Jeder gegen jeden – Wem kannst Du trauen?
Es gibt viele Filme, in denen eine Bande Verbrecher einfach mal eine Bank ausrauben will. Doch die wenigsten davon besitzen clevere Figuren oder stammen aus diesem Jahrtausend. So zumindest die unbelegte Studie. Regisseur Daniel Calparsoros Geiselthriller Jeder gegen jeden – Wem kannst Du trauen? bietet alles, was man sich von einem guten Heist-Movie wünscht: Durchdachte Pläne voller Intrigen, raue Verbrecher mit Charisma und eine smart inszenierte Offenbarung, die den Film ab der zweiten Hälfte noch einmal einen Gang hochschalten lässt. Die argentinische Produktion erschien 2016 auch hierzulande auf Blu-ray und DVD.
Der Plan scheint perfekt, die Ausführung routiniert und souverän. Doch dann zieht Regen auf. Mitunter sind es Kleinigkeiten, die einen perfekten Banküberfall zum Scheitern bringen können! Der wochenlang gegrabene Fluchttunnel läuft mit Wasser voll, weshalb den sechs Schwerbewaffneten kaum noch Zeit bleibt, die Reichtümer aus den Schließfächern von Valencias sicherster Bank zu erbeuten. Dazu gehören auch Uruguayo (Rodrigo de la Serna, Tetro) und Gallego (Luis Tosar, Miami Vice), die noch dieses letzte große Ding drehen wollen, um sich danach zur Ruhe zu setzen.
Ein Film über das Scheitern
Originaltitel | Cien años de perdón |
Jahr | 2017 |
Land | Argentinien |
Genre | Thriller |
Regie | Daniel Calparsoro |
Cast |
El Gallego: Luis Tosar
El Uruguayo: Rodrigo de la Serna Ferrán: Raúl Arévalo Mellizo: José Coronado Loco “Crazy”: Joaquín Furriel Sandra:Patricia Vico Cristina: Marian Álvarez |
Laufzeit | 96 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 1. Dezember 2016 |
Regisseur Calparsoro hat einen Film über das Scheitern gedreht: Sowohl über das individuelle, menschliche Versagen, als auch über das strukturelle, wirtschaftliche und politische. In Jeder gegen jeden kann man entweder ganz einfach unterhalten werden oder auch zahlreiche Metaphern auf unser Leben und unsere Gesellschaft entdecken. Das macht den Film gleichzeitig auch minimal tiefgründiger als andere Heist-Movies, die eher auf Action oder einen möglichst hohen Adrenalin-Faktor aus sind. Worin sich die Produktion ebenfalls unterscheidet, ist das (zunächst) äußerst gesittete und den Geiseln gegenüber schonende Verhalten der Gangster. Hier läuft keiner Amok, weil ihn jemand schief angeschaut hat und es gibt auch kein klassisches Nervenbündel, das irre um sich ballert. Auch die eigentliche Durchführung des Plans klingt plausibel und beinahe ertappt man sich dabei, den Bankräubern zu wünschen, dass ihr Vorhaben aufgeht. Der Einstieg gestaltet sich besonders spannend, denn die Vorgehensweise der Bankräuber ist, wie überhaupt der ganze Film, sehr klischeefrei und innovativ.
Beziehungen und Machtspiele
Es dauert nicht lange, bis sich die Polizei vor der Bank postiert und die Verhandlungen beginnen. Spätestens jetzt werden Erinnerungen an Inside Man geweckt, sozusagen als US-Pendant zu dieser spanischsprachigen Produktion. Die Räuber haben einen ausgeklügelten, seit Monaten vorbereiteten Fluchtplan, der jedoch von einem Wetterphänomen vereitelt wird, womit die Männer in ihrer prekären Lage festsitzen. Das ist tatsächlich aber nur halb so spannend wie das Zwischenmenschliche. Denn besonders Misstrauen zwischen unter Bankräubern sowie die spannende Sequenz beim ersten alternativen Fluchtversuch sind packend. Angesichts des steigenden Drucks ist es auch nicht hilfreich, dass die Gangster herausfinden, dass einer von ihnen noch ganz andere Ziele verfolgt, als nur das Geld. Damit wird die Situation zunehmend vertrackter und die Handlung gewinnt an psychologischer Tiefe, denn es gilt nun die Motive der einzelnen Figuren zu ergründen. Viele der Figuren fallen kantiger und echter als im durchschnittlichen glattgebügelten Bankraub-Blockbuster aus, was zu dem insgesamt erfrischenden Eindruck, den Jeder gegen jeden hinterlässt, beiträgt.
Sitzfleisch vorausgesetzt
Jeder gegen Jeden ist dabei stilsicher inszeniert und authentisch ausgestattet. Sowohl das Innere der Bank als auch die Einsatzzentrale der Polizei wirken glaubwürdig. Auch schauspielerisch überzeugt der Thriller. Auch die Geschichte von Drehbuchautor Jorge Guerricaechevarría (The Oxford Murders) nimmt unerwartete Twist und Turns, was zum Ende hin aber weniger packend ausfällt als noch zu Beginn. Ungeduldige Zuschauer*innen werden zu diesem Zeitpunkt wohl ohnehin die Flinte ins Korn geworfen haben. Denn je länger der Film läuft, desto unübersichtlicher wird das Gestrüpp politischer Verwicklungen und fordert somit Aufmerksamkeit ein. Spätestens bei dem etwas zu weit ausgebreiteten Polit-Skandal, weiß man aber, für wessen Seite man sich moralisch entscheidet. Ärgerlicherweise kommt dadurch noch ein Haufen weiterer Charaktere hinzu, die allesamt etwas mit dem Ablauf des Raubes zu tun haben und ihre eigene Motivation samt Exposition benötigen.
Fazit
Heist-Fans könnten sich durchaus daran stören, dass Jeder gegen jeden ziemlich dialoglastig ausfällt und auch erstaunlich wenig Waffengewalt zum Einsatz kommt. Auch sonst macht der Titel vieles anders als die Konkurrenz. Dass die offiziell „Bösen“ derart eindeutig als die letztendlich viel weniger Bösen dargestellt werden, erlebt man jedenfalls nicht häufig. Es gilt also abzuwägen: Bringt man Heist-Movies mit Action und Geballer in Verbindung? Dann ist man hier definitiv beim falschen Film. Steht man auf Komplexität, Dialog und Innovation, macht man mit Jeder gegen jeden so ziemlich alles richtig. Am Ende bleiben nur zwei Fragen: Entscheidet man sich nach eigener Sehgewohnheit oder für die Offenheit gegenüber Neuem. Und auch, ob es nicht besser gewesen wäre, die politische Komponente außen vor zu lassen und sich auf den Heist-Anteil zu konzentrieren.
Veröffentlichung: 1. Dezember 2016