Lola rennt
Wenn Deutschland einen guten Film in den 90ern hervorbrachte, dann ist das in den Augen vieler wohl Lola Rennt. Gleichermaßen originell wie flach landete Regisseur Tom Tykwer (Babylon Berlin) mit seinem nur 82 Minuten kurzen Film einen internationalen Hit, der nicht nur einen Auftritt in Die Simpsons erhielt, Musikvideos inspirierte (Bon Jovi) oder popkulturellen Einfluss auf Serien wie Orphan Black nahm. Gleichzeitig wurde ein ansteigendes Interesse an unserer Hauptstadt entfacht: Das Berlin der späten 90er wurde Kult und deutsche Filme gewannen an Glanz auf dem internationalen Parkett.
Rotschopf Lolas (Franka Potente, Die Bourne Identität) Liebe zu Manni (Moritz Bleibtreu, Knockin’ on Heaven’s Door) ist bedingungslos. Dieser verdient seinen Unterhalt als Geldbote für einen Autoschieber. Doch bei einer Übergabe geht etwas schief und Manni muss aus einer U-Bahn flüchten. Blöderweise lässt er dort eine Plastiktüte mit 100.000 DM stehen. Ein Fund, über den sich ein Bettler freut. Mannis letzter Ausweg ist Lola. Als er sie telefonisch erreicht, klagt er ihr seine missliche Lage. Er brauche das Geld und dafür bleiben nur 20 Minuten. Lola rennt los.
Achtungserfolg vor der Jahrtausendwende
Originaltitel | Lola Rennt |
Jahr | 1998 |
Land | Deutschland |
Genre | Action |
Regisseur | Tom Tykwer |
Cast | Lola: Franka Potente Manni: Moritz Bleibtreu Vater: Herbert Knaup Frau Hansen: Nina Petri Herr Schuster: Armin Rohde Norbert: Joachim Król Herr Meier: Ludger Pistor |
Laufzeit | 81 Minuten |
FSK |
Wie passen das technogetriebene Berlin der 90er, Girly-Style und der deutsche Film zusammen? Die Antwort lässt sich nicht einfacher zusammenfassen als mit Lola Rennt. Eine Produktion, die sich nicht nur unheimlich frisch und unverbraucht anfühlte, sondern auch an den Kinokassen erfolgreich war. Eine Kunst, die nur wenigen inländischen Filmen in diesem Jahrzehnt gelang. Der Bewegte Mann, Werner – Beinhart oder Knockin’ on Heaven’s Door, nur wenige Filme schafften es, an den Kinokassen Fuß zu fassen. Kurz vor der Jahrtausendwende jedoch konnte Lola Rennt noch einmal richtig abräumen: Acht Auszeichnungen beim deutschen Filmpreis, der Publikumspreis für den besten ausländischen Film beim Sundance Film Festival, ein Bambi und sogar eine Goldene Schallplatte. Dabei läuft eine Frau die meiste Zeit des Films über nur durch die Hauptstadt. Wie kann das sein?
Dominosteine
Lola Rennt bedient sich eines erzählerischen Kniffs, der seiner Zeit weit voraus war: Dem Schmetterlingseffekt. Ähnlich wie in einer Zeitschleife werden die Grundzüge des Erlebten wiederholt, Detailänderungen können allerdings bereits zu Abweichungen des gesamten Systems führen. So erleben wir in drei in Echtzeit erzählten Geschichten à 20 Minuten, wie Lola versucht, Manni zu helfen. Dabei begegnet sie immer wieder denselben Personen, deren Schicksal wir in Zeitraffern gezeigt bekommen. Jedes Mal ist es die Begegnung mit Lola, die für einen ganz anderen Verlauf sorgt, zum Teil mit intimen Einblicken in die Privatsphäre. Für die Zuschauer nur ein nettes Detail am Rande, doch im Grunde geht es um Lola – und drei Ausgänge einer Geschichte. Über Manni und Lola erfahren wir nur das Nötigste. Interessanter ist da schon Lolas Verhältnis zu ihren Eltern, welches sich in dieser Extremsituation ebenfalls veränderlich zeigt.
Gestalterische Ausdrucksmittel
Schnelle Schnitte, grelle Bilder, pumpender Technobeat. Lola Rennt bringt jede Menge Zeitkolorit mit und liefert in jeder der drei Geschichten sogar eine kurze Zeichentricksequenz. Der Aufbau einer jeden Episode ist gleich: Blende, Aufblende, Abblende, Überblendung, Rückblende, Zeitraffer, Zeitlupe. Neben Franka Potentes kraftvollen Laufbewegungen (ein wichtiges Kriterium beim Casting) sind es vor allem die Schnitte, die für viel Dynamik sorgen. Splitscreen, rotierende Kamera. Tom Tykwer lässt nichts unversucht, um Bewegung in seine Geschichte zu bekommen, was sinnbildlich für die Lebenslinien seiner Figuren steht, die sich hier in schnellen Schritten voranbewegen, kreuzen und wieder auflösen. Untermalt wird dies durch das Lied “Wish (Komm zu mir)” mit Sprechgesang von Thomas D und Franka Potente mit einer hypnotischen Wirkung.
Urbanes Labyrinth Berlin
Die Ausgänge der jeweiligen Erzählstränge sind denkbar simpel:
Schauspieltalent ausgeschwitzt
Moritz Bleibtreu als Manni, Joachim Król und Heino Ferch holen aus ihren stereotyp angelegten Rollen alles heraus. Obwohl die Figuren eindimensional sind, behält man sie in Erinnerung. Über Lola gibt es nur unwesentlich mehr zu berichten. Und doch verleiht Franka Potente ihrer Kämpfernatur Lola Mut, Kraft, Entschlossenheit und all die Werte, die andere Charaktere des Films nicht besitzen. Lola ist eine authentische Frauenfigur, die völlig mit ihrer Zeit ging. Sie kommt ganz ohne Überlebensfähigkeiten aus, bringt aber physische Vorzüge mit, wo Frauen sonst hinter Männern zurückstecken und auf emotionale Qualitäten reduziert werden. Dabei ist Lola längst keine Sportlerin oder Influencerin, sie raucht schließlich sogar.
Fazit
Lässt man die Erfolge und den Kult um den Film einmal beiseite und konzentriert sich rein auf die erzählerischen Stärken, zeigt sich Lola Rennt als cleveres Konstrukt, das alles andere als komplex ist, aber einen immensen Unterhaltungswert mit sich bringt. Ein Feuerwerk aus Innovation, technischen Spielereien und subtil mitschwingender Philosophie – ein Pflichttitel für jeden deutschen Zuschauer, der sich nicht zu jung für die grellbunte Stilistik fühlt. Der interessante Gedanke steckt wohl im Heute: Wie wäre die Handlung verlaufen, wenn es damals bereits Smartphones gegeben hätte? Manni hätte Lola eine Nachricht auf Whatsapp schreiben können oder hätte sich per App ein Taxi bestellt und nicht die U-Bahn genommen.
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