Uhrwerk Orange
Nur wenige Filme sind so umstritten wie Stanley Kubricks Uhrwerk Orange (Originaltitel: “A Clockwork Orange”). Auf der einen Seite einer der größten Skandale der Filmgeschichte, auf der anderen eine der modernsten und bissigsten Gesellschaftssatiren. Sowohl in Sachen Symbolik als auch in Bezug auf Themen und Handlung wird der Film auch rund 50 Jahre nach seinem Erscheinen im Jahr 1971 noch immer diskutiert. Der gleichnamige Zukunftsroman von Anthony Burgess hinkt der Film-Adaption in Sachen Popularität allerdings hinterher, und auch der Film selbst wurde anfänglich häufig von der Kritik als inhaltsleere Produktion verunglimpft. Erst im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich der Streifen zum Kult und wirft wie kaum ein anderer Film die Frage auf, ob der Staat gegen Gewalttäter Gewalt anwenden darf. Im Zentrum des Geschehens: Malcolm McDowell als der Psychopath Alexander DeLarge.
London im Jahr 1983: Alex und seine Gang “Droogs” versetzen die Stadt in Angst und Schrecken. Die Gruppe prügelt und vergewaltigt sich durch die Bevölkerung und hinterlässt dabei viel Unheil. Nachdem sie in das Haus eines Ehepaares eingedrungen sind, die Frau vergewaltigt und den Mann zusammengeschlagen haben, wird Alex’ Tatendrang immer halsbrecherischer und verhängnisvoller. Nach und nach kapseln sich die Mitglieder seiner Gruppe von ihm ab und sorgen schließlich dafür, dass die Polizei ihn schnappt. Das Urteil lautet 14 Jahren Gefängnis. Dort wird er zunächst Teil eines Resozialisierungsprogramms, späterhin Spielball der Regierung und schließlich Instrument der Politik …
Zeitgeist der 70er, Sex und Gewalt in Mode
Originaltitel | A Clockwork Orange |
Jahr | 1971 |
Land | USA |
Genre | Science-Fiction, Drama |
Regisseur | Stanley Kubrick |
Cast | Alex: Malcolm McDowell Mr. Alexander: Patrick Magee Mrs. Alexander: Adrienne Corri Chief Guard: Michael Bates Dr. Brodsky: Carl Duering Catlady: Miriam Karlin |
Laufzeit | 136 Minuten |
FSK |
1968 feierte Stanley Kubrick mit 2001: Odyssee im Weltraum einen formalen und finanziellen Welterfolg, der bis heute nichts von seiner Strahlkraft verloren hat und als erstes genannt wird, sobald Kubricks Name fällt. Trotz des Erfolges standen ihm für seinen Nachfolgefilm nur 2 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Uhrwerk Orange war keine Produktion, die Sponsoren magisch anzuziehen vermochte. Die Rechte an dem Film hatte er bereits seit Mitte der 60er in der Schublade, doch mit der wachsenden Präsenz von Sex und Gewalt in den 70ern schien auch die Zeit für diese Produktion gekommen zu sein. Explizite Darstellungen waren plötzlich in Mode und davon sollte auch Uhrwerk Orange profitieren, welches bereits in seinem Plot genügend davon anzubieten hat. Somit machte er sich selbst an das Verfassen des Skripts. Doch zunächst völlig umsonst, denn die Presse verriss den Film und attestierte ihm Sinnlosigkeit. Erst viele Jahre später erkannte man schließlich, wie weit Kubricks Umsetzung der Zeit doch voraus war.
Hey, hier kommt Alex
Alles dreht sich um Alex, der dem Zuschauer sowohl als Protagonist als auch Erzähler dient. Mit sehr viel Distanz, denn seine Figur ist kaum greifbar, sodass der Zuschauer beinahe selbst in die Rolle der Droogs gedrängt wird. Wenn Alex sich durch die Stadt vergewaltigt und fröhlich “Singin‘ in the Rain” singt, wirkt das psychopathisch und befremdlich zugleich. So groß der Abstand zwischen Zuschauer und Hauptfigur auch ist; sobald es ans Eingemachte geht, ist der Zuschauer ganz tief in der Materie. Zu Beethovens Neunter schwirren Bilder von Explosionen, Vergewaltigungen und Tod über den Bildschirm und lassen den Zuschauer ganz tief in die Gedanken des gewalttätigen Jungen eintauchen. Alex ist aber nicht dumm. Er besitzt einfach nur kein moralisches Empfinden.
Warum der Kult?
Der nachdenklich stimmende Teil des Films liegt in den Behandlungsmethoden der Ärzte: Anstatt Alex mit Moral zu konfrontieren, wird er so konditioniert, dass Gewalt in ihm Ekel auslöst und Schauer über den Rücken jagt. Doch das Aufzeigen des Schlechten macht aus ihm keinen besseren Menschen. Mit Resozialisierung hat das nichts zu tun, denn es wird nur sein Willen gebrochen, um ihn einem Zwang zu unterwerfen. Der Staat muss selbst Gewalt ausüben, um sein Ziel zu erreichen. Mit dem Umkehreffekt, dass keine friedliche Lösung gefunden wird, sondern nur eine Verlagerung der Gewalt stattfindet. Plötzlich wirken alle verstörenden Taten der ersten Hälfte schon harmlos, wenn man sieht, welche Gewalt durch Autoritäten auf Alex ausgeübt wird. Die sogenannte Ludovico-Technik sieht nur Austreibung, aber keine Auseinandersetzung vor. Der dritte Erzählabschnitt zeigt schließlich die tatsächlichen Folgen dieser Maßnahme und endet in einem bitterbösen Finale, welches einen mit gemischten Gefühlen zurücklässt.
Konsequent subjektiv
Insbesondere musikalisch setzt der Film Akzente. Während Synthesizer auf das Zukunftsszenario der (aus Sicht der Produktion noch entfernten) 80er Jahre einstimmen, spielt auch klassische Musik eine bedeutende Rolle. Beethovens Neunte Sinfonie ist eng an Alex’ Geisteszustand gekoppelt. Diese Sinfonie ist seine Sinfonie und beinhaltet Vergewaltigung und Gewalt. Woher er aus dem Stück seine menschenverachtenden Handlungen ableitet, weiß nur er selbst. Sein Leben ist eine einzige Groteske, ein Zusammenschnitt seiner eigenen Triebe. Diese Grenzen werden bewusst überschritten, um Zuschauererwartungen abzufragen und konsequent zu vernichten. Es ist zu keinem Zeitpunkt offensichtlich, was als nächstes geschehen wird. Diese Ungewissheit setzt der Film wirkungsvoll und künstlerisch um, denn Alex’ Welt ist bunt. Sein Zimmer ist voller knalliger Farben und der Plattenladen, den er besucht, steht ebenfalls im Kontrast zu der sonst grauen und sterilen Welt, die sich in den meisten Sets widerspiegelt. Bis heute finden sich immer wieder Referenzen auf die kontrastreiche und vollkommen subjektiv eingefärbte Welt aus Uhrwerk Orange.
Fazit
Uhrwerk Orange erfüllt alle für Stanley Kubrick typischen Merkmale: Zu Beginn irritierend, voller Gewalt, gesellschaftskritisch. Malcolm McDowell überzeugt hierin komplett und trägt die Verfilmung fast im Alleingang. Dank ihm ist Alex zu einer Kultfigur avanciert. Seine Fratze mit den aufgerissenen Augen bewegt sich im Olymp der Popkultur irgendwo zwischen dem Duschvorhang aus Psycho und dem Schweineblut aus Carrie. Sicherlich gibt es heute brutalere Filme. Doch nur wenige wirken derart intensiv und vielschichtig wie Stanley Kubricks Meisterwerk. Obwohl die Erzählwelt in einer fernen Zukunft spielt, fühlt sich diese erstaunlich realistisch an und wird erst dann grotesk, wenn Alex’ Perspektive über die Realität gelegt wird.