Cloak & Dagger
Marvel hat einen riesigen Pool an Charakteren. Wer sich Sorgen macht, das Ende der Fahnenstange könne bald erreicht sein, darf sich über eine neue TV-Serie freuen. Cloak & Dagger ist die Geschichte zweier Teenager, die übernatürliche Kräfte entwickeln. Ein Licht-und-Schatten-Motiv verfolgt die zwei, ebenso wie persönliche Dämonen. In Deutschland können Zuschauer mit Amazon Prime die Selbstfindungs-Abenteuer wöchentlich begleiten. So haben auch wir einen Blick auf die ersten beiden Episoden geworfen.
Tandy Bowen (Olivia Holt, Ich war’s nicht) wuchs als Kind wohlbehütet auf und lernte früh die Regeln der Oberschicht kennen. Bis sie mit ihrem Vater in einen Autounfall geriet, den dieser nicht überlebte. Ihre Mutter Melissa (Andrea Roth, Tote Mädchen lügen nicht) hatte bereits zuvor ein Tablettenproblem, das nur schlimmer wird. Der soziale Absturz wurde dadurch besiegelt, dass der nun tote Ehemann als Sündenbock für einen Betriebsskandal herhalten muss. Tandy verbringt jetzt die meiste Zeit allein, kommt mit Diebstählen zu Geld und sucht oft Zuflucht in einer verlassenen Kirche. Tyrone Johnson (Aubrey Joseph, Run All Night) scheint es oberflächlich betrachtet besser zu ergehen. Seine Eltern unterstützen ihn beim Basketball und er geht auf eine gute Privatschule. Doch als Kind musste er mit ansehen, wie sein Bruder von einem Polizisten erschossen wurde. Die Spuren wurden verwischt und es gab keinerlei Gerechtigkeit. Tandy und Tyrone leben in verschiedenen Welten mitten in New Orleans, doch die einschneidenden Erlebnisse in ihrem Leben passierten in derselben Nacht und haben sie miteinander verbunden, ohne dass sie es ahnen. Nach all den Jahren treffen sie sich auf einer Party wieder, bei der Tandy Tyrone beklauen will. Als sie sich nach einer kurzen Verfolgung gegenüberstehen, passiert Merkwürdiges – Tandys Hände beginnen zu leuchten, während Tyrone von einem dunklen Nebel eingehüllt wird. Sie verstehen diese Kräfte noch nicht und müssen sie zunächst allein erforschen, bevor das Schicksal sie erneut zusammen bringt.
Keine heroischen Aufgaben
Cloak & Dagger dürfen liebevoll wohl als Helden aus der zweiten Reihe betitelt werden. In den 80er Jahren hatten sie ihre eigene Serie, traten bei Spider-Man oder den New Mutants auf, blieben insgesamt aber eher Nischenfiguren, die nur selten zum Einsatz kamen. Nicht zuletzt, weil sie nicht den typischen Weg der Superhelden einschlugen. In den Comics sind die Kräfte das Ergebnis von Experimenten mit Drogen. Die Ausreißer Tandy und Tyrone finden ihre Aufgabe dann darin, ganzen Kartellen den Kampf anzusagen und statt sich mit Superschurken zu prügeln, bringen sie auch schon mal eher einen Dealer um. Bereits damals standen die persönlichen Probleme und daraus resultierende Charakterentwicklungen im Zentrum der Erzählung. Und auch wenn die Serie die Hintergründe abändert und der Neuzeit anpasst, wird mit nur zwei Episoden schnell klar, dass dieser Ansatz beibehalten wird.
Aufpolierte Herkunft
Originaltitel | Marvel’s Cloak & Dagger |
Jahr | 2018 |
Land | USA |
Episoden | 10 (in 1 Staffel) |
Genre | Drama, Fantasy |
Cast | Tandy Bowen/Dagger: Olivia Holt Tyrone Johnson/Cloak: Aubrey Joseph Melissa Bowen: Andrea Roth Adina Johnson: Gloria Reuben Otis Johnson: Miles Mussenden Liam: Carl Lundstedt Brigid O’Reilly: Emma Lahana Delgado: Jaime Zevallos Connors: J.D. Evermore |
Die Ursprungsgeschichte von Cloak & Dagger ist nicht besonders gut gealtert, denn ein schwarzer Junge mit düsteren Schattenkräften und ein weißes Mädchen mit Lichtdolchen, die sich beide auf Grund von Vorurteilen in ihre soziale Schichten einsortieren lassen, wirkt als Grundgerüst extrem platt. Hier zeigt sich die TV-Serie von Joe Pokaski (Heroes) erfreulicherweise etwas durchdachter. Tandy schlägt sich mit Betrügereien durchs Leben, während Tyrone versucht eher geduckt durch die Schule zu kommen. In den Comics trafen sie sich in New York, einer Stadt, die beiden fremd war. Aber weil in New York schon genug passiert (nicht zuletzt tummelt sich dort der komplette Defenders-Cast), leben die beiden in New Orleans. Das bringt gleich ein ganz neues Flair mit sich. Die größte Änderung findet sich aber bei den Kräften selbst, da hier weder Drogen noch Experimente im Spiel sind. Hier baut die Serie lieber ein kleines Mysterium ein, das vielleicht noch gelöst wird. Tandys Vater hat für Roxxon gearbeitet. Im Marvel-Universum als Energiekonzern bekannt, wurde die Firma in den verschiedenen Iron Man-Filmen schon erwähnt. Am Telefon wird über das Einschalten der Regierung gesprochen, etwas ist nicht ganz koscher, ein Roxxon Laster ist im Bild und da kommt es schon zu einer Explosion, die die beiden Kinder miterleben. Die Kräfte werden direkt aktiviert, liegen aber in den Jahren der Trennung brach.
Licht und Schatten
Einer der interessantesten Aspekte an Cloak & Dagger ist die symbiotische Beziehung der Titelfiguren. Cloak ernährt sich von Daggers Licht, die damit wiederum überschüssige Energie loswird. Ein Punkt, der in der Serie durch die Umgestaltung zunächst vollkommen fehlt. Ob das gut oder schlecht ist, vielleicht sogar noch eingearbeitet wird, bleibt abzuwarten. Die Kräfte müssen erst noch ausgelotet werden und der Zuschauer lernt gemeinsam mit den Figuren, was überhaupt möglich ist. Klar ist aber schnell, dass die üblichen Assoziationen mit Licht und Schatten hier Gewicht haben.
Die bei Bastei-Lübbe als Licht & Schatten erschienenen Hefte, zählen zu meinen eigenen ersten Superheldencomics, die ich je hatte (im Wechsel mit RoboCop und Gespenster Geschichten gekauft). In frühester Kindheit geprägt, haben Teens mit Superkräften bis heute einen besonderen Platz in meinem Herzen, egal wie alt ich bin. Daher freut es mich sehr, dass ich Cloak & Dagger jetzt neu entdecken kann. Exposition kann manchmal dröge sein, aber die zwei Folgen waren schnell vorbei, da kann ich nicht meckern. Obwohl noch gar nicht klar ist, wohin die Reise genau gehen soll. Vor allem die Polizistin, die Tandy auf der Spur ist, wirkt noch etwas fremd. Dafür gefallen mir aber kleine Details wie die behelfsmäßigen Umhänge, in die Tyrone sich hüllt oder der Hoodie seines Bruders, der bereits in Tandys Besitz ist. Die musikalische Untermalung ist nicht zu aufdringlich und rundet die Atmosphäre nett ab („Starlight“ von Jai Wolf ist ein schöner Abschluss von Folge eins). Es bleibt ein positiver erster Eindruck, aber auch hohe Erwartungen durch viel aufgestelltes Potenzial.
Eigentlich wollte ich nur mal eben reinlurken und schwupps, war Folge 4 gesehen. Ich bin sehr angenehm überrascht (insbesondere nach den Inhumans war meine Erwartungshaltung wirklich gering) und nehme Cloak & Dagger als erfrischende Alternative zu den Avengers und X-Men wahr. Folge 4 überrascht ja mit viel Tiefgang, viel Dialog und ohnehin ist das Verhältnis zwischen Tyrone und Tandy sehr emotional und angespannt. Da werden auch Themen wie Rassismus und Selbstmord nicht ausgespart, was die Serie dann doch erstaunlich schwer macht. Bislang habe ich eher zu wenig als zuviel von den Fähigkeiten der beiden gesehen. Da ist noch ganz viel Luft nach oben. Die beiden Hauptdarsteller besetzen ihre Rollen aber wirklich gut und transportieren viel Charisma, sodass beide gleichgestellt erscheinen und man als Zuschauer auch nicht allzu sehr zur einen Seite stärker tendiert als zur anderen.
Freut mich, dass dich der Start bisher auch überzeugt hat. Ich bin sehr überrascht, wie viel Wert auf eine ausgewogene Charakterbeleuchtung gelegt wird. Ich kann sowohl Tyrone als auch Tandy mit ihren Unsicherheiten und Entscheidungen sehr gut verstehen bzw nachvollziehen. Die Erforschung der Kräfte gerät da wirklich ins Hintertreffen, aber Episode 3+4 haben das spannend gelöst – Kräfte nutzen und dann tatsächlich drüber reden. Es heißt ja immer “show, don’t tell”, aber es ist sehr angenehm, hier mal dabei zu sein, wie die zwei ihre Gedankenprozesse gemeinsam durchgehen.
Bei der schwierigen Rassismus/Privileg-Debatte finde ich, hat die Folge es sich netterweise nicht leicht gemacht. Tyrone hat von Außen betrachtet mit seinem Elternhaus, Privatschule und allem das bessere Los gezogen. Aber er kann sich eben nicht frei bewegen und wird von anderen reduziert, muss aufpassen und darf nicht der typisch leichtsinnige Teen sein, wie ein weißer Mitschüler es sich leisten könnte. Tandy wird als kleines, blondes Mädel ganz anders wahrgenommen, sie hat aber persönlich die Schicksalsschläge hinnehmen müssen und balanciert dadurch am Rand eines Zusammenbruchs. Das eine ist ein systematisches Problem, aus dem Tyrone allein nicht ausbrechen kann. Das andere ist ein persönliches Katastrophengebiet, bei dem man selbst oft den Rand nicht sieht. Es gibt keine Möglichkeit das wirklich gegeneinander aufzuwiegen und beide sehen beim anderen, wie ihre Probleme keine mehr wären. Das ist stark.
Und doch fühlt sich das nicht an, als erhebt irgendwer den Zeigefinger. Es ist Teen-Drama und dient der Charakterisierung.