Tropes erklärt: Damsel in Distress

“Verfolgte Unschuld” oder auch “Jungfrau in Nöten” ist die deutsche Bezeichnung des Damsel-in-Distress-Tropes. Wetten, dass es keine zehn Sekunden dauert und direkt zahlreiche Beispiele vor eurem geistigen Auge auftauchen? Dieses Trope ist eines der ältesten aller Tropes und geht zurück bis in die Antike. Kein Wunder also, dass es sich bis heute nicht abschütteln lässt und noch immer häufig Verwendung findet. Und das im Zeitalter des Feminismus …

»Trope« ist der englische Begriff für »Tropus«, eine Bezeichnung, welche ursprünglich aus der Literatur kommt und eine bestimmte Klasse sprachlicher Stilmittel meint. Im modernen Verständnis wird das »Trope« mittlerweile als allgemeines Synonym für »Klischee« benutzt. Ein Trope bezeichnet demnach konventionelle Erzählungselemente, bei denen es sich um stereotype Motive, Storywendungen, Dialogabläufe oder Rollenbilder handeln kann. Die Liste dieser Tropes ist ellenlang und manchmal wird man sich erst nach Sichtung eines Trope-Lexikons bewusst, dass man just im Film XY auf ein solches gestoßen ist. Wir nehmen das zum Anlass, den Tropes auf den Grund zu gehen und allmonatlich eines vorzustellen.

Unter der Lupe

Damsel-in-Distress

Die Jungfrau in Nöten war bereits in der Antike populär: Die wohl bekannteste der griechischen Mythologie ist Andromeda, deren Eltern sie an einen Felsen an der Küste fesselten, um den beleidigten Poseidon zu besänftigen. Der Held Perseus rettete Andromeda. Dies entspricht der Grundstruktur der vor einem Monster geretteten Jungfrau, welche sich auch durch das Mittelalter zog, in dem Prinzessinnen klassischerweise von Rittern gerettet werden mussten. Jeder Heldenepos beruht darauf, dass die Dame erst gerettet und dann geheiratet wird. Ein männliches Belohnungsmuster: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Europäische Volksmärchen bauen auf diesen Erzählstrukturen auf. Es ist in aller Regel eine Prinzessin (Rapunzel, Dornröschen, Schneewittchen), welche abhängig davon ist, dass ein junger Prinz oder Edelmann sie rettet. Erst dann findet sie ihr Glück in der anschließenden Hochzeit. Auch die Legenden der katholischen Kirche tragen das Muster in sich. Das bekannteste Beispiel ist die Geschichte des Heiligen Georg. Dieser rettet eine Prinzessin davor, als Opfergabe von einem Drachen verschlungen zu werden, und tauft sie am Ende. Was sich über Jahrhunderte durch sämtliche Erzählstoffe zog, gipfelte in Videospielen, in denen die zu rettende Frau nicht nur das Ziel des Protagonisten ist, sondern oftmals auch der Preis bzw. die virtuelle Trophäe für den Spieler. Die größten Kritikpunkte des Tropes liegen darin, dass Frauenrollen auf ihre Schönheit reduziert werden. Sie bekommen weder Eigenschaften noch Aufgaben, sondern erfüllen lediglich eine Funktion, nämlich den Mann für seinen Mut zu belohnen, indem die Frau in eine passive Rolle degradiert wird.
Mit zunehmenden Feminismus legen allerdings immer mehr Geschichtenerzähler:innen Wert darauf, sich von den alten Strukturen zu lösen. So entstand etwa das gegenteilige Trope »Damsel-out-of-Distress«, in welchem sich betroffene Damen von diesem Stigma freikämpfen.

Super Mario-Reihe (Videospiel-Reihe, 1983–)

Worum geht es?

Super Mario. (Bros) ist eine Jump’n’Run-Reihe, in welcher der Klempner Mario die von seinem Erzrivalen Bowser entführte Prinzessin Peach (früher: Toadstool) retten muss. 

Wie wird das Trope umgesetzt?

Prinzessin Peach ist wohl DIE bekannteste Damsel-in-Distress der Neuzeit. Seit fast 40 Jahren muss sie regelmäßig gerettet werden und diente bereits in den 80ern einem überwiegend männlichen Publikum als Trophäe fürs Durchspielen des Spiels. Damit steht sie analog zu ihren Schicksalsgefährtinnen Daisy (Super Mario Land), Zelda (The Legend of Zelda) und Pauline (Donkey Kong), die sich im Kern nicht voneinander unterscheiden, solange ihre einzige Funktion darin besteht, gerettet zu werden. Durch ihre Gestaltungsmerkmale (pinkes Kleid, blonde Haare, blaue Augen, naives Auftreten plus ihr Dasein als Prinzessin) ist Peach allerdings die Vorzeige-Damsel. Der Versuch, sie zur Damsel-out-of-Distress zu machen, indem ihr ein eigenes Spiel spendiert wurde (Super Princess Peach, 2005), kam allerdings insbesondere aus feministischer Perspektive nicht gut an: Unter den “Waffen einer Frau” verstand das Gameplay Gefühlsausbrüche: Freude, Zorn, Trauer und Ruhe. Freude lässt euch fliegen oder entfaltet einen Wirbelsturm; seid ihr zornig, steht ihr in Flammen und könnt so Eis schmelzen und Brücken verbrennen; heult ihr, bringt ihr damit Pflanzen zum Wachsen oder löscht Feuer. Was eine plötzlich emanzipierte Frau eben ausmacht. Noch Fragen?

© Nintendo

King Kong (Film, 1933, 1976, 2005)

Worum geht es?

Eine Filmcrew reist auf die entlegene Insel “Skull Island”. Bei der Landung gerät die Besatzung in eine Zeremonie der Inselbewohner, deren Dorf durch eine hohe Mauer vom Rest der Insel getrennt ist. Vor dem Tor der Mauer soll gerade eine junge Frau dem lokalen Inselgott „Kong“ geopfert werden. Die Einwohner fordern die platinblonde Hauptdarstellerin Ann Darrow als Opfergabe, doch diese wird von dem aus dem Dschungel auftauchenden Riesenaffen King Kong gerettet. Zwischen ihm und Ann entsteht eine Verbindung, die Außenstehende kaum beurteilen können. 

Wie wird das Trope umgesetzt?

King Kong ist der wohl bekannteste Vertreter der Marke “Die Schöne und das Biest”. Während sich Ann vor allem als Grazie erweist, die sich mit ihrem Entführer solidarisiert, bleibt King Kong für alle Außenstehenden eine Bestie – und Ann die zu rettende Frau. Allerdings unterscheiden sich die Anns über die Jahrzehnte hinweg. In dem Film von 1933 ist sie nicht mehr als ein Preis für den Affen. In der Fassung von 1976 wird sie eine feinfühlige Frau, die die Einsamkeit des Affen erkennt und ihn verstehen lernt. In King Kong von 2005 geht Naomi Watts als Ann sogar einen Schritt weiter und versucht zu verhindern, dass Kong eine Zirkusattraktion wird. Es sind kleine Schritte der Veränderung, doch in allen Fällen bleibt sie die entführte Frau. Bei Kongs Tod in dem Film von 1933 findet sich eine Erklärung, die Bände spricht: „Schönheit hat die Bestie getötet.“

© Universal Pictures

Spider-Man Filmreihe (2002–2007)

Worum geht es?

Hinter der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft steckt Peter Parker, ein junger Student, der durch den Biss einer Spinne besondere Fähigkeiten entwickelte und dadurch zu dem Superhelden Spider-Man wurde. 

Wie wird das Trope umgesetzt?

In den Comic-Ursprüngen gab es immer eine Frau, die von Spider-Man gerettet werden musste. Zu Beginn waren dies Betty Brant und Gwen Stacy. Nachdem Gwen 1973 ums Leben kam, war es Mary Jane Watson, für die Peters Herz fortan schlug. Allerdings lagen Schöpfer Stan Lee seine Figuren am Herz, sodass er Mary Jane zu einer eigenständigen Figur formte, die zwar mangels Superkräften natürlich auch hier und dort gerettet werden musste, aber als eigenständiger Charakter immer zuerst nach eigenen Lösungen suchte. 
In der Filmreihe von Sam Raimi ist die von Kirsten Dunst dargestellte Mary Jane allerdings eine klassische Damsel-in-Distress. Obwohl ihre Darstellung grundsätzlich positiv aufgenommen wurde, definiert sich MJ in erster Linie durch ihre Abhängigkeit von den Männern um sie herum. Dreimal wird sie in der Trilogie entführt und muss anschließend gerettet werden. Zum Ärger von Kirsten Dunst, die sich dafür einsetzte, dass ihre Figur wenigstens etwas zu tun bekam, wenn sie schon entführt werden musste. So attackiert sie in Spider-Man 2 Doc Ock mit einem Stahlträger und geht Spidey im Finale von Spider-Man 3 gegen Venom zu Hilfe.

© Sony Pictures

Resident Evil 4 (Videospiel, 2004)

Worum geht es?

Sechs Jahre nachdem die Umbrella Corporation zerschlagen wurde, ist der aus Resident Evil 2 bekannte Leon S. Kennedy nun für die US-Regierung tätig. Er bekommt den Auftrag, Ashley Graham, die Tochter des US-Präsidenten, aus den Händen der Los-Illuminados-Sekte zu befreien, deren Aufenthaltsort in dem fiktiven Dorf Pueblo in Spanien vermutet wird. 

Wie wird das Trope umgesetzt?

“Leon, Hilfe!” Präsidententochter Ashley ist für viele Resident Evil-Fans ein rotes Tuch. Bekommt man als Spieler:in einen nicht-spielbaren Charakter zur Seite gestellt, handelt es sich in aller Regel um eine Unterstützung. Nicht in Ashleys Fall: Ashley kann rein gar nichts. Sie besitzt keine Fähigkeiten. Es gibt nur einen einzigen Grund für ihre Existenz: Sie muss gerettet werden. Und zwar nicht am Ende des Spiels, sondern währenddessen. Leon eskortiert sie auf der Flucht vor den Untoten. Damit steht Ashley auch im Kontrast zu Claire, Jill und anderen Charakteren der Reihe: Sie kann sich nicht wehren. Unentwegt rennt sie in die Schusslinie. Stirbt sie, heißt es Gameover. Kein Wunder also, dass sie vor allem mit Frustmomenten in Verbindung gebracht wird. Zumal Ashley auch kein liebenswerter Charakter ist, den man gerne beschützt, sondern vor allem ein trotziger Teenager.

© Capcom

007-Reihe (Film-Reihe, 1962–)

Worum geht es?

Der für den Geheimdienst MI6 arbeitende Agent James Bond zeichnet sich vor allem durch seine Smartness aus. Dies hilft ihm nicht nur bei seinen Aufträgen, sondern macht ihn auch zu einem Frauenmagnet.

Wie wird das Trope umgesetzt?

Die stets wechselnde Frau an James Bonds Seite durchlief über die Jahre hinweg verschiedene Facetten. Auch wenn sie zunehmend eigenständiger wurden oder gar selbst die Rolle von Action-Heldinnen einnahmen, erfüllen viele von ihnen das Damsel-in-Distress-Trope. Honey Rider (Ursula Andress) im ersten Film James Bond 007 jagt Dr. No. muss im Finale in letzter Sekunde vor dem Ertrinken gerettet werden. In Feuerball (1965) wird die Agentin Paula King entführt und gefoltert, um Informationen preiszugeben. Obwohl sich James Bond zur Rettung aufmacht, kommt er zu spät, da Paula den Freitod gewählt hat. In Spectre (2015)  wird Madeline von Oberhauser gekidnappt und im alten MI6-Gebäude gefangen gehalten. Vor Ablauf der drei Minuten, nach denen das Gebäude in die Luft gesprengt wird, kann James sie retten.  (1973). Viele Frauen der Reihe definieren sich als Love Interest: Sie sind dazu da, damit der Protagonist jemanden retten und anschließend seine begonnene Liaison fortführen kann. Markenzeichen: ein gehauchtes “Ooooh, James”. Das liegt auch an der Stereotypisierung des Hauptcharakters. In Diamantenfieber (1971) sagt James, dass die perfekte Frau nicht nur gut im Bett sei, sondern auch eine gute Sauce Bernaise kochen könne. Erst ab den 80ern begannen die Bond-Girls zu scheinen und aus der Rolle auszubrechen.

© MGM

Sollte nicht unerwähnt bleiben:

Fushigi Yuugi (Manga, 1992–1996)

Nachdem die Schülerin Miaka in einer fremden Welt, die dem mittelalterlichen China ähnelt, erwacht, muss sie als erstes von dem gutaussehenden Tamahome vor Sklavenhändlern gerettet werden. Fortan gerät sie regelmäßig in Schwierigkeiten und ist immer wieder auf die Hilfe ihrer attraktiven Begleiter angewiesen. 

BioShock Infinite (Videospiel, 2013) 

Elizabeth ist ein Charakter, über den viele Diskussionen stattfinden. Wo sind die Grenzen zwischen Damsel-in-Distress und einem Sidekick? In BioShock Infinite sind sie fließend. Bereits zu Beginn muss Elizabeth gerettet werden, am Ende erneut. Auch wenn sie zwischenzeitig als Partnerin dient, bleibt die Abhängigkeit zur männlichen Spielfigur bestehen.

Die Braut des Prinzen (Film, 1987)

Neben ihrer Schönheit kann man Buttercup wohl vor allem Mut als Eigenschaft zusprechen, dem fiesen Prinzen die Stirn zu bieten. Trotzdem bleibt sie am Ende eine Damsel-in-Distress, welche von Wesley gerettet werden muss, auch wenn sich ihre Fähigkeiten weiterentwickeln. 

Fluch der Karibik-Reihe (Filmreihe, 2003–)

Auch wenn man es vom Szenario erwartet: Elizabeth Swann ist nur für kurze Zeit eine Damsel-in-Distress. In kürzester Zeit lernt sie, sich mit ihrer Umgebung zu arrangieren und sich selbst zu retten. Im Laufe der Filmreihe dreht sie das Trope um und wird zu einer Damsel-ouf-of-Distress, vielleicht sogar die radikalste Disney-Heldin überhaupt. 

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