Nachbericht zum 7. Berliner Obscura Filmfest

Das Obscura Filmfest findet bereits seit 2016 jährlich in Berlin statt (wenn auch 2021 nur mit einer Kurzfilm-Ausgabe) und trägt die Prämisse, Genre-Filme abseits des Mainstreams zu zeigen, welche betont frei von Arthouse gehalten sind. Damit wahrt das kleine Festival auch seinen Kern und grenzt sich von anderen Festivals ab, die in den letzten Jahren immer stärker in Richtung Arthouse rücken, wie etwa das Fantasy Filmfest. Jahrgang Nummer 7 fand in diesem Jahr am 21. und 22. Oktober statt. Wir waren wie auch in den vorherigen Jahren vor Ort.

Freitag, Tag 1

Der Berliner Zoo Palast im Ortsteil Charlottenburg diente als Location für den ersten Festival-Tag. Der kleine Saal Club B verspricht wohlige Club-Atmosphäre mit einer überschaubaren Anzahl an Sitzplätzen. Genau die richtige Umgebung für einen kleinen Kreis. Das Obscura Filmfest zeichnet sich vor allem durch das Engagement des Veranstalters David Ghane aus, der das Projekt sozusagen als One-Man-Show mit viel Herzblut stemmt. Nicht nur, dass er Bezüge zu jedem Film herstellt und sein Programm kuratiert ist, auch sorgt die Planung im kleinen Rahmen dafür, dass das Festival einen Kern behält, den größere Festivals selten besitzen: Es bleibt familiär und persönlich, so dass man etwa mit anderen Zuschauer:innen etwa in den Pausen schnell ins Gespräch kommt. Die Interessen sind nämlich gleich: Wer auf dieses Festival kommt, hat Lust auf Filme, die sich außerhalb der allgemeinen Kino- und Blockbuster-Wahrnehmung bewegen. Vielleicht auch auf Filme, die einen fordern und auf die man sich einlassen möchte – was aber ohnehin eine Haltung ist, die man für jedes Festival mitbringen sollte, denn gefallen kann nie alles. Mit der Prämisse, möglichst viele Premieren im Programm zu haben, wurde auch die 2022er-Ausgabe geplant.

Vor dem Eröffnungsfilm wurde die zweiminütige Fetisch-Performance Machine von Matthias von Braun gezeigt (mittlerweile auch auf YouTube verfügbar). Wie immer bei Produktionen mit einem Fokus auf Sex und Lust gilt: absolute Geschmackssache, dafür stilistisch durchdacht. Wenn solche ausgefallenen Kurzwerke auf ein Festival passen, dann hierhin. Der Regisseur und seine Darstellerin beantworteten im anschließenden Q&A Fragen des Publikums. Der Eröffnungsfilm Egregor ist eine ukrainisch-polnische Produktion, welche ganz im Geiste von Dan Browns Schaffen steht. 2022 sollte aus naheliegenden Gründen ein Film aus der Ukraine das Programm eröffnen und die Wahl fiel auf diesen Titel. Ein hochwertig produzierter und technisch beeindruckender Film, der durchaus demonstriert, dass auch Länder, aus denen ein geringerer Qualitätsstandard erwartet wird, echte Staunmomente erschaffen können. Wäre der Film darstellerisch nicht so holprig, wäre er auch für das reguläre Kinoprogramm mit entsprechender Vermarktung brauchbar. Dafür müsste sich allerdings auch erstmal ein deutscher Verleih finden, denn hierbei handelte es sich um die deutsche Premiere. Damit ist der Eröffnungsfilm übrigens gleichzeitig auch der massentauglichste Eintrag des diesjährigen Programms. Ehe es mit dem nächsten Film weiterging, wurde der 15-minütige Vorfilm O von Dominik Balkow gezeigt. Der in Deutschland produzierte Body Horror-Titel ist surrealer Natur und lässt Spielraum zur Interpretation. Auch im Anschluss an diesen Kurzfilm fand ein Q&A mit dem Regisseur sowie Hauptdarstellerin Nadine Scheidecker statt. Die größte Aufmerksamkeit an diesem Abend wurde allerdings einer anderen deutschen Produktion zuteil: All Through the Hall von Falko Jakobs. Für die Weltpremiere des Films auf der großen Leinwand war das kleine Clubkino bis auf den letzten Platz ausverkauft, was nicht zuletzt daran lag, dass der gesamte Cast sowie Regisseur und Crew-Mitglieder vor Ort waren. Der Indie-Film wurde mit geringen Mitteln produziert und es ist beachtlich, was dabei herausgeholt wurde. Der 73-minütige Thriller kredenzt einen Puzzle-Plot, dessen Handlungsstränge nach und nach aufgelöst werden. Das Gesamtergebnis ist ein durchaus sympathisches Experiment, das jedoch am Ende weit hinter seinem Potenzial und seiner Idee zurück bleibt. Abgeschlossen wurde der erste Tag von der Weltpremiere von Hidden in the Woods 2 aus Chile und damit dem Film, der an dem Abend der Prämisse des Filmfests am meisten gerecht wurde. Das Sequel erschien überraschend zehn Jahre nach dem ersten Teil und war in diesem Slot als Midnight Madness-Heuler genau richtig aufgehoben. Torture Porn ohne Anspruch, dafür mit bitterbösen Szenen, die man ungeschnitten niemals auf Disc hierzulande erwarten darf, was ein gewisses Gefühl von Exklusivität schafft und damit auch einen Vorteil von Filmfesten gegenüber Streaming untermauert. Mit diesem Abschluss wurde das Publikum in die Nacht entlassen.

Samstag, Tag 2

Location-Wechsel: Nach dem Zoo Palast ging es ins Cinestar in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg bei angenehm milden Temperaturen. Um 13 Uhr startete die erste Vorstellung mit der internationalen Premiere von Death Count. Ein weiterer Torture Porn-Titel, der thematisch auf diesem Festival genau richtig ist. Inhaltlich ist der Film allerdings von schwankender Qualität und befriedigt gerade einmal die niedrigsten Instinkte, da es lediglich um die Zurschaustellung von Todesszenen geht, während alles andere gleichgültig bleibt. Daran kann selbst die prominente Besetzung um Costas Mandylor (Saw) und Michael Madsen (Kill Bill) wenig ändern. Kontrastprogramm um 15 Uhr: Die Short Movies sind fester Bestandteil des Obscura Filmfest. Auf dem Plan standen elf unterhaltsame Kurzfilme zwischen fünf und 15 Minuten. Den Publikumspreis gewann dabei der spanische Horrortitel La Nueva, welcher mit seiner Kreativität aus dem Teilnehmerfeld herausstach. Drei Filme haben übrigens mittlerweile auch ihren Weg auf YouTube gefunden: Irina 28-07-37, MA! und The Relic. Insgesamt ein vielfältiges Kurzfilmprogramm, welches Kurzweiligkeit zwischen all den Langfilmen verspricht. Zum darauffolgenden Film Reinas aus Spanien stand ein erneutes Q&A auf dem Plan, bei welchem der Regisseur über den komplett dialogfreien Film mit feministischer Herangehensweise sprach. Mit der deutschen Premiere von Mask of the Devil lief im Anschluss eine über Kickstarter finanzierte Slasher-Komödie aus Großbritannien, die ihr Setting nirgendwo anders als bei einem Pornodreh ansiedelt. Darin sorgt ein verfluchtes Requisit dafür, dass die wortwörtliche Hölle ausbricht.

Weniger lustig, sondern umso ernster ging es im Anschluss weiter. 2017 lief bereits What the Waters Left Behind auf dem damals 3. Obscura Filmfest. Umso erfreulicher und auch ganz im Sinne der Kontinuität ist, dass der zweite Teil, What the Waters Left Behind: Scars, ebenfalls seine Deutsche Premiere  nun, fünf Jahre später, hier feiern durfte. Die Fortsetzung beeindruckt mit fantastischen Bildern und reduziert die Schwachstellen des Vorgängers. Ein Film, der aufgrund seiner starken Bildkompositionen wie für die Leinwand gemacht ist. Als Kontrastprogramm folgte mit PussyCake eine leichtfüßige Splatterkomödie, welche eine Woche zuvor ihren Weg in den deutschen Handel gefunden hatte – übrigens der einzige Festival-Titel in diesem Jahrgang bislang. Ein spaßiger B-Movie aus Argentinien für alle Gore-Freund:innen. Der Höhepunkt des Jahrgangs stand allerdings noch aus: Die deutsche Premiere von Day Zero. Der Zombie-Heuler aus Philippinen überrascht mit seiner hohen Qualität, tragfähigen Figuren und tollen Action-Szenen sowie klasse Kameraarbeit. Ein rundum gelungener Titel, dem seine Qualitäten auf den ersten Blick gar nicht direkt anzumerken sind. Wenig überraschend gewann der Film schließlich auch die Publikumsabstimmung als bester Langfilm des Obscura Filmfest 2022.

Damit ging auch das siebte Obscura Filmfest in Berlin zur Neige. Mit vielen Goodies, die zu Beginn der jeweiligen Filme verschenkt wurden (etwa Blu-rays, Mediabooks oder Merchandise zu beliebten Franchises wie Stranger Things oder Batman) gab es auch neben dem Geschehen auf der Leinwand etwas mitzunehmen. Die gestiegene Anzahl an Besucher:innen zeigte, dass auch im Jahr 2022 weiterhin Interesse an nischigen Titeln auf der Leinwand besteht. Das ist erfreulich, schließlich haben Kinos im Allgemeinen und Festivals im Speziellen in den letzten Jahren keine einfachen Zeiten hinter sich. Mit einem bunten Programm machte das Obscura Filmfest auch im siebten Jahrgang wieder großen Spaß. Dass nicht jeder Film ziehen kann, liegt in der Natur der Sache. Aber das gehört zu jedem Festival dazu, schließlich zählen das Erlebnis als solches und die Abwechslung im Programm. Insbesondere mit Day Zero war ein Highlight am Start, das hoffentlich eines Tages einen deutschen Publisher bekommen wird.

Besprechung aller Filme des 7. Obscura Filmfests Berlin:

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