Burn – Hell of a Night
Was bietet sich für einen Thriller eher an als ein überschaubares Plätzchen, auf dem die wichtigsten Figuren auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Zahlreiche Thriller wie Panic Room oder Escape Room beweisen, dass sich mit überblickbaren Möglichkeiten ganz neue Ideen auftun und Figuren vor Herausforderungen stellen, die ein Umdenken verlangen. Mit seinem am 29. November 2019 erschienen Debütfilm Burn – Hell of a Night stellt Regie-Neuling Mike Gan unter Beweis, wie effektiv er sein Kammerspiel mit einer Hand voll Figuren innerhalb einer Tankstelle gestalten kann. Mitten im Geschehen: Hunger Games-Star Josh Hutcherson.
Melinda (Tilda Cobham-Hervey, Hotel Mumbai) ist eine junge Frau, die sich nach männlicher Nähe sehnt. Höflich und ziemlich exzentrisch. Das Ziel ihrer Begierde: Der smarte Officer Lu (Harry Shum Jr., Crazy Rich Asians). Dieser schaut nämlich immer wieder mal während Melindas Nachtschicht in einer Tankstelle vorbei. Doch dieser Abend fordert Melinda so einige Nerven ab. Sie muss die Schicht mit ihrer ungeliebten Kollegin Sheila (Suki Waterhouse, Pokémon Meisterdetektiv Pikachu) verbringen, die eben so hübsch wie unsympathisch ist. Und damit ist sie dummerweise ziemlich erfolgreich bei den männlichen Kunden, die nur ein Auge für die Blondine haben. Das nagt gehörig an Melindas Selbstbewusstsein. Der Abend nimmt einen unvorhergesehenen Verlauf, als mit Billy (Josh Hutcherson) ein junger Mann die Tankstelle betritt. Er ist in Not und hat nur ein einziges Ziel vor Augen: Das schnelle Geld. Eigentlich will er die beiden Mädchen nur bedrohen und mit dem Geld verschwinden, doch die Situation löst etwas in Melinda aus. Sie fühlt sich angezogen von dem Gedanken, gemeinsam mit dem attraktiven Räuber abzuhauen. Nach und nach läuft die gesamte Situation aus dem Ruder …
Seelenstrip, Schicht um Schicht
Originaltitel | Burn |
Jahr | 2019 |
Land | USA |
Genre | Psycho-Thriller |
Regisseur | Mike Gan |
Cast | Melinda: Tilda Cobham-Hervey Billy: Josh Hutcherson Sheila: Suki Waterhouse Officer Liu: Harry Shum Jr. Perry: Shiloh Fernandez |
Laufzeit | 88 Minuten |
FSK |
Geradezu vorbildlich nimmt sich Mike Gan Zeit, um seine Hauptfigur Melinda zu ergründen. Sie wird zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung, welcher dem Zuschauer mit jeder verstrichenen Minute weitere Rätsel aufgibt. Ist Melinda nun unglücklich oder ist sie einfach nur arm dran? Ist sie geistig fit oder stimmt mit ihr etwas nicht? Bis wohin ist es eine schrullige Angewohnheit und ab wann beginnt eine ernstzunehmende Psychose? Fragen dieser Art erfordern viel Beobachtungsgabe, was durch die überragenden Leistungen von Tilda Cobham-Hervey unheimlich Freude bereitet. Sie spielt die exzentrische Melinda mit einer solchen Präzision, dass man der Figur ohne zu zögern Facettenreichtum attestieren kann. Überraschend austauschbar fällt die Besetzung von Josh Hutcherson aus. Der kann seinem Billy zwar genügend Ungeduld und Charisma verleihen, wirkt darüber hinaus aber einfach nicht ernstzunehmend, sodass es kaum verwundert, dass auch Sheilas Respekt ihm gegenüber eher gering ausfällt. Suki Waterhouse mimt eine fiese und provokante Sheila, mit der man keine Nachtschicht teilen möchte. Im direkten Vergleich mit Melinda fallen die anderen Figuren geradezu eindimensional aus.
Überraschende Debüt-Qualitäten
Besonders hervorzuheben ist das Ausnutzen des Settings. Wie eindrucksvoll so eine Tankstelle bei Nacht sein kann, bewies bereits der dänische Torture Porn Finale. Regisseur Gan holt sogar noch ein wenig mehr aus dem so gewöhnlichen und gleichzeitig unverbrauchten Schauplatz heraus. Immer wieder findet er neue Winkel und Perspektiven, welche das Gefühl verleihen, zusammen mit Melinda, Sheila und Billy auf engstem Raume zu sein. Dafür muss er gar nicht erst tief in die Trickkiste greifen, denn die Kamera klebt an Melinda und verlässt auch den Außenbereich der Tankstelle nicht. Ein weiterer Punkt, der dem Film auf den ersten Blick nicht zuzuordnen ist: Hier spielen Gewalteinwirkung und sexueller Missbrauch eine Rolle. Keine tragende (die Handlung hat es nicht nötig, sich darüber zu definieren), doch beides ist vorhanden und sorgt für den einen oder anderen Aha-Effekt.
Anfang und Ende in den Sand gesetzt
Erzähltechnisch beginnt der Film leider mit einem einzigen Ärgernis: Er steigt direkt mit einem Flash Forward ein und zeigt uns wenige Minuten vor dem Ausgang der Geschichte. Eine Erzähltechnik, die selten funktioniert, denn was cleveres Foreshadowing sein will, artet häufig in unnötige Spoilerei aus. So auch in diesem Fall, in dem wir erfahren, dass sich Melinda und Billy am Ende in einem Kampf gegenüberstehen. Ärgerlich, denn Burn – Hell of a Night funktioniert auch ohne diesen Mechanismus wunderbar. Der zweite Knick in der Kurve geschieht allerdings erst am Ende. Der Erzählausgang fällt schon ziemlich abrupt aus und fördert den einen oder anderen Seufzer zu Tage. Gibt sich die Geschichte bis dahin konsequent und überraschend, fällt der Schluss viel zu klassisch aus, um den sonstigen mutigen Entscheidungen gerecht zu werden.
Fazit
Burn – Hell of a Night ist weit davon entfernt, gängigen Mustern zu folgen, sondern überrascht mit den unvorhersehbaren Entscheidungen seiner psychisch labilen Hauptfigur. Wunderbar von Tilda Cobham-Hervey porträtiert, ist Melinda das Highlight des Films. Gegen sie wirken die anderen Figuren ein wenig einfältig. Doch die Hauptsache ist, dass die Produktion den Genre-Spielregeln gerecht wird und, wie es sich für einen Psycho-Thriller gehört, mit einer sich konsequent von Anfang bis Ende vorhandenen Spannung aufwartet. Der anfängliche Spoiler sowie das flache Ende werden einige Zuschauer verprellen, doch unterm Strich liefert Mike Gan ein solides Erstwerk ab, bei dem es angesichts der teilweise mitleidserregenden Thematik schwer zuzugeben fällt, dass der Film Spaß bereitet.
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