Onward: Keine halben Sachen

Mit der Magie verhält es sich wie mit der Kunst: Sie ist schön, macht aber viel Arbeit. Warum einen Lichtzauber wirken, wenn man auch eine Lampe anknipsen kann? Disney/Pixars Film Onward: Keine halben Sachen entwirft eine Welt der Elfen, Drachen und Zentauren, in der die Magie Stück für Stück durch Technik ersetzt wurde. Und so sieht das Elfenreich allmählich aus wie ein ganz normaler amerikanischer Vorort, wo erwachsene Fabelwesen bürgerlichen Berufen nachgehen und der Nachwuchs mit Highschool-Problemen zu kämpfen hat. Magie gibt es nur noch in Tabletop-Rollenspielen. Aber was, wenn wann man sie mal ganz dringend braucht? Es wäre nicht Disney, wenn es nicht außerdem um Familie, Selbstvertrauen und den komplizierten Weg ins Erwachsenwerden ginge.

 

Elfenjunge Ian hat blaue Haut, spitze Ohren und wohnt in einem Pilz. Aber er muss sich mit den Problemen eines ganz normalen US-Teenagers herumschlagen: Mamas neuer Freund, die Qual, an der Highschool nicht zu den coolen Kids, sondern zu den Schüchternen zu gehören, angsteinflößende Fahrstunden und sein oberpeinlicher Bruder Barley, der Rollenspiel-Nerd. Und er vermisst seinen Papa, an den er sich kaum erinnern kann, denn der starb, als Ian noch ein Baby war. Papas posthumes Geschenk an seine Söhne, zu überreichen an Ians 16. Geburtstag, ist ein Zauberstab, mit dem die Jungs ihren Vater für einen Tag zurückzaubern können. Aber Magie ist eine vergessene Kunst im technikbegeisterten Elfenreich. Barley glaubt dank seiner Rollenspielerfahrung alles über Magie zu wissen, hat aber null magische Begabung. Ian ist der geborene Zauberer, hat aber keinen Funken des für Zauberei so wichtigen Selbstvertrauens. Und so schlägt der Zauber fehl und sie zaubern nur den halben Papa herbei. Genau gesagt, Papas untere Körperhälfte, von den Füßen bis zum Bauch. Um den Rest von Papas Körper herbeizuzaubern, brauchen sie einen magischen Kristall. Barley weiß Bescheid: Das ist eine Quest. Wie in einem Rollenspiel. Da muss man in die verrufene Schenke, um die Schatzkarte zu finden, dann den Wegweisern folgen, Aufgaben lösen, geheimnisvolle Zeichen deuten, Fallen ausweichen, Monster besiegen. Also machen sie sich in Barleys klapperigen Hippie-Van Krimhild auf den Weg ins Abenteuer, den halben Papa im Schlepptau. Bis zum Sonnenuntergang haben sie Zeit, dann ist Papa für immer verschwunden …

Wenn Technik Magie verdrängt

Originaltitel Onward
Jahr 2020
Land USA
Genre Animationsfilm, Fantasy
Regie Dan Scanlon
Cast Ian Lightfoot: Tom Holland
Barley Lightfoot: Chris Pratt
Laurel Lightfoot: Julia Louis-Dreyfus
Corey: Octavia Spencer
Colt Bronco: Mel Rodriguez
Specter: Lina Waithe
Gore: Ali Wong
Laufzeit 103 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 23. Juli 2020

Was den Zuschauer als erstes in den Bann zieht, ist die Welt, die Onward: Keine halben Sachen aufbaut. Seitdem alles, was mit Magie bewirkt werden kann, auch durch Technik gelöst wird, ist die Welt der Märchen und Sagen ganz nah an die ganz normale Menschenwelt gerutscht. Nixen dümpeln im Planschbecken, Zentauren fahren Auto. Aus der verrufenen Taverne, wo alle Abenteuer beginnen, ist Event-Gastronomie mit Kindergeburtstagen und Karaoke-Bar geworden. Alles ist so banal und harmlos und jeglichen Zaubers beraubt. Abenteuer? Wer soll denn die Versicherung bezahlen? Das schlägt sich auch auf die Bewohner nieder. Die kleinen Feen wissen nicht mehr, wozu ihre Flügel da sind. Das feuerspeiende Ungeheuer wurde zur gestressten Kellnerin. Drachen sind putzige Haustiere oder niedliche Maskottchen. Und Einhörner sind lästige Schädlinge, die in Mülltonnen wühlen. Es macht Spaß, zuzusehen, wie dieser Gedanke bis in kleinste Details durchgedacht und ausgemalt wird.

Einen Papa suchen und einen Bruder finden

In den letzten Jahren mussten deutsche Untertitel von Disney-Filmen zwanghaft kalauern. Ob “Neu verföhnt” oder “Völlig unverfroren”, es musste einfach ein billiger Wortwitz die Handlung zusammenfassen und dabei schmerzhaft knapp danebenliegen. So auch “Onward: Keine halben Sachen”. Die halbe Sache ist die untere Hälfte von Papas Körper, die die Halbwaisen Ian und Barley herbeigezaubert haben. Ein Paar Beine begleitet die Brüder auf ihrem Weg durchs Abenteuer und holt erstaunlich viel aus dieser Prämisse heraus. Beine können stolpern und treten und stupsen und tanzen. Die Brüder wollen natürlich den ganzen Papa, denn beide leiden darunter, vaterlos aufgewachsen zu sein und ihre Probleme, Ians fehlendes Selbstbewusstsein und Barleys vorgebliche Draufgängerei haben viel damit zu tun, dass sie den Vater vermissen. Aber in dem Maße, wie das Zeitfenster für eine Begegnung mit Papa immer kleiner wird, wird ihnen klar, dass sie immer auch einander hatten und nur mit vereinten Kräften und Vertrauen ineinander ihre Abenteuerfahrt bestreiten können. Disneys Familiy Values pur. Zum Glück nicht peinlich.

Magie ist Identitätsfindung

Am Ende hat Ian sich zum fähigen Zauberer gemausert. Aber eigentlich hat er nur gelernt, seine Ängste in den Griff zu bekommen und Herausforderungen selbstbewusst anzugehen. Ähnlich ergeht es den anderen Fantasyfiguren: Die Feen entdecken ihre Flügel wieder. Der Zentaur steigt nicht mehr ins Auto, sondern galoppiert wieder durch die Straßen. Mama hat die innere Kriegerin in sich entdeckt, als sie für ihre Söhne einstehen musste und Corey, der Manticor besinnt sich auf ihre Identität als feuerspeiende Bestie. Kindergeburtstage gibt es in ihrer Taverne immer noch, aber die Kinder haben an einem echten Ungeheuer viel mehr Spaß als an einer genervten Kellnerin. Magie ist, wenn du dich auf dich selbst besinnst und deinen verschütteten Fähigkeiten freien Raum gibst. Ein Fazit wie eine Kalenderweisheit, das muss bei Disney wohl so sein. Aber immerhin wirkt die Botschaft nicht wie nachträglich aufgepappt, sondern wird den ganzen Film hindurch anhand verschiedenster Figuren nachvollziehbar durchgespielt.

Fazit

Insgesamt ist Onward: Keine halben Sachen nicht der brillanteste Disney/Pixar-Film, aber solide Unterhaltung. Alles steht Kopf hat die deutlich pfiffigere Grundidee und die überzeugendere Umsetzung. Die Prämisse “Technik verdrängt Magie” liefert eine ausbaufähige Erzählwelt mit vielen lustigen Details. Die Idee, ironisch mit Elementen des Rollenspiels umzugehen und einen RPG-Nerd und einen RPG-Noob auf eine RPG-Quest zu schicken, hat ihre Reize, aber auch eine selbstgebaute Falle. RPG-Quests können ganz schön langweilig und vorhersehbar sein. Ein Spieler kann an seiner Aufgabe auch scheitern, das macht die Spannung aus. In einem Film zweifelt niemand einen Moment daran, dass sie den magischen Kristall auch finden. Bis auf die Kinder im Saal, die vor Spannung kaum auf ihren Sitzen zu halten waren, als der große Drache kam. Insofern hat Onward: Keine halben Sachen sein Ziel durchaus erreicht: die Zielgruppe war glücklich.

© Walt Disney Studios Motion Pictures


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