schöne Schleife umgebunden bekommt. Es geht nicht um verklärende Nostalgie. Lexi lernt selbst, dass man manches einfach loslassen muss und sich gute Freunde mit ein bisschen Mühe schon finden. Grade hier gefällt mir das Ende besonders. Lexi will sich nicht zwischen Rosa und Janine entscheiden müssen, bringt die zwei äußerlich gegensätzlichen Mädels einander näher und formt sich so ihr eigenes Grüppchen. Mit Widersprüchen und Meinungsverschiedenheiten. Anfangs will Lexi auf keinen Fall als Möchtegern dastehen, und am Ende ist es ihr egal, ob sie offiziell noch als Punk durchgeht mit den Klamotten, die ihr fürs Wetter angemessen erscheinen. Das Äußerliche, was zwischendurch eine Rüstung war, spielt keine Rolle mehr.  Die innerliche Entwicklung kommt zu einem Ergebnis, dass ich das Buch mit einem guten Gefühl zuklappen konnte.

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Misato

Misato hortet in ihrer Behausung fiktive Welten wie ein Drache seinen Goldschatz. Bücher, Filme, Serien, Videospiele, Comics - die Statik des Hauses erlaubt noch ein bisschen, der Platz in den Regalen weniger. Am liebsten taucht sie in bunte Superheldenwelten ein, in denen der Tod nicht immer endgültig ist und es noch gute Menschen gibt. Íhr eigenes Helfersyndrom lebt sie als Overwatch Support Main aus und adoptiert fleißig Funko Pops.

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