Der rote Korsar
“Kommt näher, meine Freunde, kommt näher! Ihr seid zur letzten Fahrt des roten Korsaren geschanghait worden. Er hat sie vor langer Zeit im karibischen Meer gemacht. Vergesst nicht, auf einem Piratenschiff, in Piratengewässern, in einer Piratenwelt. Stellt keine Fragen! Glaubt nur, was ihr seht! Nein… glaubt nicht einmal die Hälfte!” So begrüßt Burt Lancaster das Publikum, in den Wanten eines Dreimasters und in bonbonfarbenem Technicolor, mit den weißstrahlendsten Zähnen und der imposantesten männlichen Oberweite, die Hollywood 1952 zu bieten hatte. Und er verspricht nicht zu viel. In den übrigen 104 Minuten folgt nicht der erste und vielleicht nicht der größte, aber mit Sicherheit der bunteste, lustigste und rasanteste Piratenfilm des klassischen Hollywoods.
Als Piratenkapitän Vallo eine spanische Fregatte kapert, freut sich die Mannschaft noch über die fette Prise. Aber leider ist kein Gold an Bord, nur eine Ladung Waffen und ein spanischer Adeliger, der einen Aufstand auf der Insel Cobra niederschlagen soll. Vallo hat einige Ideen, was man damit anfangen könnte: etwa die Waffen verkaufen, oder die Freiheitskämpfer an den Baron verkaufen. Aber obwohl er sein ganzes Charisma aufwendet, um seiner Mannschaft den Plan schmackhaft zu machen, stößt der auf wenig Gegenliebe: zu viel Handel, zu wenig Piratentum. Besonders dem ersten Maat ist die Idee suspekt. Dennoch machen Vallo und sein stummer Freund Ojo sich auf den Weg nach Cobra. Nach allerlei akrobatischen Verfolgungsjagden gelingt es ihnen, Kontakt mit Consuelo, der Tochter des inhaftierten Rebellenführers El Libre aufzunehmen. Der nächste Plan ist, El Libre aus dem Gefängnis zu befreien. Nicht, wie Consuelo glaubt, um die Rebellion zu unterstützen, sondern um ihn an Baron Gruda zu verkaufen. Verkleidet als Baron Gruda und Adjutant gehen Vallo und Ojo zu einem Empfang des Inselgouverneurs, fliegen zwar auf, als sie vorzeitig erkannt werden, können jedoch El Libre und den Erfinder Professor Prudencia befreien.
Zurück auf dem Schiff bringen Vallos frisch erwachte Gefühle für Consuelo seine zynisch-skrupellose Haltung arg ins Wanken. Er lässt sie und ihren Vater frei, aber seine großmütige Tat hat fatale Folgen: dummerweise hat der erste Maat gelauscht und meutert gegen seinen weich gewordenen Käptn. El Libre und Consuelo laufen den königlichen Wachen in die Hände, er wird getötet, sie gefangen genommen. Vallo, Ojo und der Professor werden an ein Ruderboot gekettet auf dem Meer ausgesetzt.
Da hat der Professor die rettende Idee: sie drehen das Boot um, versinken und laufen auf dem Meeresboden, mit dem Kopf in der Luftblase unter dem Bootsrumpf zurück an Land. Dort soll Consuelo den Gouverneur heiraten oder die Inselbevölkerung wird abgeschlachtet. Nun endgültig auf der Seite der Rebellen, machen sich Vallo und Ojo daran, Consuelo zu befreien und Baron Gruda das Handwerk zu legen, unterstützt von den Erfindungen des Professors wie Sprengstoff, Maschinengewehren und einem Heißluftballon. Auch der meuterische erste Maat bereut seine Taten und opfert sich, um Vallos Plan zu unterstützen. Nach noch mehr akrobatischen Kämpfen, Explosionen, einem Auftritt in Frauenkleidern, Breitseiten und Entermanövern hat Vallo den bösen Baron besiegt und Consuelo sinkt in seine Arme.
Breitseite in Technicolor
Originaltitel | The Crimson Pirate |
Jahr | 1952 |
Land | USA |
Genre | Abenteuer |
Regisseur | Robert Siodmak |
Cast | Käptn Vallo: Burt Lancaster Ojo: Nick Cravat Consuelo: Eva Bartok Baron Gruda: Leslie Bradley Militärattaché Joseph: Christopher Lee Humble Bellows: Torin Thatcher |
Laufzeit | 105 Minuten |
FSK |
1952 war das Genre des Piratenfilms gut etabliert. Technicolor und Breitwand brachten neue Pracht für ein Genre, das schon immer mit eindrucksvollen Bildern von exotischen Inseln und Segelschiffen auf hoher See gepunktet hatte. Und durch die vielen Piratenfilme der 40er und 40er Jahre war ein Repertoire von Motiven und Versatzstücken entstanden, das nun mit einem Funken Ironie ausgespielt werden konnte. Der Rote Korsar hat alles, was zu einem Piratenfilm gehört: Es wird gesegelt und geentert, es werden Breitseiten abgefeuert und es wird in den Wanten herumgeturnt. Es ertönen markige seemännisch Kommandos im Stil von “Alle Mann an Deck! Brasst die Bilg und halst den Klüver!” und es werden Seemanslieder gesungen, in diesem Fall “What shall we do with the Drunken Sailor”. Burt Lancaster spielt einen Piratenkapitän als charmanten Schuft mit einem überdimensionalen Selbstbewusstsein und und Dialogen wie:
Baron: “Seid bloß nicht so keck, Käptn Vallo.Es sind 200 Soldaten an Bord meines Schiffes!”
Vallo: “Und wir sind 20 Piraten. Das gibt mir einen kleinen Vorteil.”
Seine anfängliche Skrupellosigkeit schmilzt spätestens in der zweiten Filmhälfte durch die Liebe zu einer schönen Frau dahin wie Butter in der Sonne, während die härtere, bedrohlichere Version des Piratentums für seinen unzufriedenen ersten Maat vorgesehen ist. Aber die wahren Schurken sind die spanischen Uniformträger, die von den Piraten in ausufernden Kampf- und Verfolgungsszenen immer wieder aufs Neue herumgescheucht und ausgetrickst werden, ohne dass das besonders bedrohlich wirkt.
Akrobatik in den Wanten
Lancasters großes Kapital in dieser Rolle ist sein artistisches Können. Zusammen mit seinem Jugendfreund Nick Cravat, der hier den stummen Sidekick Ojo spielt, war er jahrelang im Zirkus aufgetreten, bis eine Verletzung ihn zu einem Richtungswechsel zwang und letztendlich zur Schauspielerei brachte. Sein Kostüm aus gestreiften Leggins und freiem Oberkörper mag mittlerweile skurril wirken, was er und Cravat da in der Takelage und in an Altstadtfassaden machen, ist immer noch eindrucksvoll und rechtfertigt die epische Breite der Actionszenen voll und ganz. Die Handlung mag unnötig kompliziert und jenseits von Logik oder historischen Zusammenhängen sein, aber der Augenschmaus bei all dem Klettern, Springen, Hangeln und Schaukeln lässt es völlig vergessen.
Ein Film für den inneren Zehnjährigen in uns allen. Die Dialoge mögen mittlerweile hölzern und gestelzt klingen, die Handlung konfus wirken, aber der Film hat immer noch genug Tempo, Witz und Eye Candy, um Spaß zu machen. Wer Fluch der Karibik liebt, der findet hier eine der vielen Schatztruhen, die das Drehbuch-Autorenteam Ted Elliot und Terry Rossio geplündert hat, um aus der Beute den ultimativen Piratenfilm zusammenzuschrauben. Der den Gesetzen der Physik völlig zuwiderlaufende Trick mit dem Ruderboot ist nur einer von vielen Momenten, die sich in Fluch der Karibik wiederfinden. Auch Käptn Vallos Versuch, seiner Mannschaft den Mangel an Gold an Bord des gekonnt gekaperten Schiffs als besonderen Glücktreffer zu verkaufen und sein Konflikt mit seinem ersten Maat erinnern sehr an Jack Sparrow und seinen Widersacher Barbossa. Vielleicht gönne ich mir mal ein häusliches Double Feature aus Der rote Korsar und Fluch der Karibik Teil 1, um all die Ostereier aufzustöbern.