Mindhunter (Staffel 1)
Auf den ersten Blick kommt Mindhunter nicht sonderlich aufregend daher. Mit David Fincher (Sieben) nimmt zwar einer von Hollywoods großen Namen für vier Episoden auf dem Regiestuhl Platz und er ist wie Charlize Theron (Monster) einer der ausführenden Produzenten, aber da hört es mit dem Hollywood-Pantheon auch schon auf. Warum die Serie trotzdem fesselnd und sehenswert ist, dazu sollte man sich vielleicht einfach hinsetzen, das Aufnahmegerät anschalten und zuhören.
Es ist das Jahr 1977: Holden Ford ist Ausbilder an der Agentenschmiede des FBI in Quantico und dort Spezialist für Verhandlungen in Geiselsituationen. Nachdem sich ein geistig verwirrter Geiselnehmer bei einem Einsatz vor seinen Augen umbringt, wird Ford immer mehr von Zweifeln verfolgt, ob die Methoden des FBI wirklich genug sind, um mit den modernen Verbrechen umzugehen. Verbrechen, wie die der Nation immer noch frisch im Gedächtnis liegenden Morde der Manson-Familie in den späten 60ern, einer von vielen Fällen, die immer irrationaler, brutaler und schockierender werden. Reicht es wirklich zu sagen, dass manche Menschen einfach böse sind und so geboren werden? Wie denken Serienmörder? Wie legt man ihnen möglichst schnell das Handwerk? Wie entstehen sie und kann man dies präventiv verhindern? Nachdem sich Holden eher fruchtlos an einer Universität auf den neuesten kriminalpsychologischen Forschungsstand gebracht hat, findet er bei seinem FBI-Kollegen in der Verhaltensforschung Bill Tench ein offenes Ohr. Holden nimmt dessen Angebot wahr, ihn auf Fortbildungsveranstaltungen zu begleiten, die das FBI für Polizisten überall in den USA veranstaltet. Zweck ist es dabei, mit diesen Erfahrungen auszutauschen und neue Einsichten zu erlangen. Wenn auch zunächst erleuchtend für ihn, reicht das Holden noch nicht. Also geht er einen Schritt weiter und besucht bei einem Aufenthalt in Kalifornien für ein Interview den verurteilten Mörder Edmund Kemper. Dieser hat seine Großeltern und mehrere Frauen ermordet, bevor er schließlich seine Mutter mit einem Hammer erschlagen und Oralverkehr mit ihren abgetrennten Kopf hatte. Ein überaus beredeter und höflicher Mann, wie Holden feststellt.
Basierend auf wahren Ereignissen
Originaltitel | Mindhunter |
Jahr | 2017 |
Land | USA |
Episoden | 10 (1 Staffel) |
Genre | Krimi, Drama, Thriller |
Cast | Holden Ford: Jonathan Groff Bill Tench: Holt McCallany Wendy Carr: Anna Torv Debbie Mitford: Hannah Gross Shepard: Cotter Smith Edmund Kemper: Cameron Britton Dennis Rader: Sonny Valicenti |
Mindhunter basiert auf dem gleichnamigen Buch Mindhunter: Inside the FBI’s Elite Serial Crime Unit (oder in deutscher Übersetzung: Die Seele des Mörders) verfasst von Schriftsteller Mark Olshaker und dem ehemaligen FBI-Agenten John E. Douglas. Letzterer beschreibt in dem Buch seine Arbeit, sprich: seine Begegnungen und Interviews mit Verbrechern wie Ted Bundy, Richard Speck oder Charles Manson, was letztlich mitgeholfen hat, Techniken zur modernen Erstellung psychologischer Verbrecherprofilen zu entwickeln. Wie man schon erahnen kann, basiert die Rolle Holden Ford auf Douglas, genauso wie seine ehemaligen realweltlichen Kollegen Robert K. Ressler und Dr. Ann Wolbert Burgess und deren Arbeit die Vorlage für die Serienfiguren Bill Tench und Wendy Carr bilden. Nun weiß man ja, wie das mit realen Ereignissen als Basis und deren fiktionalisierte Umsetzung ist: dass man dank kreativer Freiheiten nicht alles für bare Münze nehmen sollte. Mindhunter verwischt die Grenzen jedoch wieder etwas. Während der Kreis der Hauptfiguren und deren Privatleben auch mit geänderten Namen stark fiktionalisiert wurde, haben die interviewten Verbrecher wie Edmund Kemper die Namen ihrer realen Vorlagen behalten. Auch haben sie die in der Serie beschriebenen Verbrechen genauso ausgeführt und werden auch sonst in ihrem Aussehen und Verhalten so originalgetreu wie möglich dargestellt.
Realitätsnähe als Schauereffekt
Einerseits ist es natürlich interessant, eine in Ansätzen fast dokumentarische Serie zu sehen. Man kann beobachten, wie in früher Pionierarbeit die ganzen Begriffe und Konzepte wie “Serienmörder” oder “psychologisches Profiling” entwickelt werden, die uns heute aus jeder Krimiserie altbekannt sind. Andererseits liegt darin nicht der Reiz der Serie. Während andere Serienmörderserien (…) wie Hannibal oder Dexter auf eine nicht unerhebliche Menge an verstörenden Anblicken und Blut setzen, kommt Mindhunter gänzlich ohne optische Schocker aus. Stattdessen ist es die eingebrachte Authentizität, die Orte, die dicht gewobenen Dialoge, die einen fesseln. Die Gräueltaten der verurteilten Verbrecher werden objektiv analysierend geschildert und verbildlichen sich zwangsläufig doch in der Vorstellungskraft der Zuschauer. Die Gewissheit, dass Taten und Täter in sehr ähnlicher Art auch ihren Platz in der realen Welt haben, ist es, die den Zuschauer letztlich sehr viel intensiver verstört, beunruhigt und einem selbst auf dem heimischen Sofa bei jeder falschen Bewegung der Interviewten zusammenzucken lässt.
Ein Eisverkäufer, der Mechaniker und Agentin Dunham
Was die Besetzung angeht, springen einem die Darstellernamen nicht unbedingt ins Ohr, sind einem dann aber doch irgendwoher bekannt. Vor allem bei Jonathan Groff (Die Eiskönigin: Völlig unverfroren) überrascht es wohl, dass man ihn schon diverse Male im Zwiegespräch mit einem Rentier namens Sven gehört hat. Dieser Stimme kann man jetzt auch vor der Kamera in einer Hauptrolle ein Gesicht zuordnen. Dem gegenüber steht mit Holt McCallany ein erfahrener Darsteller, in dessen Filmographie sich Titel wie Fight Club, Alien 3 oder Sully finden, der aber selten die wirklich große Bühne zur Verfügung hatte. Während man Hannah Gross als Holdens Freundin Debbie Mitford als Newcomerin bezeichnen kann, ist dem Serienkenner Anna Torv wieder eher ein Begriff. Diese zieht es nach Fringe: Grenzfälle des FBI serientechnisch wieder zur US-Bundespolizei. Dieses Mal aber als die Psychologin Dr. Wendy Carr, die Fords und Tenchs Arbeit in wissenschaftlich verwertbare Bahnen zwingen muss. Auch schauspielerisch herrschen eher die leisen Feinheiten anstelle großer Gefühlsausbrüche vor (die aber hier auch ihren Platz haben). Die Besetzung zeigt glaubhaft, die entstehenden Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Privatleben, wenn die Beschäftigung mit Serienmördern und deren Psyche sich auch auf ihre eigene auswirkt. So kommt es vor, dass sie in der eigenen Beziehung oder Kindererziehung plötzlich Parallelen sehen und es mit der Angst vor sich selbst zu tun bekommen.
Mindhunter hat vorab nicht großartig meine Aufmerksamkeit erregt. Das ist bei der geringen Werbung im Vorfeld – die im Vergleich zu The Defenders oder Stranger Things fast schon nichtexistent war – auch kein Wunder. Mindhunter war dementsprechend ein blinder Glücksgriff, der mich immer mehr in seine dunklen Tiefen gezogen hat. Die Krimiserie entfaltet sehr schnell ihre Wirkung. Sie fesselt einen nicht mit Spektakel, sondern mit dieser seltsamen Faszination, die Verbrechen und das Dunkle im Menschen schon immer auf die Masse ausgestrahlt hat, sei es als Nervenkitzel, sei es aus Sensationslust oder aus der Genugtuung heraus, von einer moralisch überlegenen Position herab das Abscheuliche zu verurteilen. Umso realer eine erzählte Geschichte wirkt, umso neugieriger, scheint es mir, werden Zuhörer dieser Geschichte darauf, was denn tatsächlich davon wahr ist. Und wenn es wahr ist, was macht es dann mit einem? Es zerstört irgendwie die Sicherheit, die das Erdachte gibt, die Sicherheit zu wissen: alles nicht echt, alles nur gespielt, passiert nicht wirklich. Mindhunter zeigt uns teils das unterhaltsame Erdachte und zugleich das Wahre dahinter: eine Natur des Menschen, vor der wir lieber die Augen verschließen. Die Serie zeigt uns abscheuliche Taten und die Monster, die sie begangen haben und sie zeigt das wirklich Beunruhigende: die Umstände und eine Spur von Verständnis, wie Menschen zu diesen Monstern werden konnten.