Nachbericht zum Fantasy Filmfest 2020

Nur wenige Tage bevor in Köln die Maskenpflicht in Kinosälen eingeführt wurde, hatten wir das Glück, auf dem 34. Fantasy Filmfest völlig maskenfrei und in überwiegend voll ausgelasteteten Sälen eine Festivalatmosphäre zu erleben, als hätte es Corona nie gegeben. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, blieb dabei immer im Hinterkopf. Denn in anderen Städten sah es im Vergleich anders aus: Frankfurter Säle blieben nur für Dauerkartenbesitzer sowie drei bis vier Hände voll regulärer Besucher geöffnet. Im Kölner Residenz Kino sah es da schon anders aus und die vergleichsweise weit auseinander stehenden Sessel bieten genügend Abstand nach hinten und vorne. Doch all die Umstände sowie die verkürzte Laufzeit des Festivals auf nur fünf Tage taten dem Spaß keinen Abbruch.

Die Situation war bereits durch die kurz zuvor stattgefundenen Fantasy Filmfest Nights bekannt:  Das Foyer des Kölner Residenz wurde zur Durchgangszone umfunktioniert. Also auf einer Seite rein, auf der anderen wieder raus. Gewartet werden musste draußen – und Petrus meinte es weitgehend gut mit den Zuschauern. Dazwischen Desinfektionsspender und Hinweise zum Mund-Nasen-Schutz, der immerhin bis zum Ankommen am Platz galt. Es war seitens des Veranstalters ein gutes, wichtiges und richtiges Zeichen, die Veranstaltung nicht (wie vieles andere in diesem Jahr) ins Wasser fallen zu lassen. Ob schwarze Zahlen in diesem Jahr geschrieben werden können, ist fraglich, aber nicht das primäre Ziel – vor allem aber gilt es, mit dem Publikum im Kontakt zu bleiben und ein Signal zu setzen.

Tag 1

Der Eröffnungsfilm Palm Springs von Max Barbakow konnte dabei nicht besser ausgesucht sein. Die Zeitschleifenkomödie um Andy Samberg sorgt für den nötigen Eskapismus, der in diesem Jahr wichtiger denn je ist und entführte die Zuschauer*innen in eine kreativ-absurde Ideenwelt, die mit einer perfekt ausgeklügelten Balance aus Rom-Com und Fantasy überzeugt. Science-Fiction ist immer gerne auf dem Fantasy Filmfest gesehen und Archive von Gavin Rothery ist da ein waschechter Vertreter. Ein K.I.-Drama, das ganz ohne futuristische Action auskommt und sich mit existenziellen Fragen des Lebens befasst, um das Publikum am Ende mit einem Twist zu überraschen.

Tag 2

Mit Inheritance von Vaughn Stein eröffnete der zweite Tag eher ruhig. In seinen Grundzügen bringt der Film eine spannende Geschichte mit, deren Umsetzung allerdings nicht so geglückt ist, dass das volle Potenzial entfaltet wird. Vielleicht hat sich das Drehbuch in Sachen Komplexität an der einen oder anderen Stelle schlichtweg selbst überschätzt. Emotionaler wurde es mit dem südkoreanischen Bring Me Home von Kim Seung-woo, einem von zwei asiatischen Slots in diesem Jahr. International wird der Titel als Drama vermarktet, weshalb er beinahe übersehen wurde, schließlich aber doch einen Platz im Programm ergattern konnte. Die Geschichte um eine Kindesentführung und eine Mutter, die in einem Dorf auf eine Mauer des Schweigens stößt und wie eine Löwin um ihren Sohn kämpft, geht unter die Haut und zählt wohl zu den Überraschungshits des Jahrgangs. Mit Egor Abramenkos  Sputnik fand sich ein Vertreter des russischen Films wieder, der ebenfalls dem Sci-Fi-Genre zuzuordnen ist und eine waschechte Alternative für Fans von Alien darstellt, die von den letzten Ablegern der Reihe eher enttäuscht wurden. „Ein ansehnliches Monster, schön geheimniskrämerisches Erzählen, düsteres Ambiente und die strenge Schönheit von Oksana Akinshina sorgen für einen gelungenen Kino-Abend“, fasst unsere Redakteurin zusammen. Vollkommenes Kontrastprogramm bot der wohl trashigste Kandidat in diesem Jahr: In Slaxx von Elza Kephart mordet sich eine Killer-Jeans durch die Reihe der Angestellten einer Mode-Filiale. Ein Film mit überraschend ernster Botschaft, der allerdings weder humortechnisch noch in Sachen Gewaltspitzen so recht zündet.

Tag 3

Der Freitag wurde mit Amulet von Romola Garai eröffnet. Ein Film ganz im Zeitgeiste des Arthouse-Horrors, der in den letzten Jahren seinen Siegeszug feierte. Das überwiegend depressive Drama lebt von seiner vergifteten Atmosphäre, fordert seinen Zuschauer*innen aber auch einiges an Sitzfleisch ab. Becky von Jonathan Milott und Cary Murnion könnte kaum typischer für das Fantasy Filmfest sein: Ein Home Invasion-Thriller in bester Kevin allein zuhaus-Manier, voller Gewalteinlagen und einem überraschenden Kevin James. Der Haunted House-Horrorfilm Relic von Natalie Erika James präsentiert sich als ein weiteres depressives Drama, das auf mehreren Ebenen über den menschlichen Zerfall sowie die Geschichte dreier Frauen-Generationen erzählt. Hierin wird Demenz als wahrer Horror manifestiert und ansprechend bebildert. Possessor von Brandon Cronenberg zählt wohl zu den intelligentesten und anspruchsvollsten Titeln des Fantasy Filmfests 2020. Der Sci-Fi-Schocker könnte in seinem Konzept glatt von Christopher Nolan stammen, ist in Sachen Gewalt aber so (schön) konsequent, dass ein Mainstream-Publikum daran wohl wenig Interesse zeigen dürfte. Ein Film, der noch lange nachhallt und hoffentlich eines Tages Kultstatus erlangen mag. Der Rauswerfer des Abends hätte besser kaum gewählt sein können: PG: Psycho Goreman von Steven Kostanski ist so etwas wie der wahrgewordene Traum eines Zwölfjährigen, irgendwo zwischen Power Rangers und Hellraiser angesiedelt, aber sympathisch-liebenswert-schwachsinnig in gleichen Anteilen. Auch hier findet sich großes Kult-Potenzial wieder.

Tag 4

Mit Breaking Surface von Joachim Hedén eröffnete der vierte Tag mit einem skandinavischen Taucher-Thriller, der ganz ohne Haie und andere Kreaturen auskommt, sondern sich von seiner realistischsten Seite zeigt. Eine eiskalte Überraschung am Samstag Nachmittag, dessen nervenzerfetzende Spannung einen guten Weckruf für die letzten beiden Festivaltage darstellt. Adam Egypt Mortimers Daniel Isn’t Real weckt auf angenehme Weise Erinnerungen an Fight Club und entpuppt sich als surreales Schizophrenie-Drama mit surrealem Bilderrausch. Das diesjährige Centerpiece Dinner in America ist eine Punkrock-Romanze, deren ungehobelt, asoziale und sperrige Natur auf den ersten Blick abstößt, die auf den zweiten Blick aber unerwartet süß und witzig ausfällt. Ein Publikumsliebling. Fanny Lye Deliver’d von Thomas Clay sollte wohl einer der Spalter des Jahres sein: Das historische Thriller-Drama ist als intensives Kammerspiel angelegt, in dem die einen einen Horror-Klassiker von morgen sehen, anderen Sitzfleisch und und Geduld abverlangt wird. Der Psycho-Trip Fried Barry von Ryan Kruger auf dem begehrten Midnight Slot ist sicherlich Geschmackssache, wie traditionell vieles aus den letzten Jahren, das auf diesem Slot programmiert wurde.

Tag 5

Der Abschlusstag eröffnete mit einem Film, in dem die Welt vollkommen in Ordnung ist – ganz gleich, wie es da draußen wirklich aussieht. David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück lief parallel zur Veranstaltung auch regulär in den deutschen Kinos an. Die Odyssee durch die Höhen und Tiefen der viktorianischen Gesellschaft wartet mit vielen sprudelnden Ideen auf, benötigt aber keinen roten Faden und setzt oftmals (zu) sehr auf Klamauk. Get the Hell Out von Wang I Fan feierte kurz zuvor erst seine internationale Premiere auf dem Toronto IFF in der Midnight Madnes- Sektion, die dieses Jahr nur drei (!) Filme beinhalten konnte. Die Zombie-Splatterkomödie ist der wohl hektischste und aufgedrehteste Film in diesem Jahrgang und entfacht ein einziges Blutbad im Parlament von Taiwan. Dabei setzt der Film auf stilistische Vielfalt und gibt sein Bestes, um permanent in Bewegung zu bleiben. Nicht minder skurril ist Quentin Dupieux‘ Mandibles, Eine sommerlich-leichte Komödie um zwei Freunde mit mehr Glück als Verstand, deren Leben sich verändert, als sie im Kofferraum eines Autos eine Riesenfliege finden. Und der Rest ergibt sich nahezu von selbst. Unaufgeregt, aber immer gut gelaunt und mit vielen pointierten Gags. Mit Neil Marshall war einer der größeren Regie-Namen vertreten, doch seine mittelalterliche Hexenjagd The Reckoning erwies sich als kitschige Inszenierung auf TV-Niveau, die qualitativ mit dem restlichen Programm nicht mitziehen kann. Da hatte der Abschlussfilm Bloody Hell umso mehr zu tun. Die temporeiche unter der Regie von Alister Grierson entstandene Produktion hätte kaum ein besseres Finale sein können. Mit viel Meta-Humor und Gewaltspitzen wird die Entführung eines Amerikaners in Finnland in Szene gesetzt. Dies war gleichzeitig auch die Weltpremiere und daher ein runder Abschluss für diesen ungewöhnlichen Jahrgang.

Es ist toll, dass die Veranstaltung trotz aller widrigen Umstände durchgezogen werden konnte. Die Veranstalter durften sich zudem darüber freuen, dass das Event auch neugierige Neuzuschauer angezogen hatte, die bislang mit dem Fantasy Filmfest vielleicht noch nicht so stark in Berührung gekommen waren. Weitergehen soll es im nächsten Jahr mit der Winter-Ausgabe Fantasy Filmfest White Nights.

Einzelbesprechungen:

Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
älteste
neuste beste Bewertung
Inline Feedbacks
View all comments