Nachbericht zum 8. Berliner Obscura Filmfest
Über das Obscura Filmfest haben wir schon häufig berichtet: Das Genrefilm-Festival findet seit 2016 in Berlin statt und zeigt Filme abseits des Mainstreams. Anders als etwa auf dem Fantasy Filmfest sind diese Titel in der Regel etwas kleiner, aber – auch abseits der Tendenz anderer Festivals – frei von Arthouse gehalten. Oftmals kommen jene Produktionen nicht ins reguläre Kino-Programm und erscheinen mit etwas Glück fürs Home Cinema, sodass sich hier eine einzigartige Gelegenheit bietet, diese Filme auf der großen Leinwand zu sehen. Wir haben das Festival kurz vor Halloween 2024 in Berlin besucht und in den vergangenen Tagen ausführlich über die einzelnen Filme des Programms berichtet. Wie immer waren zahlreiche Premieren vertreten und wir freuen uns, zu den Ersten zu zählen, die darüber berichten konnten. Was sonst noch los war, erfahrt ihr im nachfolgenden Bericht.
Freitag, 25. Oktober 2024
Zurück auf dem Obscura Filmfest! Der Beliner Zoo Palast ist als bekannte Location wieder am Start und der gemütliche Club B lud in gewohnter Wohnzimmer-Atmosphäre ein. Ein kleiner Saal, wo man umgeben von Bücherregalen sitzt, das hat schon etwas Gemütliches an sich und wenn man dabei auch noch die Füße hochlegen kann, lässt sich das kaum mit dem klassischen Feeling eines Multiplex-Kinos vergleichen. Am Eröffnungstag standen zwei Filme auf dem Plan sowie der erste von insgesamt zwei Kurzfilmblöcken im Programm. Wie schon in den Vorjahren sind alle Filme von Veranstalter David Ghane handverlesen ausgewählt worden und wie er betont, ist nie genug Platz für alle Filme, die er gerne zeigen möchte. Das macht die einzelnen Slots nur umso umkämpfter. Schließlich gibt es zahlreiche Independent Filme auf den Weltmärkten, die auf der Suche nach einer geeigneten Bühne und einem dankbaren Publikum sind. Was sich ebenfalls nicht geändert hat, sind die Stimmkarten: Vor dem Film erhalten alle Besucher:innen Stimmzettel, mit denen der Film im Nachgang anonym bewertet wird. Das Publikum des Fantasy Filmfests kennt so ein Prozedere – auf dem Obscura Filmfest stehen allerdings ohne Politikum alle Filme miteinander im Wettbewerb, die großen wie die kleinen in zwei eigenen Kategorien. Und wie immer ist es spannend, am Ende zu erfahren, wer das Rennen gemacht hat. Denn nicht immer sind die Zuschauerzahlen der größte Indikator dafür.
Der Eröffnungsfilm (Pri)Sons hat vor wenigen Tagen seinen Weg in den deutschen Handel gefunden und ist via Busch Media nun im Mediabook erhältlich. Der finnische Actioner ist definitiv der richtige Film, um als Opener einzuheizen. Hier stehen die scharfen audio-visuellen Stärken klar über der Narrative, was das Werk mit all seinen Schauwerten allerdings auch perfekt für die große Leinwand macht. Als Vorfilm war Risky Business zu sehen. Beide Titel wurden von dem Regisseur Esa Jussila inszeniert, der vor Ort war und nach der Aufführung Einblicke in die Produktion gab. So war unter anderem zu erfahren, dass die Villa, in welcher der Film spielt, gar nicht als solche existiert und dass die Außen- und Innenaufnahmen an mehreren Locations gedreht wurden. Fakten, die man nur durch ein Q&A (Question & Answer) bekommt, denn was im Film organisch wirkt, existiert in der Realität nicht einmal. Außerdem verriet er Insights über die Herausforderungen, die die Produktion eines solchen Films mit sich bringt. Eine Thematik, die sich die kommenden Tage über wiederholen sollte, denn die Finanzierung und Realisierung ohne ein Studio im Hintergrund ist grundsätzlich ein spannendes Thema. Esa Jussila ist so einer, der es versteht, mit wenigen Mitteln ein Maximum herauszuschlagen. Im Anschluss stand der erste Kurzfilm-Block an. “Fantastic Friday Shorts”, so der Titel der acht zusammengestellten Kurzfilme. Es waren zahlreiche Verantwortliche und Beteiligte der einzelnen Produktionen vor Ort, die im Anschluss Fragen des Publikums beantworteten. Wie viele Liter Kunstblut wurden in Not the Clowns verwendet? Wie viele Jahre dauert es, um ein zweiminütiges Stop Motion-Musikvideo wie antisocial zu stemmen? Interessant auch der Beitrag Ticket, Please!, der von einem deutschen Team für eine Anthologie im US-Fernsehen realisiert wurde und somit im Grunde eine Episode darstellt. Das Programm war bunt zusammengewürfelt und hervor stach die niederländische Produktion Dreaming No More, die im Vergleich zu den anderen Filmen ruhiger und verträumter daherkam. Abgeschlossen wurde der Abend mit dem Horrorschocker 1978 der Gebrüder Onetti aus Argentinien. Die Regisseure sind keine Unbekannten auf dem Obscura Filmfest und es ist eine begrüßenswerte Tradition, sie weiterhin im Programm zu haben, da ihre Filme eine Härte mit sich bringen, die es sonst eher selten zu finden gibt. Der in ein historisch-politisches Szenario gebettete Horrorfilm gibt eine sehr gute Figur ab und ist genau der richtige Rausschmeisser. Begleitet wurde erste Abend von Mental-Magier Marco Pultke, der zwischen den Aufführungen Teile seines kurzweiligen Programms darbot und dabei das Publikum miteinbezog.
Samstag, 26. Oktober 2024
Wer das volle Programm am Samstag wahrnehmen wollte, musste ordentlich Sitzfleisch mitbringen, nämlich beinahe zwölf Stunden. Der Einstieg fiel allerdings sehr leichtherzig aus: Kung-Fu Rookie aus Kasachstan ist eine angenehme Überraschung und eine echte Charme-Offensive. Der Martial Arts-Film mit leichten RomCom-Anflügen sticht definitiv aus dem Programm hervor, macht aber eine Menge Spaß und ist daher eine gute Wahl. Dem Hauptcharakter Timuchin sollte größere Aufmerksamkeit unbedingt beschert werden! Im Anschluss folgte der zweite Kurzfilm-Block. Erneut waren acht Titel vorgesehen, die als “Fantastic Saturday Shorts” gebündelt wurden. Qualitativ stach dabei vor allem die 18-minütige Mittelalter-Fantasy King’s Letter heraus, deren Produktionswerte zu den höchsten in diesem Block gehören. Aber auch die Puppen-Folklore The Shadow of Dawn hinterließ einen nachhaltigen Eindruck, sodass an der Stelle bereits der Eindruck entstand, dass einer der beiden Filme am Ende das Rennen im Kurzfilm-Wettbewerb machen würde. Der zweite Langfilm-Block wurde von Timeline aus Kolumbien belegt, für den die Produzentin und eine der Darstellerinnen den langen Weg aus Südamerika auf sich genommen haben. Timeline ist ein starker und ambitionierter Thriller, der ganz im Stil von 8 Blickwinkel eine Geschichte aus mehreren Perspektiven erzählt. Mit jeder neuen Perspektive kommen neue Erzählstränge hinzu, die später zu einem großen Geflecht zusammengeführt werden. Es grenzt an ein Wunder, dass dem Film bei seiner hohen Qualität noch keine größere Bühne beschert wurde und das Obscura Filmfest kann sich damit schmücken, die internationale Premiere gefeiert zu haben. Wie die Beteiligten im anschließenden Q&A verrieten, ist Timeline noch immer auf der Suche nach einem Verleih. Spannend war der Einblick, dass kolumbianische Produktionen es oftmals schwer haben, da das Spanisch des Casts einen Akzent beinhaltet, der auf native Spanisch-Sprechende befremdlich wirkt. Außerdem sei man in Kolumbien bemüht, Geschichten zu erzählen, die sich abseits des Drogenhandels abspielen. Serien wie Narcos auf Netflix sind natürlich erfolgreich, vermitteln aber auch ein einseitiges Bild des Landes und so ist es schwer, sich außerhalb dieses Klischees zu platzieren. Der Besuch der beiden Frauen war sympathisch und wertete das Bild des ohnehin tadellosen Films noch einmal auf. Die 20 Uhr-Deutschland-Premiere Ever Victorious konnte damit weniger mithalten: Zwar handelt es sich um einen grundsoliden Film, der allerdings kein Alleinstellungsmerkmal besitzt und damit auch nicht so stark im Gedächtnis bleibt wie andere Filme an dem Tag. Als nächstes folgte Demon Hunter: Time 2 Kill, die Fortsetzung von Demon Hunter, das 2017 bereits auf dem Obscura Filmfest zu sehen war. Regisseurin Zoe Kavanagh war anwesend und präsentierte eine sogenannte Work-in-Progress-Preview. Das bedeutet, dass noch nicht alles fertig ist und einige Effekte noch nicht final waren. Sagen können wir, dass Time 2 Kill grundsätzlich vor allem aufgrund seiner sympathischne Protagonistin Taryn Spaß macht, aber noch viele Herausforderungen technischer Natur vor sich hat, bevor ein Release stattfinden kann. Wann immer das passieren wird, werdet ihr hier von uns lesen. Themen im anschließenden Q&A waren die Finanzierung des Projekts, der Umgang mit Budget, Gründe für den Dreh in den USA stattfand und auch eine mögliche Fortsetzung. Um 0:20 Uhr wurde es noch einmal düster: The Witch. Revenge ist ein Film, von dem man wohl noch mehr hören wird, wenn die weltweite Veröffentlichung 2025 stattfindet. Der ukrainische Film wurde während des russischen Angriffskriegs gedreht und hat genau das zum Gegenstand: Hierin wird ein brandaktuelles Thema mit einer Hexengeschichte verwoben. In unserem Review lest ihr mehr zu den Hintergründen. Das Obscura Filmfest blieb sich damit treu, seit 2022 immer mindestens einen Film aus der Ukraine im Programm zu haben. Ein aufregender zweiter Tag mit vollem und buntgemischten Programm ging zu Ende.
Sonntag, 27. Oktober 2024
Endspurt! Der Sonntag gestaltete sich allerdings ein wenig zäher im Vergleich zu den kurzweiligen vorausgehenden Tagen. Die den Tag eröffnende Anthologie Aztech ist so obskur, dass sie dem Namen des Festivals gerecht wird. In neun Kurzfilmen wird von der Apokalypse in Mexiko erzählt, allerdings ohne roten Faden und mit qualitativen Höhen und Tiefen. Auch zu diesem Film war einer der Regisseure vor Ort, der im Anschluss Einblicke in das Gesamtprojekt geben konnte. Mit Morena stand danach erneut Hexen-Horror aus der Ukraine auf dem Plan, allerdings weniger ernst als noch The Witch. Revenge einen Tag zuvor. Trotz des vergleichsweise hohen Unterhaltungsfaktors fällt so einiges in dem Film plump und mit Logiklücken behaftet aus. Das trübt den Spaß soweit nicht und auch auf ästhetischer Ebene bietet Morena etwas fürs Auge. Und wenn es nur die nackte Haut ist, mit der hier nicht gegeizt wird. Der dritte Programmpunkt am Sonntag war Kitty the Killer, die Spielfilm-Adaption eines thailändischen Webtoons. Ein nerdiger Action-Spaß mit skurrilen Charakteren und dem Herz am rechten Fleck, auch wenn sehr deutlich wird, welche filmischen Vorbilder hier zur Inspiration standen. Ob daraus ein Franchise entstehen wird? Vielleicht ändert sich an Kittys Bekanntheitsgrad demnächst etwas, denn in den USA hat der Film bereits einen Verleih gefunden. Den Abschluss bildete ein echtes Creature Feature, wie es seinem Namen gerecht wird: Bakemono aus Japan. Erneut ein Werk, das sich mit “obskur” als Prädikat schmücken darf. Denn in diesem Film, der überwiegend in einer einzigen (!) japanischen Wohnung spielt, stirbt ein Dutzend Leute. Tode am Fließband.
Im Nachgang wurden auch die Gewinner der Wettbewerbe verkündet: Aus den Short Movies ging Shadow of Dawn als Sieger hervor. Bei den Langfilmen konnte Timeline die höchsten Bewertungen auf sich vereinen. Zwei verdiente Gewinner, denen es die Daumen zu drücken gilt, dass sie ein noch größeres Publikum erreichen werden.
Der achte Jahrgang des Obscura Filmfest war wieder spannend und unterhaltsam. Es ist schön zu sehen, dass das kleine Filmfest weiterhin wächst und nicht nur mehr Zuschauer:innen ihren Weg dorthin finden, sondern auch zahlreiche Gäste vor Orte stehen. Dabei erfährt man nicht nur über ihre Werke viel, sondern kann aus den Q & As viele Insights aus der Filmbranche und generell über die Entstehung eines Films mitnehmen. Dem Programm kann man fehlende Abwechslung nun wirklich nicht vorwerfen, denn das ist buntgespickt und äußerst international. Auch die Pflege der Regisseure und Regisseurinnen über die einzelnen Jahrgänge hinweg ist schön, um eine filmische Entwicklung beobachten zu können.
Wir bedanken uns herzlich beim Obscura Filmfest für die Einladung!
Besprechungen der einzelnen Filme: