Arcade Spirits
Was wäre, wenn es den Video Game Crash in den 80ern nie gegeben hätte? Mit dieser Frage spielt die Visual Novel Arcade Spirits, das neuste Game aus dem Hause PQube (STAY). Als Angestellter in einer Arcade-Spielhalle muss sich der Spieler mit Herz, Verstand und Eiern/Eierstöcken aus Stahl gegen pöbelnde Gäste, einen finsteren Konzernriesen sowie ein dunkles Arcade-Mysterium behaupten und nebenbei noch Freundschaften und Romanzen pflegen. Arcade Spirits ist eine Liebeserklärung an die Gaming-Kultur und richtet sich mit seinen witzigen Dialogen und den unzähligen Referenzen sowohl an Geeks als auch an Romantiker und Nostalgiker.
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Die Story von Arcade Spirits ist in der nahen Zukunft des Jahres 20XX angesiedelt. Nach einer ganzen Reihe biographischer Rückschläge vegetiert die Spielfigur (wir nennen sie aus Ermangelung eines Namens einfach mal Player One) arbeitslos vor sich hin. Die beste Freundin Juniper erträgt das schon bald nicht mehr und schwatzt Player One eine App mit dem Namen „Iris“ auf. Iris ist eine künstliche Intelligenz, quasi Amazons Alexa in 30 Jahren, und verspricht Player One, DEN TRAUMJOB zu finden. Player One landet schließlich in der Arcade-Spielhalle „Funplex“ und arbeitet dort fortan als Ordnungs- und Sittenwächter. Dabei lernt er viele neue Kollegen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten kennen und bekommt die Chance, neben seinem Traum auch die wahre Liebe zu finden.
Ein armer Tropf sucht das Glück
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Originaltitel | Arcade Spirits |
Jahr | 2019 |
Plattform | Microsoft Windows, MacOS, Linux |
Genre | Visual Novel |
Entwickler | Fiction Factory Games |
Publisher | PQube |
Spieler | 1 |
Die eigene Spielfigur ist das apathische, aber trotzdem sympathische Zugpferd von Arcade Spirits. Desillusioniert vom eigenen pechbringenden Familienfluch, ist der Charakter ein ernüchterter Go-with-the-Flow-Typ, der sich mit trockenem Humor über fehlende Träume und Hoffnungen hinwegrettet. Als Spieler möchte man diese Baustelle natürlich direkt angehen und wo beginnt man als Erstes? Bei den Klamotten! Leider stellt sich die vom Entwickler Fiction Factory Games als „completely customizable“ bezeichnete Charaktergestaltung als recht beschränkt heraus. Man darf zwischen drei Frisuren auswählen und hat sonst nur noch bei den Farben ein Mitspracherecht. Der Körper selbst ist allgemein gehalten (soll heißen androgyn), sodass das Template für alle Geschlechter einsetzbar ist. Irgendwie dürftig, aber dann auch wieder erfrischend.
Ein bunter Strauß an Kollegen
Umso detailreicher ist der Rest des Casts gestaltet, dessen volle Bandbreite man direkt am ersten Arbeitstag erleben darf. Gavin, der ernste Business-Typ mit einer Brust, die die Anzugweste sprengt. Naomi, die technisch bewanderte Fachidiotin. Ashley, die kesse Cosplayerin. Percy, der gemütliche und sehr britische Highscore-Jäger. Teo, der langhaarige Casanova mit Sixpack. QueenBee, die randalierende Kampfsau. Und zu Hause wartet Juniper, die leicht untersetzte Sandkastenfreundin, die nur das Beste will, aber meistens alles nur noch schlimmer macht. Geschätzt 30% der Dialoge wurden vertont. Einige Sprecher, wie etwa die von Francine und Juniper, sind superb. Andere klingen dagegen so, als lägen sie im Bett unter der Decke und hätten ein Webcam-Mikro vor der Nase (Gavin).
Die „Identity Identifiers“
Der Fokus von Arcade Spirits liegt auf den Interaktionen mit den Kollegen. Der Spieler profiliert sich dabei über die Antworten, die er gibt und kann dabei fünf Wesenszüge ausbauen: schrullig, wohl bedacht, freundlich, forsch und „basic“. Diese Wesenszüge werden als „Identity Identifiers“ bezeichnet und gewissenhaft von der KI Iris dokumentiert, denn die Natur des Spielers spielt in das Finale mit rein. Es ist möglich, den Wesenszug der Antworten einzusehen. Wer sich aber lieber überraschen lassen möchte, was für ein Profil am Ende dabei herauskommt, der kann die Wesenszüge auch ausblenden. Die Identity Identifiers wirken sich auch auf die Beziehung zu den Kollegen aus. Es ist aber nicht gesagt, dass man z.B. den kalkulierenden Gavin nur mit den „wohl bedachten“ Antworten für sich gewinnen kann.
Ein Coin für die Liebe
Bei der ganzen Sozialarbeit, die man betreibt, kommt natürlich auch irgendwann die Chance auf Romantik. Dabei ist es völlig unerheblich, welches Geschlecht man hat (bei der Charaktergestaltung können die ganz Unentschlossenen sogar „They“ als Pronomen wählen). Allerdings rückt das Romanzen-Ding etwas überraschend in den Vordergrund, weil es bis dahin eher platonisch zugeht. Nachdem man fünf Kapitel lang die Hochs und Tiefs im Arcade-Business gemeistert und seine Kollegen kennen gelernt hat, steht man plötzlich in der typischen „Beach Episode“ vor (fast) nackten Tatsachen und muss sich entscheiden, wen man daten will – ganz nach dem Motto „Die Pflicht ist abgehakt, jetzt kommt die Kür“. Auch nach der Beach Episode wirkt die Romanze eher wie optional reingestanzt, was aber auch heißt, dass Arcade Spirits nicht nach dem üblichen Routen-System funktioniert. Man hängt sich nicht liebedienerisch an eine Person und erlebt alles nur noch mit ihr und darf nichts mehr sagen, was ihr gegen den Strich gehen könnte. Nein, man ist relativ frei in Situationen nach jener Wesensart zu handeln, die man gerne hätte. Wem aber das ganze Romanzen-Ding eh zu blöd ist, der kann Arcade Spirits auch ganz ohne Flirt durchackern (Achievement unlocked: The Power of Friendship). Das Spiel wird einen dahingehend nicht verurteilen.
For the sake of hope and dreams
Was die Message anbetrifft, ist Arcade Spirits beinahe schon eine Ausgeburt des Anime-Spirits. Verfolge deine Träume, gib niemals auf, krieg dein Leben auf die Kette, finde Liebe (optional), werde jemand, sammle alle 150 Pokémon! Träume und Hoffnungen sind die Fixwörter, die immer wieder auftauchen und in pathetischen Monologen beweihräuchert werden. Freilich gibt es Herausforderungen und Rückschläge, Krankheiten und sogar einen Todesfall, aber alles in allem ist Arcade Spirits ein Gute-Laune-Spiel, das das Leben feiert. Allerdings: Es gibt spielintern anscheinend auch die Option, seine Träume aufzugeben (Achievement unlocked: The Good Ending).
Arcade is Life
Wer weder das Leben noch die Romantik feiern will, der kann sich stattdessen der Arcade-Spielhallen-Atmosphäre hingeben, denn Arcade Spirits ist der spielgewordene Liebesbrief an das Goldene Zeitalter der Videospiele. Ältere Semester werden sich einen Keks freuen über die namentlichen Gastauftritte etlicher Games wie Q*Bert, Skee-Ball, TMNT und Death Race. Selbst die Polybius-Sage bekommt ein eigenes Kapitel. Wer aber lieber auf der eSports-Schiene fahren will, der hängt sich an QueenBee ran und erlebt Multiplayer-Battle-Action im Live-Stream, oder schaut Teo und seiner Dance-Community bei Dance Central-Sessions zu. Wettkampf-Auszeiten gibt es, wenn Gavin uns auf Arcade-Auktionen mitnimmt. Hier lernen wir, dass Kompromisse dazugehören – auch im Leben (Life Lesson, notiert euch das!). Dass die Arcade-Szene in Arcade Spirits so aufblüht, liegt an der veränderten Spielhistorie, denn den Video Game Crash in den frühen 1980ern hat es in Arcade Spirits nie gegeben, gerade weil die Produktion eines bestimmten Games verhindert wurde (die Macher reden augenzwinkernd um den heißen Brei herum, meinen aber E.T.). Arcade Spirits bietet daher einen interessanten Einblick in eine verpasste Zukunft der Arcade-Automaten.
Fazit
Arcade Spirits‘ Stärke: die toll geschriebenen Dialoge. Locker-flockig, sehr unterhaltsam mit unzähligen witzigen Verweisen und an den richtigen Stellen ergreifend. Die Gesprächsführung erinnert ein bisschen an die Klassiker von LucasArts, wo man auch mal einen blöden Witz reißen kann, ohne dass gleich das gesamte Spiel zusammen bricht. In Arcade Spirits gibt es keine Sackgassen. Ich z.B. habe bis zum Gehtnichtmehr die Klappe aufgemacht, habe für das Funplex Leute verkloppt und (fast) nur anime-mäßige „Do-Your-Best!“-Reden vom Stapel gelassen – und das Spiel hat mich machen lassen. Als Dating-Simulator sorgt das Game allerdings nur bedingt für blutende Nasen, trotzdem war ich als Genre-Greenhorn recht zufrieden. Zwar hab ich einen Mangel an Romantik, Liebesentwicklung, sexueller Anspannung etc. festgestellt, aber vielleicht lag das auch einfach daran, dass ich Gavin gewählt habe, huehue. Klar ist aber, dass sich Arcade Spirits mit seinen ganzen Referenzen mehr auf die Gaming- bzw. Geekkultur konzentriert, als auf die Romanze. Was könnte ich kritisieren? Das Sounddesign; das hätte ich mir etwas üppiger gewünscht. Auch die Backgrounds hätten für mich stimmungsvoller sein können, denn manche wirken als kämen sie aus der Retorte. Aber insgesamt ist Arcade Spirits ein ziemlich charmantes Spiel mit einem interessanten „Identity Identifiers“-Konzept und verrückten Dialogen, die mich mehr als einmal zum Lachen gebracht haben. Und so wie es ausschaut, wird es eine Fortsetzung geben, denn die Polybius-Sage ist noch lange nicht abgeschlossen.
©PQube
Ziemlich sympathischer Titel, bei dem man direkt merkt, dass es sich um eine „von Fans für Fans“-Produktion handelt. Mit lockeren Dialogen bin ich direkt geködert, auch die Typen wirken allesamt cool. Auch wenn ich den Zeichenstil nicht so mag, ist das Charakterdesign gelungen. Ich setze mir die Visual Novel mal auf die Steamliste.