Netflixwichteln

Am Abend einen gemütlichen Film zu streamen, das macht Freude. Doch eine Entscheidung bei so einer gewaltigen Auswahl wie auf Netflix zu treffen, kann anstrengend sein. Ganz abgesehen von all den Geheimtipps, bei denen man sich ziert oder die man erst gar nicht mal kennt. Wichteln macht auch Freude. Jemanden ein Überraschungsgeschenk auszusuchen und im Gegenzug von Anonymus ebenfalls ein wunderliches Präsent zu bekommen, das mal ein positiver Treffer, mal aber auch eine ziemliche Gurke sein kann, die einen immerhin noch kopfschüttelnd zum Lachen bringt. Kombiniert man diese beiden Freudenquellen, dann kommt das Netflixwichteln dabei heraus.

Es war einmal vor langer, langer Zeit in der Redaktion von Geek Germany, da saßen Lyxa, MadameMelli, Prinzessin Blaubeere und Totman Gehend an einem weihnachtlichen Winterabend zusammen und sagten sich: „Ach, wie gerne würde ich doch mal meinen Mitredakteuren mit einem Geschenk eine Freude machen.“ Da alle es ganz zufällig laut und gleichzeitig sagten, war die Erheiterung groß und sofort wurden auch schon Pläne geschmiedet, wie das zu handhaben sei. Gleichwertig günstig sollte das Geschenk sein, aber doch auch persönlich und eine Überraschung. „Ach (!), warum wichteln wir uns denn nicht einfach gegenseitig einen Film bei Netflix zu?!“, sprachen wieder alle total zufällig gleichzeitig und warfen ihre Namen auch schon in einen Hut. Rasch rumgereicht hatten alle ihre geheimen Wichtelpartner gezogen, doch Moment! So seltsam synchron das kollektive Schwarmbewusstsein der Redakteure bis hierhin auch funktioniert hatte, was wenn man mit der Wahl ganz und gar daneben lag und der Geschenkpartner nun überhaupt nicht so lustige Metzelfilme wie das Texas Chainsaw Massacre oder fröhliche Sektenindoktrinationsfilme wie Battlefield Earth gucken mochte? Deswegen stellten die Redakteure ihren Geschenkpartnern zwei möglichst unterschiedliche Filme zur Auswahl, auf dass die Chance für ein erfreuliches Geschenk erhöht wird. Und? Haben den Redakteuren ihre Geschenke gefallen?

 

Meine Wichtelgeschenke trugen die Titel Der Maschinist und Auslöschung. Zuerst war ich etwas enttäuscht, da ich beide schon zu kennen glaubte und besonders Auslöschung erst vor kurzem gesehen hatte. Dann bemerkte ich aber, dass der 2004 veröffentlichte Brad Anderson Film Der Maschinist ja gar nicht, wie ich dachte, The Mechanic (2011) mit Jason Statham war… ha! Ich mein, ehrlicher Fehler, oder? Ist ein Mechaniker nicht auch irgendwie, sozusagen ein Maschinist? Aber der Mechaniker ist hier ja auch eigentlich ein Auftragskiller und der Maschinist ist dann wenige Monate später schon Batman (für Bale folgte darauf die Rolle in Batman Begins)… alles sehr verwirrend. Auf jeden Fall ein erfreulicher Fehler, denn Der Maschinist mit Christian Bale wurde mir schon diverse Male empfohlen und fristete ein längeres Dasein auf meiner Merkliste. Da ich gar nicht mitgekriegt hatte, dass Netflix den 98 Minuten langen spanischen Psychothriller ins Programm genommen hat, passte das alles gut und meine Entscheidung war schnell gefallen.
Worum geht’s: Maschinenarbeiter Trevor Reznik (ein skeletthaft abgemagerter Christian Bale) führt eine sehr triste Existenz. Seit über einem Jahr hat er nicht mehr geschlafen und seine Kollegen auf der Arbeit meiden den immer kränklicher werdenden Mann zunehmend. Lediglich bei der Prostituierten Stevie und bei seinen Flirts mit der alleinerziehenden Kellnerin Marie findet der einsame Trevor Zuneigung. Nach und nach gerät sein Leben jedoch aus den Fugen. In seiner Wohnung tauchen Notizzettel mit kryptischen Nachrichten auf, die nicht von Trevor stammen, und eine Bekanntschaft mit dem irritierenden Kollegen Ivan führt zu einem Unfall, der Trevors Kollegen Miller den Arm und Trevor seinen Job kostet. Mehr und mehr erhärtet sich für Trevor der Verdacht, dass Ivan darauf aus ist, sein Leben zu zerstören. Doch warum? Womit hat Trevor das verdient?
Nicht gerade ein aufbauender, leicht bekömmlicher Gute-Laune-Film, sondern eher düster bedrückend, dabei aber auch fordernd, also kein passiver Berieselungsfilm. Ich mag Filme, in denen nicht klar ist, was wirklich real und was Einbildung ist. Spätestens mit der Ankündigung Trevors seit einem Jahr nicht mehr geschlafen zu haben (immer ein Signal für Einbildungen oder zumindest eine gestörte Psyche) und dem Auftauchen vom irgendwie surrealen Ivan mit seinem Strahlelächeln fängt man wirklich aktiv an, alles zu hinterfragen und zu deuten. Die Auflösung, dass Trevor letztlich Opfer seiner eigenen Psyche und Schuldgefühle ist, war dann auch recht cool und im Nachhinein merkt man erst, was für eine Masse an verschlüsselten Signalen da auf einen eingeprasselt ist, die erst am Schluss ein komplettes Bild ergeben.
Gutes Geschenk, mit dem ich auch einen Titel von meiner To-do-list streichen konnte. Auslöschung hat mir aber auch gefallen und ich hätte ihn mir durchaus nochmal ansehen können. Mein Geschmack wurde in jedem Fall sehr gut getroffen.

 

 

Ich habe neben Who am I – Kein System ist sicher noch Barbie in Schwanensee zugelost bekommen. Ersteres kenne ich schon und beim Zweiten musste ich erst einmal schlucken. Dann habe ich mir gedacht: Ach, komm, den guckst du jetzt einfach! Barbie in Schwanensee ist ein US-amerikanischer Animationsfilm aus dem Jahr 2003 und hat eine Lauflänge von 81 Minuten. Odette, die Tochter eines Bäckers, folgt einem Einhorn in einen magischen Wald, wo sie auf die Feenkönigin trifft. Diese erklärt ihr, dass sie, die sie den magischen Kristall berühren und tragen kann, dazu bestimmt ist, den Wald zu retten. Gegner ist der Zauberer Rothbart, der das spitz kriegt und Barbie dazu verflucht, fortan als Schwan zu leben. Die Feenkönigin ist in der Lage, diesen Fluch auf den Tag zu beschränken und zusammen mit dem Einhorn Lila und dem Troll Erasmus versucht Odette, das Problem zu lösen. Eines Tages kommt der Prinz des Landes in den Wald und verliebt sich in die Bäckerstochter. Ist er womöglich die Chance, um den Fluch zu brechen und Rothbart zu besiegen? Untermalt wird die Geschichte mit Musik von Tschaikowski.
Nun gut. Barbie. Eine der bekanntesten Marken der Rosa-Hellblau-Falle. Mit sehr viel Skepsis klickte ich auf das Play-Symbol. Und bin gar nicht mal soooo arg geschockt. Erstes Plus: Die Musik! Zweites: Odette trägt fast kein Rosa (obwohl es davon genug gibt). Es werden manchmal sogar Dialoge geführt, die in Nebensätzen typische Klischees auf den Arm nehmen. Ich bin überrascht, wie das Barbie-Franchise weniger Schwarz-Weiß dargestellt wird. Es wird auch gar nicht Wert darauf gelegt, dass unbedingt der Prinz das Mädchen retten muss. Odette ist zwar verträumt, weiß aber, wie man Probleme anpackt und ist in der Lage, sich selbst zu helfen. Ängste kann man überwinden, Hürden genauso. Und am Ende ist die Pille, dass der Prinz zur Rettung eilt, obwohl er es vorher verbockt hat, nicht ganz so bitter, weil gar nicht er rettet. Die Nebencharaktere sind frech und liebevoll und machen Spaß. Kindern in meiner Umgebung würde ich den Film zwar trotzdem nicht ohne nachzudenken zeigen, aber vielleicht gibt es echt noch Hoffnung für diese Welt, die zu sehr in Schubladen denkt.

 

Mir wurden The Colony – Hell Freezes Over und Who Am I – Kein System ist sicher zur Auswahl gestellt. Ich habe mich für den ersten Film entschieden, da ich den zweiten schon mehrmals gesehen habe. The Colony ist ein kanadischer Science-Fiction-/Action-Film von Jeff Renfroe (Reign) aus dem Jahr 2013. Er dauert 95 Minuten. Der Film spielt im Jahr 2045. Um die globale Erwärmung aufzuhalten, wurden riesige Wettertürme gebaut, die das Wetter so beeinflussen sollen, dass die Erde abkühlt. Allerdings sanken die Temperaturen infolgedessen so tief, dass die Erde sich seitdem in einer neuen Eiszeit befindet. Die Menschen leben in unterschiedlichen Kolonien tief unter der Erde. Kolonie 7 hat mit Grippeausbrüchen zu kämpfen und wird zeitgleich von Kolonie 5 zu Hilfe gerufen. Als sich eine Hilfsgruppe zu dieser aufmacht, finden sie sich in einem Alptraum wieder und eine Jagd auf Leben und Tod beginnt.
Ich mag diese Endzeitszenarien eigentlich gerne und ging recht positiv gestimmt an den Film heran. Leider fand ich ihn schrecklich. Man hätte aus der Grundhandlung sehr viel mehr herausholen können. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass der Film eigentlich eine FSK 18 hat und Netflix ihn ab 16 eingestellt hat; vermutlich wurden aber nur einige zu brutale Szenen herausgeschnitten. Denn im Endeffekt bekommt man ein Gemetzel zwischen Menschen zu sehen, die sich ihrer Umgebung angepasst haben. Der Stärkste überlebt. Leider war das nicht sehr spannend und zum Teil auch extrem vorhersehbar. Die Leute haben sich einfach auch dumm verhalten. Sogar bei 101 Dalmatiner wissen die Hunde, dass man seine Spuren im Schnee verwischt. Mich hätte mehr das eigentliche Leben innerhalb der Kolonie interessiert und die Konflikte, die sich daraus ergeben. Diese wurden eher am Rande behandelt und man hat sich leider auf ein 08/15-Szenario konzentriert, das den Film sehr austauschbar macht. Fand ich echt schade. Ich habe schon deutlich bessere Filme dieses Genres gesehen.

 

Ich durfte mich entscheiden zwischen I Kill Giants und Mr. Holmes. Und da ich unter dem entsprechenden Film-Artikel bereits meinen Anguck-Willen geäußert habe (und das meiner Wichtelin mit den Argusaugen offenbar nicht entgangen ist), wurd’s eben die Riesentöterin. Besagte Riesentöterin heißt Barbara (Madison Wolfe) und ihr Mantra lautet: „Ich finde, ich jage und ich töte Riesen!“ Geplagt von Mobbern, innerfamiliären Problemen und niggeligen Vertrauenslehrern, lässt sich Barbara trotzdem nicht davon abhalten, ihr Kaff samt Einwohner vor den Riesen zu schützen. Ihre einzige Verbündete dabei ist die neu dazugezogene Engländerin Sophia (Sydney Wade), die aber selber nicht so ganz weiß, was sie von der Riesensache halten soll (zumal sie noch nie einen gesehen hat). Allmählich erhärtet sich der Verdacht, dass die Riesen aus einem anderen Grund ins Kaff kommen als gedacht.

Pubertierendes Kind, Probleme in der Familie, Eskapismus-Eskapaden: Diesen Mix gibt’s ja irgendwie häufiger, gell. Einer meiner Lieblingsfilme fällt ebenfalls in diese Kategorie: Pans Labyrinth vermischt diese Rezeptur mit dem Franco-Regime. Bei I Kill Giants haben die Macher eine Coming-of-Age-Geschichte daraus gemacht, die davon handelt, loslassen zu können. … da klingelt’s irgendwie … – ah, genau: Sieben Minuten nach Mitternacht (2017). Ai, das sind jetzt natürlich riesige Fußstapfen, in die die Riesentöterin treten muss. Und hat sie es meiner Meinung nach geschafft? Nö.
Barbara ist eigentlich ‘ne interessante Figur. Emanzipierter Dreikäsehoch, der sogar den Mobbern in der Schule in die Hand spuckt. Diese Rolle kann die Schauspielerin auch richtig gut, aber manchmal trägt sie dann doch zu dick auf und ist dann der reinste Nervbolzen, an dessen Schicksal man kein Anteil nehmen will. Inhaltlich hat I Kill Giants ein paar Leerlaufstrecken, die mich auf die Uhr haben gucken lassen (was per se ein schlechtes Zeichen ist). Wir erleben dann lediglich, wie Barbara ihre Rituale zur Riesenbawehr einhält. In diesem Zuge muss ich allerdings das Setdesign loben: Die Requisiten sind alle ganz detailverliebt und wunderbar zum Anschauen. Das cgi-Ende wiederum ist mir dann wieder ein Tacken zu viel. Subtil geht anders. Und die Message? Die ist bei Sieben Minuten etc. auch wesentlich komplexer.
… also schade, aber da hat I Kill Giants ganz einfach Pech. Denn wenn es um „Teenager-Drama mit Fantasy-Einschlag und dem Schwerpunkt Tod“ geht, dann ist Sieben Minuten nach Mitternacht der nahezu perfekte Vertreter dieser Kategorie. Zumindest filmisch, denn ich glaube, in seiner originalen Comicform ist I Kill Giants ‘ne echte Hausnummer.

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