Hexer-Saga (Band 0,5): Der letzte Wunsch
The Witcher – wer hat’s erfunden? Andrzej Sapkowski. Mit Der letzte Wunsch kam in den frühen 90ern der erste Erzählband aus dem Universum des weißhaarigen Hexers Geralt auf den Markt, das seitdem medienübergreifend expandiert ist und mit dem Videospiel The Witcher 3: Wild Hunt wohl seinen Aufmerksamkeitshöhepunkt erreicht hat, vielleicht getoppt von der im Dezember 2019 erscheinenden Netflix-Serie. Wenden wir uns aber wieder dem Band Der letzte Wunsch zu, das eine interessante Mischung aus subtilem Humor, dunklen Vibes, verdrehten Märchenmotiven und leiser Erotik ist und im Jahre 2011 sogar vom polnischen Ministerpräsidenten a. D. Donald Tusk als diplomatisches Geschenk dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama überreicht wurde – hui!
Geralt ist ein Hexer – ein durch Magie und Drogen mutiertes, nicht mehr ganz so menschliches Wesen mit subtilen übermenschlichen Kräften. Als einer der letzten Vertreter einer dahinscheidenden Zunft streift er durch die Welt auf der Suche nach undankbaren Jobs. Seine Profession: Das Töten von Monstern für Geld. Bei der nicht zu verachtenden Anzahl an Drachen, Basilisken, Vampiren und noch ganz anderen Absonderlichkeiten ein durchaus lukratives Geschäftsmodell. Doch anders als die fahrenden Ritter, wird Geralt aufgrund seiner Art insgeheim verabscheut und wenn möglich gemieden. Der letzte Wunsch ist eine Reihe von Kurzgeschichten, die als Einführung und Appetizer in die Witcher-Welt gedacht sind und in denen der Hexer Geralt auf der Suche nach Arbeit an den verschiedensten Orten Halt macht, die ihn alle auf eine andere Weise fordern. So versucht er den Fluch einer aus einer inzestuösen Beziehung hervorgegangen Prinzessin zu lösen, sitzt mit einem Knigge-bewanderten Monster zu Tisch, beschützt einen Mann vor einer rachsüchtigen Prinzessin und tritt sogar gegen das Schicksal selbst an.
Über Geralt, den wandernden Helden
Originaltitel | Ostatnie życzenie |
Ursprungsland | Polen |
Jahr | 1993 |
Typ | Kurzgeschichtensammlung |
Bände | 1 |
Genre | Fantasy |
Autor | Andrzej Sapkowski |
Verlag | dtv |
Eigentlich ist der Held Geralt ein wandelndes Klischee: ein zynischer Einzelgänger, der exzellent mit dem Schwert umgeht, sich nicht gerne einmischt (es aber trotzdem ständig tut), sehr alt und noch sehr viel attraktiver ist und gut mit Frauen kann. Darüberhinaus ist er wortkarg, stets am Grübeln und hat einen coolen (und im Fantasy-Genre gar nicht inflationär genutzten) Spitznamen der da lautet „der Weiße Wolf“. Klischee halt, und trotzdem gelingt es Sapkowski dieses wandelnde Trope zu brechen und Geralt zu einem interessanten Charakter zu machen, indem er kleine Szenen einstreut, in denen sich Geralt einfühlsam zeigt, sich lächerlich macht, er einfach mal nicht weiter weiß und in denen er seine Größe offenbart, wenn er hinter die Fassade der menschlichen Ablehnung blickt. Geralts Introspektion erlaubt es Sapkowski, genug Philosophiestunden abhalten zu können. Geralt ist zudem einer der Letzten der Hexerschulen, was die Geschichten leise eintrübt und einen Hauch von Melancholie verbreitet.
Pfandleihhaus der slawischen Mythologie
Sapkowski bedient sich vieler bekannter Märchenmotive aus dem europäischen und vor allem osteuropäischem Raum, adaptiert sie und dreht sie auf links, was vielen Geschichten einen äußerst interessanten Kniff gibt. Es gibt Adlige, Bauern, die üblichen Verdächtigen wie Elfen und Zwerge, aber auch eine ganze Reihe von Monstern wie Drachen, Basilisken, Bruxae, Striegen, Kikimoras, Ghoule etc. Es ist gewissermaßen traditionelle Fantasy, die auf der einen Seite durch Satire oder geschickte Umkehrung eine Wandlung erfährt, auf der anderen Seite aber auch – der Satire entgegen gesetzt – tiefe, menschliche und ambivalente Schichten hervorbringt, die man so nicht gewohnt ist in der sonst so plumpen schwarz-weißen Fantasywelt. Geralts Entscheidungen haben immer Konsequenzen und sind oft zweischneidige Kompromisse.
Der Hexer-Appetizer
Der letzte Wunsch ist keine Coming-Of-Age-Geschichte, die Geralts Werdegang beleuchtet. Es gibt keinen verwaisten Jungen, dessen Umwandlung zum Hexer wir miterleben und der unter größten Selbstzweifeln lernen muss, sich mit seinem Schicksal anzufreunden. Der Geschichtenband setzt bei einem bereits erwachsenen Geralt ein und bildet quasi den Grundstock für das Witcher-Universum. Wir erfahren, wie Geralt zu seinem Beinamen „Schlächter von Blaviken“ kam, treffen auf viele bekannte Namen und erleben die Geschichte von Duny und Pavetta, den Eltern von Ciri, und wie es sich ergab, dass Ciri dem Hexer versprochen wurde. Auch die mächtige Zauberin Yennefer hat in der titelgebenden Geschichte ihren fulminanten Einstieg. Zusammengehalten werden die Kurzgeschichten von einer Rahmenhandlung – ein roter Faden, der sowohl Geralts Motivationen als auch seine ethischen Vorstellungen etwas beleuchtet, der aber auch als Warm-Up für die darauffolgende Kurzgeschichte fungiert. Politik, Diplomatie, Gesellschaftskritik; alles ist vorhanden und auch humorvolle Sequenzen sind dann und wann zu finden.
Fazit
Insgesamt ist Der letzte Wunsch eine gute Sammlung von Kurzgeschichten. Dem Genre ist es geschuldet, dass der Blick auf die große Welt relativ eng ist und dass es keine großartige Charakterentwicklung gibt, aber das hebt sich Sapkowski eben für die sehr viel aussagekräftigere Pentalogie (die Geralt-Saga) auf. Was er aber bereits in Der letzte Wunsch zur Anwendung bringt, ist seine Liebe für ausufernde Dialogszenen, in denen Figuren um den heißen Brei herum reden oder aber solche Gespräche abspulen, die einzig dazu da sind, den Leser aufzuklären, obgleich die Figuren selbst sich nichts Neues erzählen. Das kann gefallen, kann manchen aber auch nerven. Ich für meinen Teil mag Sapkowskis Dialoge, spätestens seit dem ersten Roman Das Erbe der Elfen, in dem das ganze körperliche Training von Ciri allein über die Gespräche vermittelt wird und genau deswegen auch der Twist am Ende funktioniert. Weggeschmissen habe ich mich auch im dritten Band Feuertaufe, als eine Bande von Zwergen Gwint spielt. Ich mag Sapkowskis trockenen Humor und als dessen Vertreter rezitiere ich meinen Lieblingssatz aus Der letzte Wunsch: »Und das dritte Bild, das bin ich, siehst du?“, [sagte das Monster zu Geralt]. Unter Ruß und Spinnweben schaute von dem Porträt mit wässrigem Blick ein unbestimmbarer kleiner Dickwanst mit aufgedunsenem, traurigem und pickeligem Gesicht hervor. Geralt, wohlvertraut mit der unter Porträtmalern verbreiteten Neigung, den Kunden zu schmeicheln, nickte mit betrübter Miene.« Ok ok, mag aus dem Kontext gerissen vielleicht lahm klingen, aber ich schmeiß mich jedes Mal weg. Also: Als Auftakt ist Der letzte Wunsch durchaus eine lohnenswerte Sache und für Liebhaber anspruchsvoller Fantasy sowieso ein Empfehlung. Vom Feeling her mehr mit Game of Thrones vergleichbar denn mit Herr der Ringe. Die Witcher-Gamer werden sich eh einen Keks freuen, und wenn man mal die Verdrehung von Märchenmotiven betrachtet, dürften auch Shrek-Fans ihren Spaß dran haben.
© dtv