Lost Judgment
Im Jahr 2020 erreichte die Anzahl an Selbstmorden unter japanischen Schülerinnen und Schülern ein trauriges Hoch – neben dem gestiegenen Druck speziell 2020 durch die Corona-Pandemie gehört auch Mobbing zu den zahlreichen Faktoren, die junge Menschen dazu bringen, ihr Leben zu beenden. Lost Judgment, das Sequel des in Europa 2019 erschienenen Judgment, nimmt diese schwierige Thematik als Ausgangspunkt und beschäftigt sich mit der Frage, ob das Rechtssystem bei der Verfolgung von Mobbing scheitert. Das Action-Adventure und Spin-off der Yakuza-Reihe von Entwickler Ryu Ga Gotoku Studios schickt Protagonist Takayuki Yagami auf die Jagd nach der Wahrheit um den Mord an einem ehemaligen Mobber, der einst einen Mitschüler in den Suizid trieb. Lost Judgment wurde am 24. September 2021 weltweit durch Publisher Sega für PlayStation 4 und 5, Xbox One und Series X/S veröffentlicht.
Drei Jahre nach den Ereignissen in Judgment, Anfang Dezember 2021, finden einige Feuerwehrleute eine verwesende Leiche in einem Lagerhaus. Währenddessen schlagen sich Takayuki Yagami und sein Kumpel, der Ex-Yakuza Masaharu Kaito, immer noch mäßig erfolgreich als Privatdetektive in Kamurocho durch. Nach einem abgeschlossenen Fall erfahren sie bei der Anwaltskanzlei Genda jedoch von einem besonders brisanten Fall, den Saori Shirosaki derzeit bearbeitet: Der wegen sexueller Belästigung angeklagte Akihiro Ehara spricht kurz nach Urteilsverkündung davon, dass er wisse, dass vor drei Tagen eine Leiche in einem Lagerhaus gefunden worden sei und dass es sich bei dieser um Hiro Mikoshiba, den Mobber seines durch Selbstmord verstorbenen Sohnes Toshiro, handle. Doch wie kann Ehara das wissen, wenn er doch genau zum Zeitpunkt des Mordes eine Frau in der U-Bahn begrabscht haben soll und noch keine Details zu dem Mord an die Öffentlichkeit preisgegeben wurden? Kurz darauf werden Yagami und Kaito von ihren Freunden Fumiya Sugiura und Makoto Tsukumo um Hilfe gebeten. Sie haben mittlerweile in Isezaki Ijincho in Yokohama eine eigene Detektei gegründet und bitten die beiden um Unterstützung bei der Untersuchung eines Mobbingfalles – ausgerechnet an der Schule, an der Hiro Mikoshiba bis vor wenigen Monaten als Referendar arbeitete und der verstorbene Toshiro vor vier Jahren noch Schüler war …
Wenn die Justiz versagt
Originaltitel | Lost Judgment: Sabakarezaru Kioku |
Jahr | 2021 |
Plattform | PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series S/X |
Genre | Action, Adventure |
Entwickler | Ryu Ga Gotoku Studio |
Publisher | Sega |
Spieler | 1 |
USK | |
Veröffentlichung: 24. September 2021 |
Lost Judgment spielt im gleichen Universum wie Yakuza und ist zeitlich etwa zwei Jahre nach Yakuza: Like a Dragon angesiedelt, wobei die Auswirkungen der Ereignisse dort spürbar sind. Denn nach der Auflösung des Tojo-Clans, der größten Yakuza-Organisation in Kamurocho, haben sich nicht alle Ex-Gangster in ehrliche Gesellen verwandelt. Stattdessen blüht der Untergrund weiter auf und eine neue kriminelle Bande, die Red Knifes, kontrollieren die Unterwelt und terrorisieren die Menschen. Sie sind womöglich sogar gefährlicher als es die Yakuza je war. In Isezaki Ijincho treiben hingegen die chinesische Liumang ihr Unwesen, sodass Yagami mit ihnen konfrontiert wird. Einmal mehr geht es also um Bandenkriminalität, ebenso wie Machtkämpfe, Korruption, Politik und Selbstjustiz. Das rahmenübergreifende Thema von Lost Judgment ist aber ein recht bodenständiges, das wohl auch einige Spieler*innen schon miterleben mussten: Mobbing. Es geht um dessen Auswirkungen und vor allem, wie Mobber oft ungestraft davonkommen. Akihiro Ehara spricht von Gerechtigkeit, wenn er von dem Tod von Hiro Mikoshiba spricht und bald wird klar, dass dieser womöglich nicht der einzige Mobber ist, der außerhalb eines rechtskräftigen Urteils bestraft wurde. Insgesamt ist der Umgang mit der Mobbing-Thematik sehr sensibel und die Mischung aus diesem wichtigen, lebensnahen Thema mit gewohnt komplizierten Verstrickungen in Politik und Unterwelt machen die Geschichte besonders interessant.
Zwei Handlungsorte: Kamurocho und Isezaki Ijincho
Lost Judgment übernimmt den in Yakuza: Like a Dragon eingeführten Schauplatz Isezaki Ijincho in Yokohama, die Handlung findet jedoch zu etwa gleichmäßigen Anteilen dort und im gewohnten Kamurocho in Tokio statt. Brandneu und noch nie in dem Franchise dagewesen ist die Schule Seiryo High School in Yokohama, die einen ganz eigenen, recht umfangreichen Bereich darstellt und für eine frische Erfahrung sorgt. Als Yagami übernehmen wir die Betreuung des Krimi-Clubs und können uns so frei an der Schule bewegen. Die Handlung des Spiels ist absolut packend und spannend, insbesondere da nach und nach die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Vorfällen und damit eine große Verschwörung deutlich wird. Ohnehin gelingt den Entwicklern damit wie gewohnt die Erzählung einer ernsten Crime-Geschichte mit interessanten Charakteren und einer authentisch ausgearbeiteten Welt. Auch verfügt die Geschichte erneut über zahlreiche Wendungen und gelungene emotionale Höhepunkte. Die aufgeworfenen moralischen Fragen regen zudem zum Nachdenken an. Yagami ist als Protagonist wie schon im ersten Teil ein wahrer Segen, denn er ist nicht nur ziemlich sympathisch, sondern eben auch vielfältig. Schließlich ist er zwar mittlerweile Detektiv, seine Zulassung als Anwalt besitzt er jedoch noch immer. Neben bereits aus dem ersten Teil bekannten anderen Charakteren wie Ex-Dieb Sugiura, Anwältin Saori und Spielhallenbetreiber (wie auch ehemaliger Yakuza) Higashi tauchen auch neue Charaktere auf. Die junge Lehrerin Yoko Sawa erlebte vor dreizehn Jahren den Suizidversuch eines Mitschülers mit, unterrichtete auch Toshiro bis zu dessen Tod und betreute Hiro während seiner Zeit als Referendar. Sie scheint auf mysteriöse Weise ein zentrales Verbindungsglied in dem komplizierten Fall zu sein, doch Yagami muss schnell feststellen, dass sie seinen Fragen eher ausweicht. Der sogenannte „Alleskönner“ Kuwana unterstützt Yagami, doch er scheint selbst etwas zu verbergen zu haben.
Verfeinerte Detektiv-Skills
Als Detektiv greift Yagami natürlich auch auf entsprechende Methoden seines Berufes zurück. Die bereits aus Teil 1 bekannten Verfolgungsjagden und Tatort-Untersuchungen wurden ausgebaut und um mehr Komplexität ergänzt, während zahlreiche neue Features dazugekommen sind. Zu diesen gehören Schleich-Passagen (für das action-orientierte Franchise eine gänzlich neue Erfahrung) und Parcour-Abschnitte, die für zusätzliche Abwechslung sorgen. Ganz besonders süß und ein Highlight für Hunde-Freunde: Über das Smartphone kann ein Shiba-Hund gerufen werden, der mit seinem besonderen Geruchssinn eine große Hilfe in der detektivischen Arbeit darstellt. Das Kern-Gameplay von Lost Judgment ist aber noch immer das Kämpfen. In brutalen Gefechten können die Gegner mit drei verschiedenen Kampfstilen verkloppt werden: Kranich, Tiger und Schlange. Der dynamische Kranich-Stil geht am leichtesten von der Hand und eignet sich hervorragend für größere Gruppen an Gegnern. Der Tiger-Stil eignet sich mit seinem ausbalancierten Gleichgewicht von Angriff und Verteidigung besser für Mann-gegen-Mann-Gefechte. Der völlig neue Kampfstil und zugleich auch wichtigste Kampfstil ist der Schlangen-Stil. Dieser schafft endlich eine einfache Möglichkeit, um bewaffnete Gegner anzugreifen und sogar zu bewaffnen. Langjährige Fans wissen, wie viel Schaden gerade Messer und Pistolen anrichten, sodass der Schlangen-Stil endlich eine gute Konter-Möglichkeit bietet und noch dazu die Kämpfe fairer gestaltet. Besonderes cool ist auch wieder die Möglichkeit, alle mögliche Gegenstände, wie etwa einen Aufsteller, Stühle oder ganze Paletten als Waffe zu benutzen und so besonders schweren Schaden anzurichten. Von der Inszenierung aber erneut das Highlight sind natürlich die mächtigen Ex-Aktionen, wobei neue Skills im Austausch gegen im Verlauf des Games sammelbare SP freigeschaltet werden.
Minispiele: eine Mischung aus alt und neu
Neben der Hauptgeschichte, die etwa 30 Stunden dauert, bietet Lost Judgment wie gewohnt zahlreiche andere Aktivitäten, die die Spieldauer locker verdoppeln bis verdreifachen. 42 Nebenfälle, also diverse Aufträge verschiedener Personen, sorgen für viel Abwechslung. Diese sind mal lustig, mal skurril und mal ergreifend. Als nettes Feature erweist sich dabei die Möglichkeit, per App Schlagworte in Postings zu suchen. Dies sorgt für mehr Interaktivität und lässt das Ganze authentischer wirken. Vollkommen neu sind die Schulgeschichten, von denen es insgesamt zehn Stück gibt und die sich um die verschiedenen Clubs der Seiryo High School drehen. Ob Robotics-Club, Tanz-Club oder Krimi-Club, bei den verschiedenen Aktivitäten und Geschichten kommt keine Langeweile auf. Die Minispiele sind eine angenehme Mischung aus altgewohntem Spaß wie Darts oder Baseball, aber auch zahlreiche neue Spiele wie Tanzen und Boxen. Schade: Auf den Yakuza-Dauerbrenner Karaoke müssen Spieler*innen wie schon in Judgment verzichten. Grund hierfür dürfte sein, dass Gesicht und Stimme von Yagami von der japanischen Berühmtheit Takuya Kimura stammen, der lange Zeit in einer japanischen Boyband mitgesungen hat – seine Singstimme wäre dementsprechend wohl ein zu teurer und komplizierter Spaß. Für besonders viel Freude sorgen aber auch wieder die umfangreichen Arcade-Games wie Virtua Fighter 5 oder ein umfangreicher Zombie-Shooter. Ganz neu und ein tolles Gimmick ist hingegen eine Konsole in Yagamis Büro, auf dem zahlreiche Retro-Klassiker aus dem Hause Sega gespielt werden können.
Fantastische Inszenierung
Lost Judgment bietet eine großartige Inszenierung mit zahlreichen Zwischensequenzen und beeindruckenden Kämpfen. Insbesondere die Figuren verfügen über viele Gesichtsausdrücke und wirken ausgesprochen realistisch. Neben der mitreißenden japanischen Sprachausgabe gibt es auch eine englische Vertonung, sodass nicht zwangsweise auf die deutschen Untertitel gesetzt werden muss. Die Grafik lässt erneut wenige Wünsche offen, wie bereits seit einigen Jahren bei Games aus der kreativen Schmiede von Ryu Ga Gotoku wird wieder auf die „Dragon Engine“ gesetzt. Als besonders angenehm zeigen sich auch die sehr kurzen Ladezeiten, denn selbst auf einer in die Jahre gekommenen Standard-PS4 müssen nur kurze Ladebildschirme hingenommen werden. Ebenfalls ein wichtiger Faktor bei der guten Präsentation des Titels ist die Musik. Denn einmal mehr bietet das Game besonders in den epischen Boss-Kämpfen eine ebenbürtige Musikuntermalung, die erst so wirklich für Stimmung vor dem Controller sorgt. Schön für alle Fans ist, dass Lost Judgment noch neuen Content bekommen wird. Denn neben kleinen DLCs erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2022 mit den Kaito-Files ein etwa 10 Stunden umfassender Story-DLC, der Yagamis Kumpel Kaito ins Rampenlicht rückt.
Fazit
Lost Judgment bietet genau das, was man von Ryu Ga Gotoku gewohnt ist: Eine mitreißende und ernste Geschichte, toll ausgearbeitete Charaktere und ein umfangreiches wie spaßiges Gameplay. Diese Kombination ist wie gewohnt einfach herrlich und durch die vielen Aktivitäten neben der Hauptgeschichte darf sich auch der Umfang sehen lassen. Persönlich gefällt mir das Game etwas weniger als Judgment, da die Geschichte dort noch einen Ticken spannender ist, aber auch Lost Judgment ist einfach wieder ein großartiges Action-Adventure mit absolut mitreißender Story. Insbesondere die Integrierung eines neues Kampfstiles, der gegen bewaffnete Gegner wirksam ist, ist ein echter Segen und sorgt für noch mehr Spaß bei den Kämpfen. Für Fans des ersten Teils ist das Game ohnehin ein Muss, aber auch wer gerne Action-Games mit einer guten Geschichte spielt, sollte einen näheren Blick wagen – dann aber besser erst einmal auf Teil 1.
© Sega
Veröffentlichung: 24. September 2021