Ghostrunner

2020 galt unter Gamern als das Jahr des Cyberpunks. Der Knallertitel, auf dem diese Würdigung fußt (Cyberpunk 2077 von CD Project Red), sitzt zwar noch auf der Wartebank, dafür aber lassen die Entwickler von One More Level und Slipgate Ironworks schon mal ihren Ghostrunner auf die Gaming-Welt los – einen überaus agilen Robo-Ninja, der im halsbrecherischen Tempo und mit blitzschneller Action durch eine Cyberpunk-Megastruktur prescht und augmentierte Typen niedermäht. Ghostrunner feiert die Bewegung und ist perfekt für diejenigen, die eine berauschende, cyberpunk’sche Herausforderung suchen.

   

Das Jahr 2156: Ein nicht näher spezifiziertes Großereignis löscht den Großteil der Menschheit aus. Überlebt haben nur diejenigen, die im „Dharma-Tower“ leben, einem monolithischen Koloss, gebaut von Billionär Adam Hamada. Der obere Distrikt namens „Dharma City“ ist reserviert für die Privilegierten, während unten in „der Basis“ die Arbeiter ausgebeutet werden. Adams höchstes Ziel ist das Überleben der Menschheit. Zu diesem Zwecke hält er die Menschen unter seiner Knute und setzt Ghostrunner ein (schwertschwingende Roboter), die für Ordnung sorgen und ihn selber beschützen sollen. Doch Adams Arbeitskollegin Mara unternimmt einen Putsch. Sie deaktiviert und zerstört die Ghostrunner und ermordet Adam, um ihre eigene Vision für die Menschheit umzusetzen. Ghostrunner GR-74 ist der letzte, der ihr die Stirn bietet, unterliegt aber ebenfalls und wird von Mara in die Tiefen des Towers gestoßen. Notdürftig von der Rebellengruppe „die Erklimmer“ repariert, erwacht GR-74 Monate später im Basis-Distrikt. Angeleitet von einer KI namens „der Architekt“ macht sich der letzten lebende Ghostrunner daran, den Turm erneut zu erklimmen und Mara zu töten.

Der Cyperpunk tropft aus jedem Knopfloch

Originaltitel Ghostrunner
Jahr 2020
Plattform PC, PlayStation 4, Xbox One, Nintendo Switch, PlayStation 5, Xbox Series X/S
Genre Action, 3D-Platformer
Entwickler One More Level, Slipgate Ironworks
Publisher 505 Games, All in! Games
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 27. Oktober 2020

Ghostrunner ist ein Hardcore-Cyberpunk-Titel und bietet so ziemlich alles, was man von diesem Subgenre erwartet. Es gibt fortschrittliche technologische Spielereien wie KI und Kybernetik, während gleichzeitig radikale Veränderungen zum Zusammenbruch der sozialen Ordnung geführt haben. Unten im Dharma-Tower rotten die Milieus so vor sich hin (inkl. Cyberpunk 2077-Graffitis an den Wänden, nettes Easter Egg), oben wütet eine technikbegeisterte Despotin und generell allgegenwärtig sind neonfarbene Leuchtreklamen sowie beatlastige Synthwave-Mucke von Daniel Deluxe – visuell und akustisch macht Ghostrunner einfach einen mega stylishen Eindruck. Während wir im Speedy Gonzales-Tempo durch den Industrie-Turm sprinten, Wände entlang sliden und Gegner mit unserem Katana schnetzeln, bringt uns der Architekt die Lore näher. Im Spiel verstecken sind darüber hinaus sammelbare Artefakte und Audio Logs, die uns ebenfalls kleine Anekdoten aus der Spielwelt erzählen. Passanten gibt es keine, denn sehr zur Freude der NPC-Developers herrscht im Turm Ausgangssperre. Nur manchmal sind hinter den verschlossenen Wohnungstüren, an denen der Ghostrunner vorbei prescht, Stimmen zu hören.

Das Trio Infernale

Der Architekt ist nicht die einzige Stimme in GR-74 Kopf. Kurz nach unserem Erwachen schaltet sich per Funk Zoe dazu, die letzte Überlebende der Erklimmer. Zoe ist die kämpferische Idealistin, die diesem Gespann männlicher Unmenschlichkeit die nötige Portion Mitgefühl beibringt – sehr zum Missfallen des Architekten. Dieser denkt rein effizient und scheut auch nicht davor zurück, eine Minderheit zu opfern, damit die Mehrheit überlebt. Mehr als einmal verfällt der Architekt in elegante Lästerei über Zoes Art – elegant deshalb, da der Architekt ein wortgewandter Gentleman mit leiser Ironie ist. Dagegen wirkt der Ghostrunner mit seinem gelebten Pragmatismus und der lakonischen Ausdrucksweise wie eine Robo-Variante von Geralt von Riva (The Witcher), auch wenn er nur insgesamt zwei Mal das geralt-typische „Hmm …“ vom Stapel lässt. Das Trio um den Ghostrunner bereichert die Parkour-Einlagen und gibt dem Spiel Persönlichkeit und Charme, denn die englischen Synchronsprecher machen einen echt guten Job.

Frustfreier Parkour

Ghostrunner ist ein actiongeladener Parkour-Slasher mit anspruchsvollen Lauf-, Kletter- und Sprungpassagen. Die Kämpfe und die Akrobatik-Abschnitte sind fordernd und die Anzahl der eigenen Tode steigt schneller auf 100, als man Quidditch sagen kann. Doch Frust kommt selten auf, da es pro Level unzählige und immer korrekt vor der Hürde platzierte Checkpoints gibt. Stirbt man, geht es ohne die geringste Verzögerung – also quasi noch im Lauf – am letzten Checkpoint wieder los. Dabei gibt es dank der Spielmechanik, der erwerbbaren Spezialfertigkeiten und des Leveldesigns immer mehrere Varianten, die Gegner platt zu machen. Manchmal läuft es aber auch darauf hinaus (gerade bei den Geschicklichkeitspassagen), dass man die Movements auswendig lernen muss und sich dieserart nur zähneknirschend Stück für Stück vorarbeiten kann, etwa beim Bosskampf gegen eine gewisse Riesenmaschine (Holy Shit, das ist Chaos in Reinform, Anm. d. Red.). Aber auch hier sind die Checkpoints wieder fair und nahtlos gesetzt und man wird nie aus dem Flow gerissen.

1 Hit, 1 Kill

In Ghostrunner gibt es verschiedene Gegnertypen. Die meisten stehen wie Schießbudenfiguren herum und warten ergeben auf unseren Schwerthieb, andere sind Melee-Freaks und springen uns aus 100 Metern Entfernung mit einer fetten Faust ins Gesicht, während die röchelnden Kamikaze-Krabbler gerne in unmittelbarer Nähe explodieren. Die Gegner an sich sind keine harte Nuss. Die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, an sie heran zu kommen ohne einen Treffer einzustecken – denn unser Ghostrunner hält nichts aus. Wirklich: rein gar nichts. Zwischen Tod und Erfolg passt kein Blatt mehr (das Hotline Miami-Easter Egg in Level 3 kommt nicht von ungefähr). Wir können lediglich mit rasender Akrobatik, zugeschalteter Zeitlupe und großzügigem Rumgedashe einem Adhoc-Tod entgehen. Die oben erwähnten Spezialfähigkeiten schalten wir frei, indem wir uns mit Hilfe des Architekten in den Cybervoid einklinken (ein den Turm umspannendes digitales Netzwerk) und dort kurzweilige Rätsel lösen. Im Menü mixen wir uns dann einen Cocktail aus Skill-Modulen zusammen und können unsere Spezifikationen anpassen, je nachdem, welche für die kommende Hürde benötigt werden. Auch kann man im Spiel weitere Schwerter sammeln und ausrüsten. Kampftechnisch macht das zwar keinen Unterschied … aber es sieht halt mega fancy aus.

Fazit

Ghostrunner macht einfach Bock. Als Robo-Ninja zu düster pumpenden Synthwave-Mucke mit einem regenbogenfarbenen Katana Gegner halbieren – ein Träumchen. Dufte Grafik, tolles Leveldesign und reibungsloses Gameplay. Die Steuerung des Ghostrunners flutscht und man rennt sich quasi in einen Rausch bei der Suche nach der elegantesten und blutigsten Choreographie. Die „Ein Treffer = tot“-Mechanik macht das Spiel sicher auch für Dark Souls– und Hotline Miami-Fans zu einer echten Herausforderung. Die vom Spiel geforderte Präzision ist verrückt. Dank großzügig verteilter Checkpoints fühlt sich Ghostrunner aber nie wie eine Strafe an. Vielmehr ist jeder erreichte Checkpoint unendlich befriedigend. Überrascht bin ich auch dahingehend, dass es in Ghostrunner eine solide Story gibt inkl. leicht bittersüßem Ende und einer richtigen Slide-Show zum Ausklang. Wie gesagt: Ghostrunner ist ein Träumchen.

© 505 Games, All in! Games

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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