Violet Evergarden (Folge 6)

Was ist Einsamkeit? Ein Leben auf Reisen? Heimatlosigkeit? Oder die Trennung von den Menschen, die einem am Herzen liegen? In Folge 6 von Violet Evergarden verbringt Violet zwei Wochen auf einem Observatorium, in denen sie mit Leon zusammenarbeitet, der seine Einsamkeit hinter Büchern versteckt. Dabei lernt sie das Gefühl zu benennen, das sie schon lange umgarnt.

Justitia ist ein Observatorium in den Bergen, das unter anderem mit der Aufgabe betraut ist alte Bücher zur Astronomie zu finden und gegebenenfalls abzuschreiben, um sie der Nachwelt zu hinterlassen. Als das Observatorium ein große Menge sehr schlecht erhaltener Bücher erhält, nimmt es die Dienste der AKORA in Anspruch, um mit der Arbeitslast fertig zu werden. Leon ist ein junger Mann aus der Transkriptionsabteilung, die mit den AKORA in Partnerarbeit zugeteilt werden. Als er Violet begegnet, sieht er allerdings mehr als nur die AKORA in ihr…

In der letzten Folge womöglich etwas irreführend angeteast

In der Epilogszene der letzten Folge trifft Violet auf Diethard, der ihr Vorwürfe macht und ihre blutige Vergangenheit aufwühlt. Die Szene weckt dahingehend Erwartungen, dass sich die Serie nun mit den düsteren Seiten, wie dem Krieg und Violets Vergangenheit widmet. Doch geht es in dieser Folge weiter wie gehabt. Mit den episodischen Abenteuern Violets, die ihre Gefühlen kennenlernt und dabei die Leben der Menschen ihrer Umgebung verändert. Doch emotional reiht sich diese Folge eigentlich nahtlos an die vorige an. Da der Kosmos in der kühleren Gebirgsregion des Observatoriums in voller Blüte steht und auch ihre ehemaligen Klassenkameraden ihre jüngst vollbrachte Arbeit bei Prinzessin Charlotte erwähnen, liegt es nahe, dass nur wenige Monate seit der Hochzeit vergangen sind. Als Charlotte und Damian glücklich zueinander gefunden haben, fand sich ein Stachel in Violets Herzen, der durch Diethard noch tiefer getrieben wurde, als er ihre Eignung für ihre Arbeit in Frage stellt. Eine Frage, die sie sich selbst schon von Anfang an stellt und die sie unterschwellig erneut aufwühlt. Selbst auf Luculia, die Violets ausdruckslose Art schon kennt, wirkt Violet niedergeschlagen.

Sie hat Ihnen viel bedeutet, nicht wahr?

Leon auf der anderen Seite ist ebenfalls aufgewühlt. Auch ihm wird erst im Laufe der Folge klar, dass es sich um eine Art Mutterkomplex handelt. Für den aufmerksamen Zuschauer ist es hingegen schon sehr viel offensichtlicher: Leon ist anfangs recht frauenfeindlich eingestellt und besonders den Beruf der AKORA verabscheut er, ohne zunächst zu wissen wieso. Es lassen sich jedoch Parallelen ziehen zu seiner Mutter, die einst fahrende Unterhaltungskünstlerin war. Die AKORA fahren ebenso überall durchs Land, sobald ein Kunde sie anfragt und putzen sich dabei heraus. Als Leon Violet das erste Mal treffen soll, hat er seinen Kopf nach oben gerichtet, wie ein Kind, das zu seiner Mutter aufsieht und das bereits bevor Violet ihm gegenüber steht. Als Leon das Buch mit der Legend um den Kometen Allys transkribiert, muss er wehmütig bei den Bildern der heligen Mutter und ihrem Kind innehalten. Als die Kollegen hinter seinem Rücken über ihn und seine Mutter herziehen, ist er aufgebracht, denn offenbar teilt er einerseits ihre Meinung, andererseits verletzt es ihn sehr, derart Schlechtes über seine Mutter zu hören. Nach dem belauschten Gespräch in der Bibliothek sieht er in ihr eine Seelenverwandte und entdeckt offenkundig seine erste Liebe. Seine Hände malträtieren und exekutieren das Baguette seines Mittagsessens geradezu. Im Grunde seines Herzens hat er seiner Mutter Vorhaltungen gemacht. Doch nun durchlebt er ähnliche Gefühle wie sie, die Liebe, die Menschen zu Dummköpfen macht. Das schafft einen Nährboden für Verständnis. Violet spendet ihm nach der Erzählung seiner Geschichte weder Trost, noch macht sie ihm Vorhaltungen. Sie gibt einfach nur die von ihr wahrgenommene Wahrheit wieder, indem sie sagt, dass ihm seine Mutter viel zu bedeuten scheint. Am Ende kommt er mit sich ins Reine und beschließt, das Observatorium, seinen kleines Schneckenhaus, zu verlassen und wie Violet auf Reisen zu gehen.

Mit dieser Folge ist der AKORA-Beruf wohl etabliert das fiktive Pendant des Gouvernantenberufs, was sich sehr gut in das viktorianisch anmutende Setting einreiht. Ich gebe zu, ich habe nach der Hafenszene mit Diethard noch etwas anderes… Reißerischeres erwartet. Doch lag ich zumindest in einem nicht falsch: Die Serie wendet sich nun der Vorstellung negativer Gefühle zu. Das steht dieser Folge gut, denn inhaltlich gleicht sie im Grunde ungemein der dritten: Violet kommt, hört sich an, was jemand zu sagen hat und verändert einfach dadurch, dass sie sie selbst ist, dessen Leben. Anders als Luculia, die nur in der Übersetzung ausspricht, dass Violet ihr Leben verändert hat, spricht es Leon diesmal auch im Original am Ende aus. Doch diese Folge trieft nicht einmal halb so viel. Einen großen Beitrag leistet sicher der abgeschottete Schauplatz in den Bergen zusammen mit der Regie, die durchgehend viel Geräumigkeit zeigt. Es wirkt desolat, als ob man sich in der Weite verliert. Selbst in Szenen, bei denen Leon und Violet zusammen sind, ist stets eine visuelle Entfernung zu spüren. (Zu sehr würde mich auch die Bedeutung der Vögel interessieren. Man sieht eine Möwe am ersten Tag ihrer Arbeit und Violet füttert Spatzen.) Obgleich Violet wieder lächelt, weil sie anderen Gutes wünscht, vergeht es ihr diesmal sofort wieder, als sie alleine den Rückweg antritt. Schade ist hierbei (einmal mehr) die freie Übersetzung in der deutschen Synchronisation. Leon spricht über die Liebe als etwas, das Leben zerstören kann, doch eigentlich sagt er, dass Liebe aus Menschen lediglich Narren macht. Als er Violet fragt, ob sie für die ihr besondere Person sofort abreisen würde, antwortet sie im Deutschen direkt, dass sie sofort losziehen würde. Im Original hält sie inne und fragt sich, wie sie sich in dem Fall bei Leon entschuldigen würde. Das macht sie sehr viel einfühlsamer und rücksichtsvoller ihrer Umwelt entgegen und damit reifer als sie im Deutschen wirkt. Ebenfalls klingt sie im Deutschen resignierter, als sie die Zeit mit Gilbert mit einem deutsch-exklusiven “Aber das ist Vergangenheit” abtut. Gilberts Tod wurde von Violet nie ausgesprochen. Der Satz legt nahe, dass es Violet nicht einfach nur unterschwellig dämmert, sondern sie es schon weiß, womit auch die Parallele verloren geht mit Leons Eltern, die verschollen, aber nicht gesichert tot sind.

Zweite Meinung:

Violet Evergarden wird mit voranschreiten der Geschichte zunehmend zum besser produzierten, aber inhaltlich flacheren Kino’s Journey: The Beautiful World. Die Figur Violet, der man dabei zusieht wie sie erkennt, was jeder Zuschauer bereits erkannt hat und ihre bisherigen Geschichten, die so einfach und wohlbekannt sind, dass sie zu Belanglosigkeit werden, werden leider dem sichtbaren und beeindruckenden Produktionsaufwand der Serie zu keinem Zeitpunkt gerecht. Es ist teilweise extrem langweilig und man wünscht sich, dass jemand die Figuren aus dem Bild nimmt, damit man sich auf die hübschen Hintergründe, die Welt und die in der Folge besonders gute musikalische Untermalung konzentrieren kann. Nach 80 Sekunden, ist zu 100% der Ablauf dieser Folge klar, es gibt keinerlei Überraschungen mehr. Etwas ernüchternd ist, dass diese Folge ein Teil der Light Novel ist, nur gesteht Leon Violet in der Light Novel seine Liebe, im Anime leider nicht. Somit ist das Versprechen am Ende der Folge, nicht nur ein Versprechen auf ein Wiedersehen, sondern vermutlich auch auf eine Filler-Folge. Was zusätzlich auffällt: es gibt diesmal keine Rückblende auf ein Violet-Major Erlebnis. Die Botschaft, dass nun ein neuer Mann in Violets Leben getreten ist, würde wesentlich mehr Wirkung haben, wenn Leon ihr seine Liebe gestanden hätte und es nicht so aussehen lassen würde, als ob er seine Mutter mit Violet gleichsetzt und am Ende durch Violet ersetzt, denn sein ausgesprochenes Ziel am Ende der Folge ist es, Violet wiederzusehen, nicht seine Mutter zu finden. Man sieht überall das Potenzial der Serie, nur wird es für mich immer unverständlicher, warum man nicht einfach die Light Novel erzählt hat. Die Light Novel gilt als perfekt, wieso muss man sie auf 14 Folgen aufblasen, wenn man doch auf Netflix veröffentlicht, die bekannt dafür sind, dass sie den Produzenten maximale Freiheiten geben? Die Antwort ist wie immer Geld, nehme ich an.

Luna

Luna residiert auf dem Mond mit ihren beiden Kaninchen. Als solche hat sie eine Faible für flauschige Langohren und ist auch nicht um die ein ums andere Mal etwas entrückte Sicht auf die Weltordnung verlegen. Im Bestreben, sich verständigt zu bekommen, vertreibt sie gerne die Zeit mit dem Lernen und Erproben verschiedener Sprachen und derer Ausdrucksformen.

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