Squid Game (Staffel 2)
Dass ausgerechnet ein Vertreter aus der koreanischen Drama-Ecke einmal die Netflix-Seriencharts anführen würde – und zwar in der All-Time-Kategorie – damit hätte wohl niemand gerechnet. Doch genau das ist Squid Game gelungen. Als die Serie 2021 an den Start ging, marschierten die mittlerweile ikonischen pinken Soldaten innerhalb der ersten vier Wochen in über 142 Millionen Netflix-Haushalte ein. Am 26. Dezember 2024 erschien die zweite Staffel und wieder waren die pinken Soldaten omnipräsent. Duolingo warb mit ihnen für seine Koreanischkurse, in Paris feierten sie ihr Comeback auf der Champs-Élysées mit einem echten »Squid Game« und Johnnie Walker brachte eine Sonderedition seines Black Label Scotch Whiskys heraus. Die Werbekampagne war massiv – wie auch das Bestreben von Netflix, an den einstigen Erfolg anzuschließen. Ganz schön viel Druck, vor allem für den kreativen Kopf dahinter, Hwang Dong-hyuk, der eigentlich gar keine Fortsetzung wollte.
Gi-Hun (Lee Jung-jae, The Acolyte) hat die tödlichen Kinderspiele gewonnen. Mit über 45 Millionen Won in der Tasche könnte er nun ein sorgenfreies Leben führen, doch er rührt das Geld nicht an. Er weiß, wie viele Tote mit jedem einzelnen Schein verbunden sind. Und so beschließt er eines Tages, mit dem Geld die Hintermänner der Spiele ausfindig zu machen, um dem Ganzen ein Ende zu setzen. Mit Hilfe einer Söldnertruppe durchstreift er die U-Bahn-Netze auf der Suche nach »dem Anwerber«, der die Menschen mit einer Runde Ddakji in die tödlichen Kinderspiele lockt. Die Suche ist schließlich erfolgreich, aber anders als geplant. Denn Gi-Hun gerät erneut in die Spiele. Doch diesmal will er sie von innen heraus zerstören.
Der Regisseur, der nicht wollte
Originaltitel | Ojingeo Geim |
Jahr | 2024 |
Land | Südkorea |
Episoden | 7 (in Staffel 2) |
Genre | Drama |
Cast | Seung Gi-hun: Lee Jung-jae Frontmann/Spieler 001: Lee Byung-hun Hwang Jun-ho: Wi Ha-joon Park Jung-bae: Lee Seo-hwan Cho Hyun-ju: Park Sung-hoon Kim Jun-hee: Jo Yu-ri Kang No-eul: Park Gyu-young |
Veröffentlichung: 26. Dezember 2024 |
Das Casual-Publikum wird sich die zweite Staffel von Squid Game ganz unbefangen ansehen können. Doch wer sich im Netz herumtreibt, weiß, dass Creative Director Hwang Dong-hyuk gar keine Lust auf eine Fortsetzung hatte. Für ihn war Squid Game mit Staffel 1 erledigt. Der immense Erfolg und die ständigen Anrufe von Netflix zwangen ihn aber schließlich, sich eine zweite (und dritte) Staffel aus den Fingern zu saugen. Ursprünglich waren beide Staffeln als eine Einheit geplant, doch aufgrund der Episodenanzahl wurden sie aufgeteilt. Der immense Druck während der Produktion führte bei Hwang schließlich zu einer Squid Game-Fatigue. Er habe genug von Squid Game, sagte er in einem Interview mit der Variety. Sein nächstes Ziel: eine ferne Insel ohne Telefon. Dieser ganze Kontext wabert also im Hinterkopf herum, wenn man Staffel 2 anmacht. Der nächste Cash Grap also. Und das bei einer Serie, die sich »Kapitalismus = schlecht« auf die Fahne geschrieben hat.
Tell, don’t show. Tell, tell, tell
Was passiert also? Eine Kopie von Staffel 1? Nein, zur Abwechslung gibt es in Staffel 2 zwei Handlungsstränge: 1.) Gi-Hun, der an den Spielen teilnimmt und versucht, sie von innen zu zerstören, und 2.) seine Söldnerfreunde, die versuchen, den Austragungsort zu finden und die Spiele von außen zu zerstören. Die ersten zwei Folgen sind … mühsam. Sie etablieren den zweiten Handlungsbogen, und da sie draußen in der alltäglichen Welt spielen, messen wir, das Publikum, sie auch an alltäglichen Standards. Und da sind es vor allem die Dialoge, die auffallen: Unsubtiles Exposition-Dumping wo es nur geht, gestelzt und theatralisch. Ist das eine kulturelle Eigenheit? Eine schlechte deutsche Synchronisation? Oder die Vorgabe von Netflix, dass auch die »Second Screener« jederzeit wissen sollen, was abgeht? Sehr wahrscheinlich Letzteres. Dass sich neue Produktionen nach dem »unaufmerksamen Zuschauer« richten, ist ein Trend, der in letzter Zeit vermehrt auffällt und als solcher auch identifiziert wird. Und so ist es in Squid Game nicht nur der völlig überzeichnete Comic Relief-Charakter, der ständig Plot, Gefühle und Gedanken erklärt. Im Grunde besitzt jede Figur mehr oder weniger dieses Laster.
Ein bisschen frischer Wind
Mit Episode 3 beginnen die Spiele und das alte Flair kommt zurück. Letales Glücksspiel glotzen – dafür sind wir doch hier, dann fallen auch die Dialoge nicht mehr ganz so arg auf. Es gibt einige neue Elemente, die für Abwechslung sorgen. Nach jedem Spiel dürfen die Teilnehmer nun abstimmen, ob sie die Spiele beenden wollen oder nicht (was sich manchmal wie Kaugummi zieht). Hier kommt vor allem die menschliche Komponente zum Tragen, da jeder sein eigenes Päckchen zu tragen hat und die Abstimmung dementsprechend beeinflusst. Frischen Wind bringen auch die neuen Nebencharaktere: eine Transfrau mit Militärvergangenheit, ein opportunistischer Sohn samt Mutter, eine junge Nordkoreanerin als pinke Soldatin, eine Schwangere, die sich nicht durch ihre Schwangerschaft definieren lassen will (bis es ihr dann doch gelegen kommt), und natürlich Spieler 001, bei dem es sich insgeheim um den Frontmann handelt. Jeder birgt interessante neue Ansätze. Es gibt aber auch Figuren, denen nur eine Grundeigenschaft in die Wiege gelegt wurde und deswegen völlig überzeichnet und kaum zu ertragen sind (Stichwort: der Rapper). Erinnern wir uns noch an Staffel 1, wo Figuren mehrere Eigenschaften in sich vereinen konnten? Tja …
Watching outside the Box
Allen Figuren ist gemeinsam, dass sie nicht sonderlich erforscht werden. Anders als in Staffel 1 bleibt keine Zeit, ihr Leben außerhalb der Insel darzustellen, daher können sie nur davon erzählen. Auch der zweite Handlungsbogen mit dem Söldnertrupp gestaltet sich recht dröge und grätscht immer wieder mal auf höchst uninteressante Weise in den ersten Plot rein. Ein weiterer Fallstrick der zweiten Staffel ist sicherlich auch, dass wir die Mystery-Box verlassen haben. In Staffel 1 waren wir Gefangene eines esoterischen Kosmos‘, der eine Metabene eröffnet hat, auf der man über Ethik und die Perversion des Menschseins diskutieren konnte – das war der Aufhänger, der nun aber fehlt. Wir kennen die Spiele und die Abläufe. Wir befinden uns nicht mehr auf einer philosophischen, sondern auf einer sehr greifbaren Ebene, auf der konkret versucht wird, die Mystery-Box zu zerstören.
Fazit
Staffel 2 von Squid Game (bzw. Staffel 2 Part 1 … ) hat so ihre Macken: Schwächere Figurenzeichnung, weniger Mystery-Flair, einen drögen Nebenplot und Dialoge, die man oft nicht ernst nehmen kann. Immerhin: Die Kulissen wissen mit ihren knalligen Kontrasten immer noch zu überzeugen, der Soundtrack gibt mit seinem besonderen Staccato-Chor nach wie vor alles, die albernen VIPs mit den Tiermasken tauchen diesmal nicht auf, und, naja, was soll ich sagen: Tödliche Kinderspiele zum Abglotzen sind halt spannend. Aber packt einen die Staffel als Ganzes? Eher weniger. Der Bingefaktor hat im Vergleich zu Staffel 1 nachgelassen. Regisseur Hwang sagte abschließend in einem Interview: »Ich denke, ich habe etwas geschaffen, das der ersten Staffel nicht schadet«. Das klingt wenig überzeugt. Der Mann hat etwas kreiert, das den Kapitalismus kritisiert, nur damit der Kapitalismus ihn und seine Squid Game-IP für Profit ausbluten lässt. Man möchte lachen.
© Netflix