Westworld (Staffel 3)
Westworld ist zurück und der Stammtisch der TV-Philosophen jubelt auf. Die erste Staffel von HBOs Sci-Fi-Serie, in der reiche Schnösel in Androiden-Parks ihre wildesten Fantasien ausleben können, gilt als wahre Perle der Serien-Landschaft, dicht erzählt, mit intensiven Plots und sehr viel Brainteasing. Das zu toppen haben Showrunner Lisa Joy und Jonathan Nolan in der zweiten Staffel zwar versäumt, doch die dritte Staffel „The New World“ versucht’s nachzuholen, indem sie (endlich) den Wilden Westen verlässt und das Publikum in die Welt der Menschen verfrachtet. Mit dabei: Breaking Bad-Star Aaron Paul als missverstandener Bauarbeiter und Ex-Soldat. Ist das der bitter nötige Neuanfang, den es gebraucht hat, oder nur eine weitere von Westworlds Illusionen?
30 Tage nach dem Massaker im Westworld-Park: Unser Racheengel-Host Dolores (Evan Rachel Wood, Into the Forest) hat es in die reale Welt geschafft und versucht über investigatives Anbiedern an die Firma Incite Inc. heranzukommen. Deren KI Rehoboam regiert die Welt und Dolores gedenkt genau das zu ändern. Bernard (Jeffrey Wright, Source Code) gilt mittlerweile als gesuchter Massenmörder, da man ihm das Delos-Massaker anlastet, wohingegen Charlotte Hale (Tessa Thompson, Auslöschung) den Vorstand von Delos übernommen hat. Viele alte Gesichter, doch unter ihnen auch ein neues: Der melancholische Ex-Soldat Caleb (Aaron Paul, Breaking Bad) versucht über den Verlust seines Kameraden hinwegzukommen und vertreibt sich die Zeit mit Crime-Jobs. Bei einem davon kommt er Incite Inc. gefährlich nahe und gerät in den Dunstkreis von Dolores. Er ahnt nichts von ihrer Androiden-Natur und schließt sich ihr an, um die KI Rehoboam auszuschalten. Doch ihr gemeinsamer Gegenspieler, der KI-Vater Serac (Vincent Cassel, Underwater – Es ist erwacht), ist alles andere als ein wehrloses Würstchen.
Singapur ist das neue Westworld
Originaltitel | Westworld – The New World |
Jahr | 2020 |
Land | USA |
Episoden | 8 in Staffel 3 |
Genre | Science-Fiction, Drama |
Cast | Dolores Abernathy: Evan Rachel Wood Caleb Nichols: Aaron Paul Charlotte Hale: Tessa Thompson Engerraund Serac: Vincent Cassel Bernard Lowe: Jeffrey Wright William: Ed Harris Maeve Millay: Thandie Newton Ashley Stubbs: Luke Hemsworth Lee Sizemore: Simon Quarterman |
Veröffentlichung: 26. November 2020 |
Nach der Überdosis an flirrender Sonne und Wüstensand, der die Nivea-verwöhnte Haut reizt, erleben wir mit Westworlds dritter Staffel endlich die reale Welt der Menschen – jene Welt, die angeblich im Niedergang begriffen ist, da Dolores bereits in Folge 2×03 die Menschheit als eine Art bezeichnet, die sich weigert zu sterben. Bei solchen Sprüchen erwartet man apokalyptisch entstellte Stadtreste mit eingebrochenen Wolkenkratzern, nicht aber so etwas Hinreißendes wie es uns letztendlich geboten wird. Die dritte Staffel schwelgt in einer wunderprächtigen futuristischen Szenerie, die alle technischen Extras bietet, auf die man nur hoffen kann – von unterschiedlichsten Kommunikationstechniken über fancy Autos, Roboter und Hosts bis hin zu fortschrittlicher Virtual Reality. Kein Dauerregen wie bei Blade Runner, sondern groß, offen und lichtdurchflutet. Und das Beste: die Architektur. Und daran wiederum das Beste: die Architektur ist echt. Folge 1 ist quasi ein einziger Image-Film der Stadt Singapur. Alle Orte sind real existent, selbst die U-Bahn-Station und die Inneneinrichtung der U-Bahn-Wagons. Ästhetik pur, man könnte jede Szene einrahmen. Dolores würde sagen: „Have you ever seen anything so full of splendor?“
Der Neue in einer determinierten Welt
Mit der neuen Kluft kommt auch ein neuer Protagonist. Wir treffen auf Caleb, einen müden Ex-Soldaten mit PTBS, der als Bauarbeiter seine Brötchen verdient und nebenbei Crime-Jobs über seine Crime-App „Rico“ annimmt. Caleb wird als inkompatibler Außenseiter porträtiert, daher verwundert es auch nicht, dass gerade er dazu auserkoren ist, auf Dolores zu treffen und ihr neuer Best Buddy zu werden. Gemeinsam versuchen sie Incite Inc. zu infiltrieren und an deren KI Rehoboam heranzukommen. Rehoboam lenkt mit Hilfe ausgefeilter Algorithmen die Geschicke der Regierungen und bringt jeden einzelnen Menschen auf Kurs, indem es dessen Potential berechnet und erkennt. Im Laufe der Staffel sehen wir immer mehr von dieser durch Algorithmen getriebenen Welt und stellen fest, dass manchen Menschen vorsätzlich eine gute Zukunft untersagt bleibt. Wer z. B. laut Rehoboams Berechnungen in zwölf Jahren Selbstmord begehen wird, in den wird auch nicht investiert. Damit erzeugt die KI quasi eine selbsterfüllende Prophezeiung. Auf diese Weise bringt Westworld große Konzepte wie Determinismus und Big Data hervor. Wann wird das „Tracken von Daten“ zu „Determinieren von Leben“?
Alter Trott wird zur lahmen Kiste
Neuer Look, neue Gesichter, neue Kernthemen. Zunächst fühlt sich die dritte Staffel von Westworld tatsächlich wie eine Erfrischungskur an. Doch es dauert nicht lange und die Serie findet zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Es wird mit kryptischen Expositionen um sich geworfen, beim altbekannten Spiel „Simulation innerhalb einer Simulation“ wird nun noch eine weitere Simulations-Schicht oben drauf gepackt und die Delos-Security macht sich wie eh und je zum Affen, indem sie einfach niemandem gescheit Parole bieten kann. Es gibt viele Musikvideo-Szenen, schwere Blicke und Slow-Motion. Oft sollen diese künstlerischen Abstecher eine gewisse Metapher und Analogie transportieren (Beispiel Calebs Drogentrip in Folge 3×05), die man als solche auch erkennen mag, trotzdem fühlt es sich belanglos an. Ähnlich nichtssagend wie die Action. Zwar schaut diese stets stylish aus, aber ehrlich gesagt sind es doch immer dieselben gesichtslosen Schläger, die auf anonym futuristischen Straßen niedergemäht werden. Die Action wirkt wie Filler-Material, und vieles andere eben auch: Nazi-Eklats in Warworld, Cameo-Auftritte der Game of Thrones-Macher, Lee Sizemore, der sich ver- und wieder entliebt – alles Spielereien, die keine Auswirkungen haben und damit obsolet sind. Ein Filler per se ist nichts schlimmes – Himmel, die beste Folge in Staffel 2 ist ein reiner Filler – aber trotzdem: Staffel 3 tritt besonders stark auf der Stelle.
Wie schlägt sich der Cast?
Dabei wartet die Serie wie gewohnt mir starken Darstellern auf. Dolores ist in ihrer Rolle als schnittiger Mordbrenner wie immer wunderbar anzuschauen – obwohl man sagen muss, dass ihre Motivationen nie wirklich klar sind und sich zum Ende sogar mit Folge 2×01 beißen. Tessa Thompson als Charlotte Hale hat sich in Staffel 3 zu einer äußerst spannenden Figur entwickelt, da sie nun einen Hale-Host spielt, dem ein falsches Bewusstsein eingepflanzt wurde. Get it? Ein (uns anfänglich unbekanntes) Bewusstsein versucht im Körper von Hale eben jene Hale zu imitieren … auch deren Muttergefühle, was unweigerlich zu Diskrepanzen zwischen Körper und Geist führt und eine wahre Identitätskrise heraufbeschwört. Vincent Cassel als KI-Schöpfer und Antagonist Serac ist auf seine Art charismatisch und schmierig, erreicht aber nie den bannenden Charme wie seinerzeit Anthony Hopkins als Westworld-Direktor Ford (zugegeben: Anthony Hopkins ist auch ‘ne Hausnummer). Aaron Paul als Caleb hingegen macht bei seiner unbeabsichtigten Wandlung von Dolores‘ Haustier zum Rädelsführer einer weltumspannenden Revolution eine bemitleidenswert gute Figur.
Unwichtig, irrelevant und nicht von Bedeutung
Doch auch die stärksten Figuren leiden unter der in Staffel 3 praktizierten „Ist egal“-Politik. Nehmen wir Maeve. Sie hat in Staffel 1 und 2 bewiesen, dass aus der augenscheinlich simplen Puffmutter ein richtig großer Fisch werden kann. Doch ihre Daseinsberechtigung in Staffel 3 muss man suchen – ebenso wie eine nachvollziehbare Motivation (siehe Folgen 3×07 und 3×08). Maeves ganze bis dato erfolgte Reise wird auf einen groben Plot Device-Mechanismus herunter gebrochen, der der Aufgabe dient, Dolores die Reise zu erschweren. Weiter geht’s mit William. Nachdem er den Großteil der Zeit auf der Wartebank sitzt, gönnt man ihm in Folge 3×06 einen toll inszenierten Entwicklungshöhepunkt (pures Charakter-Gold). Doch letztendlich gipfelt sein ganzer Erzählstrang im schönen Nichts. Williams Anwesenheit wird dadurch zu einem simplen Gastaufritt, der uns viele seiner geliebten „Fucks“ beschert, aber ohne Bedeutung ist. Und Bernard? Für ihn gilt dasselbe. Er und Stubbs leisten William in der Gruppe der schlechten Cameos Gesellschaft (siehe Folge 3×08) und sind Teil der oben aufgelisteten irrelevanten Spielereien. Paradoxerweise werden Dinge, die relevant und interessant anzusehen wären (etwa wenn Caleb Dolores‘ wahre Natur entdeckt) in den Offscreen ausgelagert (siehe Besprechung Folge 3×07). Eine seltsame Gewichtung der Prioritäten.
Fazit
Als Westworld-Fan der ersten Stunde muss ich sagen, dass die Geschichte nicht mehr so befriedigend ist wie früher. Die einzelnen Plots zu verfolgen und zu verstehen ist mehr Arbeit als Spaß (früher war es Arbeit UND Spaß) und die Empathie für die Figuren ist quasi wie weggefegt. Die dritte Staffel von Westworld leidet an einer Form von narrativer Fehlausrichtung; alles ist chaotisch, irrelevant (oder relevant, aber nicht zu sehen) und mir persönlich ziemlich wurscht. An Staffel 2 kann man berechtigterweise viel aussetzen, aber selbst im schlimmsten Fall war diese noch im Ansatz interessant. Staffel 3 jedoch ist es gelungen, Non-Stop-Action und eine weltumspannende soziale Katastrophe unfassbar langweilig zu gestalten. Und wofür am Ende alle gekämpft haben, ist mir auch nicht klar. Für Roboterrechte? Menschenrechte? Wahlrechte? Oder das ätherische Konzept der Freiheit? Keine Ahnung. Westworld hat seine Parkanlagen verlassen und sich irgendwie verlaufen.
© Sky Deutschland, Warner Home Video
Veröffentlichung: 26. November 2020