Westworld (Staffel 4)

Nach einer grandiosen ersten Staffel, einer leicht verwirrenden zweiten Staffel und einer kontroversen, da völlig andersartigen dritten Staffel, scheint der Rummel um Westworld gebrochen. Das zeigt sich vor allem in den Einschaltquoten, die mit Ende von Staffel 2 kontinuierlich zurückgingen und mit Staffel 4 ihr Quotentief erreicht haben. Westworld war schon immer zu komplex und ehrgeizig, um HBOs neues Game of Thrones zu werden, und eben jene, mittlerweile ausufernde Komplexität ist es, mit der sich die Serie nun ins eigene Knie schießt.

Die Staffel setzt sieben Jahre nach dem Ende der dritten Staffel an. Im Jahre 2060 hat die Menschheit den Krieg gegen die Hosts verloren. Charlotte Hale (Tessa Thompson, Auslöschung) hat das Machtvakuum gefüllt, welches vom Millionär Engeraud Serac (Vincent Cassel, Underwater – Es ist erwacht) und seiner allwissenden KI Rehoboam hinterlassen wurde. Charlotte gelingt es, mithilfe eines biotechnologischen Virus die Kontrolle über die Menschheit zu übernehmen und ihre Städte zu Vergnügungsparks zu machen. Zwei Jahrzehnte später beginnt Christina (Evan Rachel Wood, Into the Forest), eine Frau, die für eine Videospielfirma Background-Stories für NPCs verfasst, allmählich die Natur ihrer Realität in Frage zu stellen.

Brechen wir Westworld noch einmal herunter …

Originaltitel Westworld – The Choice
Jahr 2022
Land USA
Episoden 8 in Staffel 4
Genre Science-Fiction, Drama
Cast Christina/Dolores: Evan Rachel Wood
Caleb Nichols: Aaron Paul
Fankie Nichols: Aurora Perrineau
Charlotte Hale: Tessa Thompson
Bernard Lowe: Jeffrey Wright
William: Ed Harris
Maeve Millay: Thandie Newton
Ashley Stubbs: Luke Hemsworth
Veröffentlichung: 15. August 2022 (digital)

Versuchen wir uns zunächst an einer radikalen Kurzzusammenfassung, auch wenn sich das bei der Vielschichtigkeit von Westworld etwas schwierig gestaltet. Staffel 1 ist in einem Vergnügungspark angesiedelt, in dem reiche Menschen lebensechte Androiden (= Hosts) nach Belieben missbrauchen können. Doch dann erlangen die Hosts Bewusstsein und beginnen zu rebellieren. Die zweite Staffel thematisiert den Kampf »Management vs. Host« sowie den Weg der Hosts in ihre (digitale) Freiheit und offenbart den wahren Sinn der Themenparks. Die dritte Staffel verfrachtet die Geschichte in die Menschenwelt und wir stellen fest: Auch die Menschen leben in einem künstlichen Gefängnis. Ihre Schicksale sind von der KI eines verrückten Milliardärs vorherbestimmt – ein Lebensumstand, gegen den angekämpft wird. Klingt nach dem ganz großen Käse, in Wirklichkeit jedoch wird diese weltumspannende Revolution ungewöhnlich langweilig und unbedeutsam gestaltet.

Krieg? Welcher Krieg?

Auf diese Weise geht es auch in der vierten Staffel weiter. Obgleich sich Westworld schon immer die ganz großen Fragen über Menschsein und Technologien auf die Fahne geschrieben hat, fühlt sich die Umsetzung dessen mittlerweile unerheblich an. Trotz großartiger Kulissen und theoretisch weltumspannender Tragweite wirkt alles klein und nichtig – und natürlich verwirrend. Denn ganz offensichtlich befinden wir uns in Staffel 4 noch immer in der Menschenwelt und noch immer in der Zukunft. Der gesellschaftliche Zusammenbruch, der am Ende von Staffel 3 angedeutet wird, ist nicht eingetreten. In monochromen Hochhäusern spiegeln sich die Cafés, Menschen gehen geschäftig ihren Tagesabläufen nach und Protagonistin Christina schreibt für ein Videospielunternehmen NPC-Storylines. Natürlich stellt sich heraus, dass diese heile Welt Fake ist. Charlotte Hale hat als Obermufti die Weltherrschaft übernommen und hält die Menschen als Sklaven. Die Menschenstädte sind zu Vergnügungsparks geworden, die von den Hosts besucht werden; eine saubere Umkehrung der Prämisse von Staffel 1. Doch wie es dazu kam, erfahren wir nicht. Wie auch schon die dritte Staffel viele essentielle Momente ins Off auslagert, so kriegen wir auch in Staffel 4 den angedeuteten Krieg »Mensch vs. Host« nicht zu sehen. Stattdessen erleben wir lediglich dessen Nachwirkungen – eine nicht näher erklärte Dystopie, bei der man sich fragt: Betrifft das jetzt nur diese eine Stadt oder doch die ganze Welt? Und wenn die ganze Welt, wie geht das zu?

Indifferenz gegenüber allem

Natürlich hat Staffel 4 noch mehr in petto, denn auch dieses Mal wird wieder massiv mit den Realitäts- und Zeitebenen gespielt – also mit all den verbrauchten Tricks, die schon in Staffel 2 von Westworld die ersten Abnutzungserscheinungen bekamen und die das Verständnis in der vierten Staffel erschweren. Was will uns die Show sagen? So ganz klar wird das nicht, da auch die Figuren mit nur vage definierten Ideologien über den Bildschirm latschern. Intrigen entpuppen sich als leere Rätsel, Expositionen werden mit Dialogen verwechselt und Charakterkonflikte enden in Gewalt. Das alles führt dazu, dass sich eine gewisse Indifferenz gegenüber dem Geschehen einstellt, zumal auch Charaktertode nichts bedeuten, da man sich zu 90% sicher sein kann, dass irgendwo noch eine ungekannte Kopie der just gestorbenen Figur herumläuft. Die Show recycelt Szenen und Themen der ersten Staffel, um Parallelen aufzuzeigen, doch eigentlich erwecken sie eher den Eindruck, als ginge den kreativen Köpfen dahinter, Jonathan Nolan und Lisa Joy, der Saft aus.

Bleibt unerreicht: die erste Staffel

Die erste Staffel von Westworld als Adaption des gleichnamigen Films von Michael Crichton aus dem Jahre 1973 ist ein spektakuläres Fernsehstück der Sience-Fiction; ein perfekt eingetütetes Geheimnis, das sich Schicht um Schicht selbst enthüllt. Die erste Staffel hat ‘das Labyrinth’, sie hat dieses erstaunliche Kippen der Zeitebene, diesen im Hintergrund herum wabernden Schatten und sie hat aufgeschnittene Köpfe mit versteckten Hinweisen darin. Doch mit jeder weiteren Folgestaffel erschwert die Serie ihre eigene Existenz, so dass es mittlerweile schon fast ein Unding geworden ist, die Geschichte gescheit (und vor allem mit Freude) zu verfolgen. Die kompakte Mysterybox wird komplexer und komplexer und zerfranst damit immer mehr. Ganze Erzählstränge entpuppen sich als Simulationen und Ereignisse finden zu unklaren Punkten in der Zeit statt. Die Fragen, Tricks und Mysterien wiederholen sich, die Serie strotzt (ebenso wie die Hosts) vor Kopien und Permutationen. Wenn im Bezug auf Christina die Theorie der bikameralen Psyche erneut in Erscheinung tritt, dann bleibt der »Aha!«-Effekt von einst aus. Westworld befindet sich in einer Schleife, die sich auch vor allem darin zeigt, dass das Finale der vierten Staffel für Staffel 5 eine Rückkehr in den »Westworld«-Themenpark verspricht; dorthin, wo seinerzeit alles anfing. Westworld sei von vorne herein als fünfstaffeliges Epos angelegt gewesen, so Lisa Joy. Also gut, eine letzte Schleife noch. Danach kann die Serie wohl endlich in ihren wohlverdienten »tiefen und traumlosen Schlummer« fallen.

Fazit

Es ist schwer, bei der Sichtung der vierten Staffel von Westworld nicht das Gefühl zu bekommen, dass den Showrunner:innen die Fragen, an deren Beantwortung sie sichtlich interessiert wären, ausgegangen sind. Die Serie fühlt sich mittlerweile an wie eine Kopie ihrer selbst, vollgestopft mit Permutationen bekannter Themen, die allmählich ihren Grip verlieren. Auf einer übergeordneten Ebene ist es natürlich bemerkenswert, dass man die gesamte Serie als Loop anlegen möchte und damit in Staffel 5 die Rückkehr zum »Westworld«-Park ansteht. Bemerkenswert deshalb, da der »Loop« als solches ein wichtiges, storyinterens Element darstellt, welches nun auch auf der Metaebene seinen Ausdruck findet. Doch die praktische Umsetzung dessen wirkt – zumindest auf ein Publikum, welches einfach nur eine packende Serie schauen möchte – eher ermüdend.

© Warner Bros. Home Entertainment

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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