Silent Hill 2

Konamis Silent Hill 2 aus dem Jahre 2001 ist ein wahrer Klassiker des Psycho-Horrors. Die Geschichte eines Mannes, der sich auf die Suche nach seiner (scheinbar) doch nicht so toten Ehefrau begibt und dabei mit virilen Metzgermeistern, sexy Krankenschwestern, vor allem aber mit sich selbst konfrontiert wird. Lange Zeit vom Publisher vernachlässigt und bis heute auf modernen Gaming-Systemen und Vertriebsplattformen nicht wirklich zugänglich, hat die große Remake-Welle endlich auch das Silent Hill-Franchise erfasst. Das polnische Entwicklerstudio Bloober Team, bekannt sowohl für viktorianischen als auch cyperpunk’schen Horror (Layers of FearObserver), hat sich des Klassikers angenommen und nach anfänglichem Backlash seitens der Fans am 7. Oktober 2024 ein Spiel heraus gehauen, das alle Befürchtungen widerlegt und die Erwartungen übertrifft.

   

James Sunderland (Luke Roberts, Ransom) erhält einen Brief von seiner Frau Mary (Salóme Gunnarsdóttir, The Lazarus Project). Darin heißt es, dass sie in Silent Hill an ihrem »speziellen Ort« auf ihn warten werde. Doch Mary ist seit drei Jahren tot. Was hat es also mit dem Brief auf sich? James macht sich auf den Weg nach Silent Hill und muss feststellen, dass das kleine Städtchen seine besten Zeiten bereits hinter sich gelassen hat. Der Ort versinkt in einem undurchdringlichen Nebel und groteske Kreaturen warten nur darauf, über James herzufallen. James muss sich seinen tiefsten Ängsten stellen, um das Rätsel um Mary zu lösen.

Das vernachlässigte Meisterwerk

Originaltitel Silent Hill 2
Jahr 2024
Plattform Microsoft Windows, PlayStation 5
Genre Psycho-Horror, Drama
Entwickler Bloober Team
Publisher Konami, Konami Digital Entertainment
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 7. September 2024

Konamis Silent Hill 2 war bei seinem Erscheinen 2001 eines der ersten Survival-Horror-Spiele, die den »Psycho«-Aspekt mit einbezogen. SH2 bot also kein stumpfes »Monster trifft Junge, Monster mag Junge, Monster killt Junge«, sondern stattdessen eine tiefere Auseinandersetzung mit der psychologischen Landschaft der Figuren. Damit gilt das Spiel als eines der besten Horrorspiele aller Zeiten und kann sich bis heute innerhalb seines Genres, seines Franchises, aber auch innerhalb des Mediums Videospiel behaupten. Alterserscheinungen, die den Zugang für das moderne Publikum erschweren, gibt es trotzdem: Veraltete Grafik, festgefahrene Kamera, Panzersteuerung. Dass das Game in Zeiten der Remasters und Remakes bislang keine Neuauflage bekam, kann man schon als abnormal bezeichnen. Selbst Dead by Daylight hat mit seinem Silent Hill Chapter mehr für Silent Hill zum Quasi-20th-Anniversary getan als Konami selbst. Aber das sei jetzt alles mal vergessen, Bloober Team sei Dank.

Akira Yamaoka did it again

Natürlich haben die grafischen Limitationen und die fixe Kamera damals viel zur eigentümlichen Stimmung von Silent Hill 2 beigetragen. Moderne Mittel können diese besonderen Vibes niemals replizieren. Es gibt jedoch andere Möglichkeiten, um den »Spirit« von etwas wiederzubeleben: Die Akustik. Musik und Klänge funktionieren wie Crêpes-Papier, an ihnen haften Erinnerungen und Gefühle. Das haben auch die Devs von Bloober Team verstanden und deshalb den Original-Komponisten Akira Yamaoka mit ins Boot geholt. Alle wesentlichen Themen und Ambient-Tracks – von den schleifenden Industrial-Sounds bishin zum Weißen Rauschen – wurden in das Remake übernommen und Yamaoka schien hörbar Spaß daran zu haben, seine Musik neu zu erleben und zu interpretieren. Akustisch ist Silent Hill 2 schon einmal eine sichere Bank.

Zum Abglotzen

Auch grafisch entpuppt sich Silent Hill 2 als Augenschmaus. Wettereffekte, Stadtambiente, die Darstellung der fleischigen und verrotteten Höllen: superb. Das pedantisch detaillierte Motion Capturing in den Cut Scenes tut sein Übriges, ebenso wie die erstklassige (englische) Sprachausgabe. Protagonist James Sunderland wird durch seine gebrochene Stimme, den Welpenblick und die steten Atemgeräusche zu einer Figur aus Fleisch und Blut, die man nur allzu leicht ins Herz schließt. Während des Gameplays wirken die Animationen allerdings hier und da etwas »clunky«. Das fällt bei Pyramid Head auf, dessen Wechsel zwischen den Animationen recht unelegant wirkt (wir meinen nicht seine demonstrativ abgehakten Move-Sets), aber auch bei James, wenn er rudert oder mit seiner Holzplanke um sich haut. Nicht, dass es bemerkenswert unansehnlich wäre (Himmel, nein), aber gerade diejenigen Horror-Fans, die vom Resident Evil 4– oder Dead Space-Remake kommen und dort mit unfassbar smoothen Bewegungspaletten verwöhnt wurden, dürfte das leichte Downgrade in SH2 auffallen. Nichtsdestotrotz: Man gewöhnt sich dran und bald ist es auch vergessen.

Hackebeil mit 3 fps

Allerdings: Auch der Nahkampf erweist sich stellenweise als klobig. Wenn wir durch einen engen Raum mit mehreren Gegnern stolpern und unsere Holzplanke ständig die toten Gegner auf dem Boden anvisiert anstelle die aktiven Angreifer, dann sorgt das eher für Frust als Horror. Im schlimmsten Fall kommt dann noch ein Framerate-Drop dazu und plötzlich ist der Lag das größte Problem. Die Performance auf dem PC ist keine totale Horrorshow, aber man merkt, dass sich Low- bis Mid-End-PCs ordentlich abmühen müssen. Wer keinen Bock auf Hackebeil-Lag hat, kann sein Glück auch mit Pistole, Schrotflinte und Jagdgewehr versuchen. Die Munitionsknappheit zu Beginn führt zwar zu leichten Resident Evil 2-Flashbacks, wer aber in der Stadt ausgiebig die Autos lootet, der kann nach der Hälfte des Games durchaus mal 80 Schuss in der Tasche haben, bereit zum mexikanischen Abmunitionieren. Die Orienierung fällt in Silent Hill übrigens sehr leicht, da Bloober Team ein nahezu perfektes Map-System nutzt: James höchstselbst notiert sich mit seinem Rotstift Points of Interest, Infos und Memos und kommt damit den Spieler:innen sehr entgegen. Danke, James.

Wenn die Bedeutung aus jeder verstopften Toilette tropft

Das auffälligste Merkmal von Silent Hill ist seine Art des Horrors, der sich tief aus den vergrabenen Facetten des menschlichen Zustandes speist. Liebe, Schuld, sexuelle Frustration, Sadismus etc.: Das alles findet sich im allgemeinen Gamedesign und selbst in den Bossgegnern wieder. Einer dieser Bossgegner ist so abstrakt designt, dass wir zweimal hinschauen müssen, um seine Bedeutung zu verstehen. Kein generisches Monster, sondern ein abstruses Ding, das die unkontrollierbare Wut und Degeneration, aus der es sich speist, perfekt widerspiegelt. Damit schuf Silent Hill seinerzeit eine völlig neue Form des Environmental Storytelling. Bis heute suchen Sesselfurzer und Youtube-Analysten jeden Zentimeter von Silent Hill und seinen Bewohnern nach Details für neue Theorien ab, und mit dem Erscheinen des Remakes kommt nun massenhaft neuer Stoff dazu. Denn die Spielzeit wurde von ca. zehn Stunden (im Original) auf ca. 19 Stunden (im Remake) verlängert. Die Symbolik ist gewaltig und derart gut umgesetzt, dass man, auch wenn man sie nicht versteht, ständig die visuellen und auditiven Themen in der Art Direction wahrnimmt und von der Atmosphäre aufgesogen wird.

Busy Work, aber auch viel Liebe

Längere Spielzeit heißt also mehr Content? Ja. Aber auch mehr Laufwege. Levelbereiche, die im Original nur als Übergang in den nächsten Bereich dienen, werden im Remake zu wahren Dungeons aufgebläht. Wenn man die Map aufschlägt und die drei bis fünf Stockwerke sieht, die man durchackern muss, in dem Wissen, dass es davon sicher noch eine alternative Version gibt, dann möchte man manchmal am liebsten abschalten. Auch kann man anführen, dass die neuen Rätsel reine Beschäftigungstherapie sind. Allerdings sind diese thematisch derart gut die Story integriert, dass sie zusätzliche Analogien ins Spiel bringen und sogar das Ende beeinflussen. Alle sechs Enden des Originals sind vorhanden, sowie zwei neue, die speziell für das Remake erstellt wurden. Generell hat Bloober Team viel Liebe in das Remake gesteckt. Die Entwickler haben sich an den originalen Concept Arts orientiert und Dinge umgesetzt, die selbst das Original nicht geschafft hat. Das Großschwert von Pyramid Head z. B. hat nun endlich den Scheren-Look bekommen, den es schon immer haben sollte. Überall verstecken sich »Glimpse of the Past« als Reminiszenz an das Original und selbst das »Strange Photo«-Rätsel birgt eine geheime (auf Reddit bereits geknackte) Botschaft an die Spieler:innen. Also ja: Es gibt mehr Laufarbeit und Busy Work, aber dadurch ist man auch länger dieser unglaublichen Atmosphäre ausgesetzt – und darauf kommt es bei Silent Hill 2 an.

Fazit

Silent Hill 2 ist ein weiteres Beispiel für ein hervorragend gelungenes Horror-Remake. Das Game ist nach wie vor in der Lage, den Spieler:innen mit seiner unfassbaren Atmosphäre an die Nerven zu gehen. Einige der aufgeblähten Levels können ermüdend sein und wer für den Combat kommt, sollte lieber zu Dead Space greifen. Allerdings ist die Geschichte von Traumata, die sich ihren Weg in die Realität brechen, absolut zeitlos und wird hier auf eine Weise präsentiert, die einen nur schwer wieder loslässt. Durchdachte Verbesserungen, willkommene QoL-Updates und ein ausgezeichnet interpretierter James Sunderland, der hier wirklich der absolute Augenstern ist, machen diesen neu aufgelegten Klassiker zu einem Must-try-Game (übrigens auch für Franchise-Neulinge bedenkenlos zu empfehlen, da Silent Hill 2 eigenständig für sich steht).

© Konami, Konami Digital Entertainment

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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