X-Men: Die Dark Phoenix-Saga
Wenn man etwas Zeit als Comic-Leser verbringt, gibt es einige Geschichten, die immer wieder empfohlen werden. Geht es um die X-Men, dann ist die Dark Phoenix-Saga ohne Frage die meist empfohlene Geschichte. Chris Claremont und John Byrne haben etwas geschaffen, das Jahrzehnte überdauert und sogar schon zwei Mal als Filmvorlage diente. Was genau macht aber den Reiz dieser Geschichte aus, die zumindest in Teilen jedem bekannt ist, der sich etwas näher mit Marvel-Comics beschäftigt? Was macht es so schwierig, eine im Kern einfache Geschichte anständig auf die große Leinwand zu bringen? Dies bedarf eines genaueren Blickes auf das vielgelobte Werk.
Erschienen in den Uncanny X-Men Ausgaben 129 bis 138 im Jahr 1980 – und seitdem immer wieder als Sammelband – baut die Geschichte stark auf den Geschehnissen aus den Ausgaben 101 bis 108 auf. Dort erhält Jean Grey die Phoenix Force und rettet mittels ihrer neuen Kräfte den Kosmos. Mit diesem Wissen ist man auch schon mit allem ausgestattet, was nötig ist, um die Dark Phoenix Saga zu lesen. Alles weitere erfährt man im Laufe der Geschichte und so sind selbst Neulinge nicht verloren, wenn Namen oder Orte erwähnt werden. Für Leser, die bisher eher neuere Marvel-Geschichten kennen, mag die Erzählstruktur etwas seltsam erscheinen. Wie eine Art Erzähler im Hörspiel erklären immer wieder Textboxen, was gerade passiert. Im Vergleich zu modernen Comics, in denen die Bilder oft alleine für sich stehen, mag dies zunächst befremdlich wirken, über den gesamten Sammelband entwickelt es aber eine Dynamik, die es sehr leicht macht, dem Geschehen zu folgen.
Wenn das Böse an einem zehrt
Originaltitel | X-Men: The Dark Phoenix Saga |
Jahr | 1980 |
Land | USA |
Genre | Action, Drama |
Autor | Chris Claremont |
Zeichner | John Byrne |
Verlag | Panini Comics |
Nachdem die X-Men wieder einmal von einer Mission zurück sind, kehrt etwas der Alltag in ihre Leben zurück. Sogar Charles Xavier alias Professor X kehrt zurück, um seine ehemaligen Schüler zu unterstützen. Das führt aber auch zu Spannungen, da Charles immer wieder die X-Men und vor allem Scott Summers’ (Cyclops) Führungsstil kritisiert. Während Cyclops versucht seiner Vaterfigur klar zumachen, dass er nicht mehr der Junge ist, der von ihm unterrichtet wurde, wird Jean Grey (Phoenix) von Träumen geplagt, die von Jason Wyngarde (Mastermind) verursacht werden. Dieser arbeitet daran, langsam aber sicher Jean in seine Arme zu treiben und nutzt dabei ihre Wünsche und Begehren aus. All das geschieht irgendwie nebenbei. Die Story dümpelt fast etwas vor sich hin zu diesem Zeitpunkt. Die ersten Auftritte der Mutanten Kitty Pryde und Dazzler sind für Fans sicher interessant, aber so richtig Fahrt nimmt die Geschichte erst auf, als der sogenannte Helllfire Club, dessen Mitglied Mastermind ist, einen Angriff auf die X-Men startet. Wolverine, Colossus und Storm werden gefangen genommen, während Cyclops, Jean und Nightcrawler vorerst diesem Schicksal entgehen. Jean allerdings fällt bald darauf komplett unter Masterminds Kontrolle und wird unter dem Namen Black Queen das neueste Mitglied des Hellfire Clubs. Als Leser wird einem erst jetzt klar, wie minutiös das Kreativduo Claremont und Byrne den Fall von Jean auf die Seite der Schurken vorbereitet hat. Angefangen bei kleinen Erwähnungen ihrer „Träume“, dazu ihre eigenen Gedanken darüber, wie sie eine Veränderung feststellt und schließlich auch ihre Taten. Scott kriegt das alles zwar mit, kann aber aktiv nichts dagegen tun. Erst als alles zu spät scheint, kann er mit vollem Risiko eine Möglichkeit schaffen, um Jean aus den Klauen Masterminds befreien.
Man spielt nicht mit dem Phoenix ohne verbrannt zu werden
Frei von jeglicher Beeinflussung entfesselt Jean ihre geballte Kraft und besiegt fast alle Mitglieder des Hellfire Clubs im Alleingang. Diese neue Kraft und auch die Bedingungslosigkeit mit der sie mit den Gegnern umgeht, passen allerdings nicht zu der Jean, die ihre Freunde kennen. Von Byrne unglaublich gut in Szene gesetzt, stellt sich die „neue“ Jean als Dark Phoenix vor und geht nun auch gegen ihre Freunde vor. Dieser leichte Wahnsinn in den Augen Jeans ist auch zeichnerisch ein klarer Kontrast und die Souveränität, mit der sie alle X-Men besiegt, unterstreicht erneut den Unterschied zwischen Dark Phoenix und Jean. Danach folgt eine atemberaubende Sequenz, in der Dark Phoenix ins All fliegt, ihre Kräfte auslotet und nebenbei einen Stern wie eine Tankstelle nutzt, ihm seine Energie entzieht und dabei fünf Milliarden Individuen auf dem nächstgelegenen Planten tötet. Byrne beweist auf diesen Seiten abermals, weshalb er zurecht als Legende gilt. Das All sieht so unglaublich schön aus und der Kontrast zu den Taten von Dark Phoenix brennt diesen deshalb umso mehr im Gedächtnis ein. Nach dieser Zurschaustellung der Macht, die Dark Phoenix besitzt, folgt der letzte Akt der Erzählung, der auch verständlich macht, weshalb die Geschichte bis heute so relevant bleibt.
Ende gut, alles gut?
Die X-Men können den Tag retten so wie immer… oder doch nicht? Bis zu diesem Zeitpunkt gab es für die Mutanten immer einen Weg zu gewinnen und auch dieses Mal scheint es so. Gemeinsam mit Professor X gelingt es ihnen, die Dark Phoenix Persönlichkeit wegzusperren und alles scheint wieder wie früher. Doch Jean ist noch immer für den Tod von fünf Milliarden Lebewesen verantwortlich und die Shi’ar, ein galaktisches Imperium und eine Rasse, die zuvor von Jean gerettet wurde, wollen sie zur Rechenschaft ziehen. Sie sehen den Tod von Jean Grey als einzige Möglichkeit weitere Tode zu verhindern. Ein Leben gegen viele, die uralte Frage, was mehr wiegt. Eine schöne Lösung gibt es nicht, darüber sind sich alle einig und so wirklich beantworten will es auch keiner, weshalb ein Kampf über Jeans Schicksal entscheiden soll. Die X-Men gegen die Soldaten der Shi’ar. Wer bis zu diesem Zeitpunkt noch glaubt, es gäbe ein Happy End, der hat weit gefehlt. Es gibt keines. Für niemanden. Eine Person hat nämlich schon lange entschieden, wie alles endet.
Fazit
Bei Klassikern, die man zum ersten Mal liest, ist es immer so eine Sache. Durch die vielen Meinungen baut sich eine gewisse Erwartungshaltung auf und man erwartet etwas mehr von so einer Geschichte als sonst. In den ersten Kapiteln habe ich das sehr stark gemerkt, die Art und Weise, wie sich die Erzählung entfaltet, war für mich etwas langsam und auch nicht allzu fesselnd. Über den gesamten Band gesehen zeigt sich aber so etwas wie eine Struktur in drei Akten. Der erste dient dazu, dem Leser langsam zu zeigen, dass etwas nicht mit Jean in Ordnung ist. Im zweiten folgt ihr Fall zum Bösen und der dritte Akt bringt den tragischen Abschluss. Erst im Nachhinein merkt man, wie gut Claremont und Byrne die gesamte Geschichte durchgeplant haben. Nach und nach entfaltet sich alles. Das langsame Tempo zu Beginn sorgt dafür, dass die Wandlung von Jean zu Dark Phoenix nicht überhastet wirkt. Dafür musste X-Men: Der letzte Widerstand viel Kritik einstecken. Die Vorlage besitzt dieses Problem nicht. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb sie bis heute relevant bleibt und warum sich auch mir nach dem Lesen des ganzen Bandes offenbart hat, wie gut die Story ist. Am Ende ist die Dark Phoenix-Saga aber eine Geschichte über Liebe, was Macht aus einem Menschen macht und wie man Verantwortung für seine Taten übernimmt. Einfache Themen, die von zwei Legenden der Comicwelt zu einem der faszinierendsten Comics verarbeitet wurden, der wohl auch in Zukunft nichts an seiner Stärke verlieren wird. Für mich ganz zurecht ein Klassiker.
© Panini Comics