Soft & Quiet
In den Köpfen vieler Menschen sind Rassismus und Xenophobie Themen mit klar definierten Grenzen und gesetzten Schranken. Oftmals sind auch nur Männer die Täter. Dabei unterscheidet Hass nicht nach Geschlecht und kennt viele Formen. Die Regisseurin Beth de Araújo ist Tochter einer chinesisch-amerikanischen Mutter und eines brasilianischen Vaters. Damit nimmt sie die Perspektive ein, wie es ist, in einer weißen Gesellschaft zu leben. In ihrem Horror-Drama Soft & Quiet verarbeitet sie auf schockierende Weise, wie eine nach außen hin bürgerliche und gläubige Frauengruppe ruhigen Gewissens Grenzen überschreitet, immer in der Auffassung, genau das Richtige zu tun. Produziert von der namhaften Horror-Schmiede Blumhouse wird einmal mehr der tägliche Horror zum Spiegel der Gesellschaft. Seinen deutschen Einstand feierte der Film auf den Fantasy Filmfest White Nights 2023.
Die Grundschullehrerin Emily (Stefanie Estes, Nothing Like the Sun) hat einige Frauen ins Gemeindehaus eingeladen. Es verspricht ein gemütlicher und geselliger Nachmittag unter Freundinnen zu werden. Sie sind sich einig: Die Entwicklung da draußen entspricht nicht ihren Wertvorstellungen. Nicht irgendwo in der weiten Welt, sondern direkt vor der Haustüre. Doch so richtig brechen die Emotionen beim Auftischen des Kuchens hervor: Serviert wird ein Apple Pie – mit eingeritztem Hakenkreuz.
Verschobene Wahrnehmung
Originaltitel | Soft & Quiet |
Jahr | 2022 |
Land | USA |
Genre | Horror, Drama |
Regie | Beth de Araújo |
Cast | Emily: Stefanie Estes Leslie: Olivia Luccardi Kim: Dana Millican Anne: Melissa Paulo Marjorie: Eleanore Pienta Lily: Cissy Ly Craig: Jon Beavers |
Laufzeit | 92 Minuten |
FSK | unbekannt |
Titel im Programm der Fantasy Filmfest White Nights 2023 |
Beth de Araújo gelingt ein kleines Kunststück: Sie führt ganz beiläufig ihre durchaus nicht unsympathische Protagonistin Emily ein. Ein augenscheinlicher Gutmensch. Eine kinderliebende Lehrerin. Eine Frau, die sich gesellschaftlich engagiert und sich für die Frauen in ihrer Umgebung stark macht. Bis wir irgendwann merken: Moment, hier stimmt doch etwas nicht! Plötzlich wird es immer erdrückender und unangenehmer. Bis ein Aha-Effekt einsetzt. Wir bekommen hier keine neutrale Identifikationsfigur serviert, sondern sind im Kopf einer Person mit einer ganz besonderen Weltansicht. Was zunächst vielleicht noch Stirnrunzeln hervorbringt oder ein leichtes Kopfschütteln verursacht, nimmt irgendwann grauenhafte Ausmaße an. Wenn Menschen mit gefährlichem Halbwissen auf Menschen ohne fehlenden moralischen Kompass stoßen, entsteht eine ganz neue Ahnung. Wenn dieser Leben eingehaucht wird, ist von einer Ideologie die Rede. Sanft und still. Die Wahl des Titels könnte kaum treffender sein.
Intensiver One-Take
Die filmische Besonderheit von Soft & Quiet besteht darin, dass die Handlung am Stück weg durcherzählt und -gefilmt ist. Es gibt keine Schnitte, keine Zeitsprünge oder plötzliche Szenenwechsel. Es geschieht das, was gezeigt wird, alles in Echtzeit. Nicht mehr und nicht weniger. Ausgespart wird nichts und dank Kamerafrau Greta Zozula (Light From Light) hängt das Publikum nun mittendrin. Dieser technische Kniff sorgt dafür, dass kaum Distanz zu dem Gezeigten entstehen kann. Die intensive Atmosphäre lässt den Film neben Titeln wie Funny Games oder Speak no Evil einsortieren, welche ihren Zuschauer:innen den Boden unter den Füßen wegziehen und den Finger ganz tief in die Wunde legen. Wann immer man sich dabei ertappt fühlt, den Frauen Logik oder kommunikatives Geschick nahelegen zu wollen oder zumindest ein paar hieb- und stichfeste Argumente um die Ohren zu schmettern, folgt der nächste Tiefschlag. Eine absurde Idee jagt die nächste. Das gelingt nicht ganz ohne Abzüge in der Glaubhaftigkeit, doch insgesamt ist schön eingefangen, wie es aussehen kann, wenn Menschen einander aufstacheln und Dummes plötzlich richtig erscheint, weil andere denselben Fehler begehen.
Hautnah dabei
Ins klassische Horror-Genre ist Soft & Quiet nur bedingt einzuordnen. Ähnlich wie in Get Out stehen gesellschaftspolitische Aspekte im Vordergrund, die für die einen ganz normal sind, für die anderen jedoch den Horror des Alltags darstellen. Das kann für manche:n Zuschauer:in einen erschreckenden Perspektivwechsel bedeuten, denn mit jeder verstreichenden Minute wächst der Zorn auf die Anwesenden. Vor grafischer Gewalt wird nicht zurückgeschreckt, trotzdem wird sie nie Mittel zum Zweck, sondern dient immer der dramaturgischen Verdichtung der Erzählung. In jedem Fall überwiegt der psychologische Gewaltakt allem anderen. Vor allem mit dem Bild der USA im Kopf, das geprägt von einer Post-Trump-Ära ist.
Fazit
Soft & Quiet erfordert starke Nerven und muss mit einer Trigger-Warnung versehen werden. Hier geschieht Unfassbares, das unfassbar wütend macht. Der One-Take ist fesselnd erzählt und schmeisst sein Publikum unmittelbar ins Geschehen. De Araújo schafft mit einfachen Mitteln eine gezielte Sogwirkung, will aber keine Meinung diktieren. Es gibt keinen moralischen Zeigefinger. Am Ende muss das Publikum alle Handlungen und Konsequenzen selbst einordnen. Einer jener Filme, bei dem man tunlichst vermeiden sollte, sich vorab durch Trailer zu spoilern.
© Blue Finch Film Releasing