Entwicklung des deutschen Manga-Marktes nach Zielgruppen von 2009 bis 2019
Der deutsche Mangamarkt wächst seit Jahren kontinuierlich. Es grenzt an ein Wunder, dass wirklich stetig mehr Bände und Titel veröffentlicht werden und er noch immer funktioniert. Waren es 2009 nur 572 Bände im Jahr, so sind es 2019 bereits 1099. Dennoch hört und liest man sehr oft, dass Leser mit den Verlagsprogrammen unzufrieden sind, weil die eigene Zielgruppe nicht bedient wird. Dies basiert sehr oft auf subjektiven Eindrücken, die durch Verlagsprogramme und dem Sortiment des örtlichen Buchhändlers resultieren. Aber stimmt die persönliche Wahrnehmung auch immer mit der Realität überein?
Wie ist dabei die Vorgehensweise? Orientiert wird sich an der japanischen Einteilung der Zielgruppen Shounen (für Jungs), Shoujo (für Mädchen), Seinen (für Männer) und Josei (für Frauen), die anhand derer Magazine bestimmt werden, in denen die einzelnen Mangas kapitelweise vorveröffentlicht werden. Es gibt zwar einige davon, die eine gemischte Zielgruppe haben, etwa wie das Magazin GFantasy von Square Enix, aber das sind zum Glück eher die Ausnahmen von der Regel. In solchen Fällen wird von Werk zu Werk entschieden, welcher Zielgruppe das eher entspricht, basierend auf Erfahrungen mit ähnlich gestrickten Titeln. Die beiden doch sehr speziellen Subgenres Boys Love und Girls Love sind noch einmal extra aufgeführt, da diese mehr als nur eine Zielgruppe ansprechen können und auch eigene Magazine besitzen. Danach wird jeder einzelne Verlag betrachtet und überprüft, was er zwischen Januar und Dezember eines Jahres veröffentlicht hat. Berücksichtigt werden hier alle Manga-Neuerscheinungen, also keine Light Novels, Artbooks und Guide Books.
Der Gesamt-Markt
Von 2009 bis 2014 profitierten vor allem Shoujo-Leser von einer Vielzahl von Titeln, danach flaute das Genre erheblich ab und 2016 markierte den tiefsten Stand. Es erholte sich allerdings bereits ein Jahr später wieder und steigt nun erneut. Währenddessen hatte Boys Love bereits 2013 seinen Tiefpunkt erreicht und erst 2019 befindet es sich abermals gleichauf mit seiner Glanzzeit im Jahre 2009. Girls Love ist zwar seit 2010 stets mit von der Partie, aber dennoch blieb die Entwicklung überschaubar. Allerdings dürfte 2019 kaum noch Raum für Beschwerden zulassen. Denn dies ist einer der Bereiche, die den deutlichsten Anstieg erlebt haben. Dies trifft auch auf Shounen und Seinen zu. Diese beiden Zielgruppen sind am stärksten über die letzten Jahre gewachsen. Die Anzahl der Bände wie Titel haben sich seit 2009 mehr als nur verdoppelt. Die Josei-Titel sind zwar ebenso angestiegen, unterliegen aber stetig Schwankungen und befinden sich weit unter dem, was man eigentlich bei einer der vier Hauptzielgruppen erwarten würde.
Carlsen Manga
Carlsen Manga ist einer der ganz alten und großen Player auf dem deutschen Markt, die bereits viele Toptitel herausgebracht haben und wohl auch noch lange herausbringen werden. Allerdings wohl nicht im Bereich Boys Love, denn sank der jährliche Output stetig und befand sich 2018 im Keller. Girls Love ist auch nur eine Randerscheinung: mal ist etwas dabei, mal nicht. Bei Josei bleibt ebenso noch einiges an Luft nach oben, auch wenn sich das Niveau in Anbetracht von 2009 zu 2019 hält. Shoujo-Titel gibt es hingegen weniger als noch 2009, aber seit 2018 werden es zumindest wieder mehr Bände im Jahr. Carlsen Manga glänzt viel mehr durch sein Shounen- und Seinen-Programm, die beide auch den größten Wachstum hinlegten. Dies macht sich bemerkbar, denn obwohl viele Bereiche seit 2009 stetig nachgelassen haben, sind es 2019 fünf Titel mehr als damals. Wobei hier zu erwähnen ist, dass es auch Jahre gab, in denen weniger als 180 Bände erschienen sind. Während 2019 hingegen mit 252 Bänden abgeschlossen wurde.
Egmont Manga
Ein weiterer Big-Player im Manga-Geschäft ist Egmont Manga, der ebenso wie Carlsen Manga auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Doch es herrscht ein stetiges Auf und Ab, sodass es schwierig ist, den Verlag längerfristig einschätzen zu können. Im Gesamtblick ist allerdings ein Wachstum vorhanden, da über die Jahre mehr Titel und Bände erschienen, als es noch zu 2009 der Fall war. Diese erheblichen Schwankungen zwischen den einzelnen Zielgruppen können zwei unterschiedliche Dinge bedeuten: Egmont Manga ist sehr flexibel in seiner Ausrichtung und passt sich dem Markt entsprechend an. Allerdings ist das die positive Auslegung. Die negative könnte bedeuten, dass man beim Verlag keine klare Linie findet und auch kein sonderlich glückliches Händchen mit den Lizenzen hat. Deshalb muss ständig eine Kurskorrektur vorgenommen werden.
Panini Manga
Panini Manga, früher einmal Planet Manga, gehört zu den ältesten Manga-Verlagen am Markt. Allerdings nicht mit derselben Präsenz wie die anderen beiden Alteingesessenen. Hierfür ist das Manga-Programm zu klein und inhaltlich sehr auf die männliche Leserschaft fokussiert. Es erscheinen zwar immer mal wieder ein paar Shoujo-Titel, die sich da quasi verirrt haben, aber oftmals gehen diese im Gesamtangebot doch eher unter. Panini Manga bedient vor allem die männliche Leserschaft und sowohl Shounen- als auch Seinen-Titel liegen seit 2018 gleichauf. Allerdings ist zu spüren, dass ein Rückgang der neuen Lizenzen stattfindet, was das Programm unweigerlich weiter schrumpfen wird. 2019 erschienen zwar mehr Bände als jemals zuvor, doch auch das wird sich ändern, wenn Panini Manga den aktuellen Kurs beibehält.
Tokyopop
2004 wurde die deutsche Niederlassung von Tokyopop durch Jo Kaps gegründet, ein starker Start und gleichzeitig der Beginn eines aktiveren Marketings auf dem Markt. Lediglich konzentriert sich der Verlag seit längerem bei der Titelwahl stärker auf die weibliche Leserschaft. Alleine mit 43 Shoujo-Titeln ist er hier absolute Spitzenreiter in 2019, mehr waren es nur 2014. Josei und Boys Love zeigen sich seit 2017 allerdings rückläufig, dafür wuchs der Anteil von Girls Love. Shounen und Seinen sind weiterhin stark vertreten, auch wenn letzteres etwas abgenommen hat. Obwohl die Titel zahlenmäßig für die männliche Leserschaft niedriger sind, erscheinen fast genauso viele Bände wie für die Leserinnen. Damit ist Tokyopop einer der ausgeglichensten Verlage auf dem deutschen Markt. Wie sich der Weggang von Jo Kaps auf die weitere Ausrichtung auswirken wird, wird erst die Zeit zeigen.
Kazé Manga
2012 war der Startschuss für die deutsche Zweigstelle von Kazé Manga. Ihr Wachstum ist seitdem sehr solide und stetig steigend, sowohl in der Anzahl der Bände als auch bei den Titeln. In der Titelwahl setzt der Verlag hauptsächlich auf die Bereiche Shounen und Seinen, die seit Beginn schon immer eine starke Stellung hatten. Allerdings steigt seit 2014 auch die Auswahl an Shoujo und Boys Love. Währenddessen ist Josei zwar vorhanden ist, aber nicht konstant. 2019 legte hier eine absolute Nullrunde hin und 2020 sieht aktuell auch nicht so aus, ob sich das ändern würde. Girls Love ist noch gar nicht Teil des Programms. Ob es in Zukunft bei Kazé Manga zu finden sein wird, ist schwierig einzuschätzen.
Manga Cult
2017 ging Manga Cult an den Start und punktet seitdem vor allem bei den männlichen Lesern mit vielen Shounen- und Seinen-Titeln. Dies wird sich so schnell auch nicht ändern, obwohl inzwischen Ausreißer aus den Bereichen Shoujo wie Boys Love existieren. Ansonsten ist hervorzuheben, dass das Wachstum der Programme sehr schnell vonstatten ging. Während bis 2018 nur alle zwei Monate neue Mangabände auf den Markt gebracht wurden, fand Anfang 2019 ein Umstieg auf einen monatlichen Zyklus statt. Dies führt dazu, dass insgesamt mehr Titel veröffentlicht werden können. Preislich sind Titel von Manga Cult in einem höheren Segment anzusiedeln, diese im Großformat oder gar in einer Hardcover-Luxusausgabe erscheinen.
altraverse
Erst seit 2018 auf dem Markt und schon legt der Verlag ein Wachstum hin, welches einen in Staunen versetzt. Gleich vom Start weg wurde versucht, eine gewisse Ausgeglichenheit mitzubringen. Besonders der Josei-Bereich war zunächst stark vertreten, allerdings hat sich dieser Trend nicht fortgesetzt und stattdessen wieder viel mehr Shoujos nach dem üblichen Schema veröffentlicht, sowie ein stärkerer Fokus auf die männliche Leserschaft gelegt. Mit Boys Love hält sich altraverse auch noch etwas bedeckt, aber dafür bringt der Verlag im Bereich Girls Love sehr viele Titel heraus.
Schwankungen zwischen Bände- und Titelanzahl
Es fällt bei einigen Grafiken auf, dass in manchen Jahren mehr Titel als Bände bestehen oder umgekehrt. Dies hat mehrere Gründe: Denn kein Verlag kann seine Programme unendlich ausdehnen und somit noch mehr Titel auf den Markt bringen. Meistens wird darauf geachtet, dass das Verhältnis zu den einzelnen Zielgruppen halbwegs gleich bleibt. Also wenn ein Shoujo-Manga endet, folgt oft im Anschluss ein neuer. Bei längeren Serien dauert das natürlich seine Zeit. Da sind manche Programmplätze für Jahre belegt. Bei Einzelbänden und Kurzserien kann schneller etwas Neues nachgeschoben werden, dies merkt man vor allem bei Boys Love. Hier umfassen die meisten Titel selten mehrere Bände und wenn doch, dann ist es sehr oft der Fall, dass die Serie recht langsam in Japan erscheint. Dies führt auch zum nächsten Faktor: der Erscheinungsrhythmus. Eine Streckung dessen kann ebenso eine höhere Titelanzahl ermöglichen. Entweder wird er von Anfang an schon großzügiger geplant, weil es noch nicht genug Bände in Japan gibt, oder es wurde einfach bereits der japanische Stand erreicht. In einigen Fällen hängt es aber auch an den schlechten Verkaufszahlen.
Probleme eines wachsenden Marktes
Natürlich ist die gestiegene Auswahl an Titeln erst einmal eine positive Sache, allerdings entstehen dadurch auch Probleme. Denn durch immer mehr neue Serien, deren Erscheinung sich sehr oft über mehrere Jahre erstrecken kann, wird bereits die Kaufkraft des Lesers geschröpft. Denn er muss nun stärker selektieren, weil er sich nicht mehr alles leisten kann. Weiterhin sind die Preise in den letzten Jahren angestiegen. Entweder durch Preiserhöhungen oder in Form hochwertigerer Ausgaben mit einem größeren Format. Mehr Titel, die gleichzeitig auch mehr kosten, können dazu führen, dass einige Serien nicht den von den Verlagen gewünschten Erfolg erzielen. Auch der Buchhandel stößt an seine Grenzen, wenn es immer mehr Bände pro Monat werden. 2019 waren es im Schnitt 92 Bände, während es 2018 noch 82 und 2017 ‘nur’ 72 waren. Zum Vergleich: 2009 kam mit durchschnittlich 48 Bänden pro Monat aus. Dadurch wird es für den Buchhandel immer schwieriger, alles in ausreichender Menge vorrätig zu haben, weshalb gerade Vertriebe mit kleinerer Manga-Abteilung nur Titel bestellen, von denen sie ausgehen, dass sie sich verkaufen werden.
Vielleicht stellt sich manchen Lesern nun die Frage, warum ich meine Zeit hierfür investiert habe. Es war in erster Linie Neugierde, weil sich gerade männliche Leser über einen Mangel an Lesestoff beschwert haben. Mir kam es aber gar nicht so wenig vor, weshalb ich mich dazu entschlossen habe, dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Denn es ist sehr leicht, sich von persönlichen Eindrücken täuschen zulassen. Heutzutage kann man sich nicht darüber beschweren, dass es nicht genug Lesestoff für männliche Leser gibt, gerade ältere sind besser bedient denn je. Gleichzeitig ist es aber ernüchternd, dass erwachsene Leserinnen relativ wenige Josei-Titel bekommen. Nun stellt sich nur noch die Frage, wie lange der Markt in diesem Tempo wachsen kann bis er an seine Grenzen stößt.
Danke für diese interessante Übersicht. Ich bin ja schon recht lange Manga-Käuferin, den einen oder anderen Neuzugang am Verlangshimmel habe ich daher mitbekommen und auch wie der eine oder andere sich gewandelt hat. Das Ganze jedoch einmal in Zahlen und harten Fakten zu sehen, ist aber noch mal was anderes.
Was ich immer im Gefühl hatte, dass Tokyopops Shonen Standbein immer kleiner wurde. Lag aber für mich mich immer daran, dass bei den Neuerscheinungen eher Romance vertretten war. Aber gut, wenn die Shonen-Reihen mit mehr Bänden Plätze belegen, kann ja auch nichts Neues dazu kommen.
Was Panini angeht, so finde ich es schon witzig, dass ihr Programm sich nicht wirklich groß ändert.
Richtig positiv hat bei mir Manga Cult bis jetzt eingeschlagen. Kaum ein Verlag trifft aktuell so meinen Nerv, wie dieser. Daher bin ich wirklich sehr gespannt, wie sich dieser Verlag auf lange Sicht entwicklen wird. Schließlich sind 10 Euro pro Band nicht ohne, doch die Qualität spricht für sich. Doch den einen oder anderen wird es vielleicht doch abschrecken, wenn er im Laden mit 3 Bänden an der Kasse steht und gleich mal 30 Euro weg sind.
Bei Egmont Manga hoffe ich immer, dass es ihnen gut geht, weil ich doch einige Reihen von ihnen habe. Mir gefällt eigentlich, dass sie so einen schöne Mischung an Genre abdecken, trotzdem ist es nervig, dass einige Reihen im Schneckentempo erscheinen, weil sie nicht gut laufen. *auf ihre Mangaregale schau*
Ich bin auf jeden Fall mal gespannt, wie der Markt sich entwickeln wird. Schließlich kenne ich noch die Zeit als in meinem Stammbuchladen ein Handvoll Regalbretter, für alle Reihen ausreichten (Und davon waren die meisten mit Dragonball voll!)
Ja, Gefühle können täuschen und das wollte ich auch mit dem Artikel bezwecken, dies mal aufzuzeigen, wie es wirklich aussieht. Sehr viele Leser haben gar nicht mehr den Überblick über den Markt, gerade weil er so gewachsen ist und haben vielleicht auch gar nicht die Lust dazu, sich so intensiv damit auseinanderzusetzen. Gerade, wenn man im stationären Handel unterwegs ist, der wird, außer in großen Comicläden, nie alles vorfinden. Dadurch entwickelt sich je nach Angebot auch ein verzerrtes Bild vom Markt.
Die einzelnen Verlage haben stellenweise eine wirklich interessante Entwicklung vorzuweisen. Manga Cult und altraverse sind zudem noch super neu und da ist es definitiv spannend, wie sie den deutschen Markt beeinflussen werden.