Stumptown

In den USA bereichert Greg Ruckas (Infinite Crisis Countdown) Detektiv-Reihe Stumptown schon seit 2009 erfolgreich das Inventar der dortigen Comicläden. Dass die Geschichte um die pechgeprüfte Privatermittlerin Dex Parios über zehn Jahre später endlich den Weg ins deutschsprachige Europa geschafft hat, dürfte auch der 2019er TV-Serienumsetzung mit Cobie Smulders (How I Met Your Mother) zu verdanken sein. Den ersten Sammelband mit dem kompakten Titel Der Fall des Mädchens, das sein Shampoo mitnahm (und seinen Mini zurückließ) hat der Splitter Verlag nun seit Ende April 2021 im Programm und verfrachtet Lesende nach Portland, Oregon – der namensgebenden „Stumptown“.

   

Dex (Abkürzung für Dexedrine, der Name eines Medikaments zur Behandlung von ADHS, aber auch als stimulierende Droge missbraucht) Parios‘ erster Fall scheint schon auf den ersten Seiten sein jähes Ende zu finden. Die Privatdetektivin wird von zwei Schlägertypen aus dem Kofferraum eines Autos gezerrt und trotz bester rhetorischer Überzeugungsversuche, es doch bitte zu lassen, am Ufer des Willamette River augenscheinlich erschossen. Doch zunächst zum siebenundzwanzig Stunden zuvor liegenden Anfang: Dex versucht einmal mehr, ihre klammen Finanzen im Whispering Winds Casino beim Würfelspiel aufzubessern, was erwartungsgemäß läuft. Dem Casino nunmehr stolze 17616 Doller schuldend, macht die Inhaberin der Spielbank Sue-Lynne Suppa ihr jedoch das Angebot, Dex diese Schulden zu erlassen, wenn sie im Gegenzug Sue-Lynnes weggelaufene Enkelin Charlotte ausfindig machen kann. Klingt geradlinig genug, doch in deren Verschwinden ist auch die reiche Unternehmerfamilie Marenco um Patriarchen Hector, dessen eigenwilliger Tochter Isabel und seinen ambitionierten Sohn Oscar verwickelt, die insgeheim Verbindungen zum organisierten Verbrechen pflegen. Ganz so einfach und ungefährlich wird der Fall des verschwundenen Mädchens für Dex also nicht.

Eine Heldin des alten Schlags

Originaltitel Stumptown Vol. 1: The case of the girl who took her shampoo (but left her mini)
Jahr 2009
Land USA
Genre Detektiv-Krimi
Autor Greg Rucka
Zeichner Matthew Southworth
Verlag Splitter Verlag
Veröffentlichung: 28. April 2021

Der den ersten Sammelband umfassende Fall um Charlotte, die in die Dynamik der Morenco‘schen Verbrecherfamilie mit einer sich gegen ihren Vater auflehnenden Tochter und einem sich mit eigenen Verbrecheraktionen zu beweisen versuchenden Sohn hineingerät, ist durchaus solide. Freunde des Krimigenres dürfte er jedoch vor Originalität nicht unbedingt aus den Socken hauen, zu vertraut sind die üblichen Mechanismen in dem Szenario. Eher glänzt die Geschichte dadurch, dass man bei dem Fall Protagonistin Dex kennenlernt, die als Ermittlerin natürlich Dreh- und Angelpunkt darstellt. Während ihre Vergangenheit im ersten Band noch gar nicht zum Tragen kommt, wird immerhin schnell klar, dass sie mit ihrer kleinen Privatdetektei nicht geraden den allgemeinhin gutbürgerlichsten Lebensstil führt: Schulden, Spielsucht, Alkohol, Zigaretten und freigiebige Flirts (mit beiden Geschlechtern). Zudem muss sich Dex noch um ihren mit Down-Syndrom diagnostizierten Bruder Ansel kümmern, wobei auch argumentiert werden kann, dass dieser sich eher um sie kümmern muss. Unterstützt wird sie privat wie professionell weiterhin von ihrem Nachbarn Grey sowie der Polizeikommissarin Tracy Hoffman. Mit schlagfertigem Mundwerk und altersschwachem Mustang-Gefährt ermittelt sie sich durch den Fall und die Straßen Portlands, wobei sie öfter Pech als Glück hat und auch ihre Nehmerqualitäten beweisen muss. Neigt sich der Trend, was Krimi-Protagonisten angeht, in den letzten Jahren mehr in Richtung der dysfunktionalen Genies, wissenschaftlicher Gruppenarbeit oder dem personifizierten Existentialismus, erinnert Dex auch mit ihren Methoden mehr an den lässigen Ermittlertypus der TV-Landschaft der 70er und 80er Jahre, wie an MagnumSimon und Simon oder Detektiv Rockford – Anruf genügt.

Optik: Pacific Northwest Noir

In Szene gesetzt wird Greg Ruckas Hauptfigur und ihre Geschichte von Zeichner Matthew Southworth (Infinity Inc.). Bestimmend sind rustikale, manchmal auch unsauber wirkende Linien, die Charakter und Emotionen der Figuren betonen, sowie blasse Farben, die Szenen je nach Stimmungs- oder Lichtverhältnissen etwa in dunkle Blau- oder Gelbtöne tauchen. Im Vorwort von Matt Fraction (Uncanny X-Men) stilistisch passenderweise als „Pacific Northwest Noir“ bezeichnet, zeigt sich dieser Noir-Einschlag besonders an der ausschließlichen Verwendung von bunten und schwarzen Flächen ohne gräuliche oder schraffierte Abstufungen. Optisch wird damit ein allgegenwärtiger Kontrast zwischen den zurückhaltend bunten Farben und den pechschwarzen Linien und Schattenflächen geschaffen. Dem Comic wird damit eine eigene und stimmungsvolle Note verpasst, die wohl auch gewollt etwas altmodisch wirkt. Auffällig sind zudem solche Passagen, etwa wenn Dex einen Tatort besichtigt oder jemanden im Auto verfolgt, die gänzlich mit Bildsprache auskommen und auch ohne dahingemurmelte Selbstgespräche oder detektivisches Voiceover Erkenntnisse zu vermitteln wissen. Im Zusammenspiel mit Ruckas Dialogen entsteht so eine in Wort und Bild gut erzählte Detektivgeschichte. Diese zeigt auch ein passendes Tempo und nimmt zur Kenntnis, dass stimmungsvoll erzählte Ermittlungsarbeit nicht (nur) eine Abfolge von spannenden Momenten ist, sondern auch mal die gelegentliche Laufarbeit, etwas Warten oder das gegenseitige Abtasten und Austesten im Gespräch erfordert, wofür sich der Comic die Zeit nimmt.

Comic und Serie

Wie erwähnt gibt es zu Stumptown auch eine Serienumsetzung aus dem Jahr 2019, die hierzulande ein Jahr später auf Sky veröffentlicht wurde. Produziert vom Sender ABC, umfasst diese eine Staffel mit 18 Folgen, in denen neben Hauptdarstellerin Smulders unter anderen auch Jake Johnson (Spider-Man: A New Universe) oder Michael Ealy (Underworld: Awakening) mitwirken. Eigentlich wurde die von Rucka und Southworth mitproduzierte Serie sowohl von der Zuschauerschaft als auch von der Kritik sehr gut aufgenommen und schnell eine zweite Staffel abgesegnet. Dann kam jedoch leider die Corona-Pandemie. Wie etwa auch Netflix bei GLOW machte ABC kurzerhand aus Kostengründen einen Rückzieher und die Serie wurde (leider) abgesetzt. Diese hat im Vergleich zum Comic insgesamt einen etwas leichter humoristischen Grundton. Besonders die Figuren Grey und Hoffman sind zudem stark abgewandelt worden und nehmen in der Handlung sehr viel mehr Raum ein als ihre Comic-Gegenstücke. Relativ gleichbleibend in beiden Werken sind jedoch die Figuren Dex und Ansel. Wenn man diese in einem Medium liebgewonnen hat, ist der Griff zum anderen in jedem Fall empfehlenswert. Ob es jemals zu einem Serien-Revival kommt, steht in den Sternen und hängt wohl auch davon ab, ob eine treue Fanbasis die Serie im Gespräch halten kann. Der zwischen 2009 und 2016 erschienene Comic umfasst immerhin 19 Ausgaben, die zu vier Sammelbänden zusammengefasst wurden, wovon der Splitter Verlag in halbjährlichen Abständen bereits den zweiten für Oktober 2021 und den dritten für April 2022 angekündigt hat.

Erster Eindruck

Handlungstechnisch eher privatdetektivische Standartkost kann der erste Band von Stumptown durch die am Noir-Stil angelehnte Optik und besonders die an klassische Serien-Haudegen à la Rockford und Magnum angelehnte Protagonistin Dex überzeugen. Mit eindringlicher Atmosphäre und zugleich leichtem Wortwitz unterhält Stumptown über 160 Seiten hinweg und dürfte besonders Krimi-Fans mit einer erzählerisch gut getakteten Geschichte und einem zielsicheren Gefühl für alles, was das Genre-Herz begehrt, zufriedenstellen. Wenn man sich wie ich zudem von der in der TV-Serie liebgewonnen Hauptfigur viel zu früh und abrupt trennen musste, erwartet einen hier in Comicform noch etwas mehr Ursprungs-Dex, um den Schock zu verschmerzen.

© Splitter Verlag

Lyxa

Lyxa studiert aktuell das Fach Und-was-macht-man-damit in Mainz, liest viel, schreibt gerne und schaut sich viel und gerne allerlei Serien und Filme an, am liebsten Science-Fiction. Lyxa ist dabei besonders der Dunklen Seite der Macht verfallen, weil es dort die cooleren Outfits gibt.

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