Ghost in the Shell

Ghost in the Shell erhält 22 Jahre nach Mamoru Oshiis Anime-Adaption eine Realverfilmung aus den USA. Solche Umsetzungen sind ein heikles Thema, denn sowohl Hollywood als auch Japan haben es bereits versemmelt und Fans mit ihren Live-Action-Movies geschockt anstatt begeistert. Wie aber schlägt sich Regisseur Rupert Sanders, mit einem Budget von 110 Millionen in der Tasche und einem Sternchen namens Scarlett Johansson an der Hand?

 

Mira Killian ist “die Erste ihrer Art”: ein Cyborg. Soll heißen ein vollsynthetischer Körper mit übermenschlichen Kräften kombiniert mit einem organischen Gehirn. Erschaffen von Hanka Robotics, dem Marktführer im Bereich Cyber-Technologien, wird sie der Sektion 9 überstellt, einer Eliteeinheit des Verteidigungsministeriums, deren Einsätze sie fortan als “Major” leiten wird. Als der Hanka-Konzern einer Reihe von cyberterroristischen Angriffen zum Opfer fällt, wird die Sektion 9 damit beauftragt, den Strippenzieher dahinter, einen Hacker namens Kuze, dingfest zu machen. Die Suche nach Kuze erweist sich allerdings als schwierig und wird für den Major zu einer Suche nach sich selbst. Sie beginnt zu zweifeln; an ihrer Mission, an ihrem Umfeld – und an ihrer eigenen Existenz.

Der Anime von 1995 – kurz umrissen

Oshiis Adaption gilt gleichzeitig als “Oschi” der Anime-Szene: wegweisend in der Animationstechnik, in der Aufarbeitung tiefgründiger Themen und in der Musik. Konzepte wie Cyborgs, künstliche Intelligenz, virtuelle Realität, simulierte Erinnerungen und ihre besondere Darstellung regten die Kreativität vieler Kunstschaffender an und so wird GitS als Pate des Cyberpunks gehandelt, der Filmen wie etwa Matrix den Weg bereitete. Mitte der 90er, als das Internet gerade seine Kinderkrippe verließ, waren die Thematiken von GitS brandaktuell und hochinteressant.

Was sagt der Nicht-Kenner?

22 Jahre später kann Sanders’ Film natürlich nicht mehr mit thematischer Freshness aufwarten. Die Themen, die der Anime damals präsentierte, wurden bis heute unzählige Male aufgegriffen und verwurstet. ’22 Jahre später‘ bedeutet aber auch weit fortgeschrittenere Filmtechnik und davon profitiert das Remake: durchgestylte Kulissen, opulente CGI-Settings, schöne Bildkompositionen – bekannte Themen, ja, aber visuell unverbraucht und dufte präsentiert. Dazu ein toller Cast, der sauber spielt, eine solide, leicht konspirative Story, eine ruhige Gangart des Films – die Figuren haben Zeit sich gestisch und blicktechnisch zu entfalten – und hier und da ein paar Action-Ausbrüche. Alles sehr ausgewogen, gutes Mainstream-Kino. Für den Ottonormal-Besucher dürfte sich der Film also wie ein ambitionierter, technisch beeindruckender Cyberpunk-Thriller anfühlen.

Originaltitel Ghost in the Shell
Jahr 2017
Land USA
Genre Action, Science-Fiction, Drama
Regisseur Rupert Sanders
Cast Major: Scarlett Johansson
Batou: Pilou Asbaek
Aramaki: Takeshi Kitano
Dr. Ouelet: Juliette Binoche
Laufzeit 107 Minuten
FSK

Was sagt der Anime-Kenner?

Für den Anime-Kenner gestaltet sich das Ganze etwas schwieriger. Einige bezeichnen das Remake unversöhnlich als Verrat, andere sehen es nicht ganz so streng. Diejenigen, die zum zweiten Lager gehören, dürften sich heimisch fühlen kaum dass die Intro-Sequenz einsetzt: ein asiatischer Moloch als Handlungsort, vollgestopft mit Kulturen und Informationen; ein multinationaler Cast, darunter Beat Takeshi (als Chief Aramaki), der im japanischen Original Dub samt Hängelippe sprechen darf; dazu die bereits erwähnte ruhige und damit der östlichen Tradition angenäherten Gangart des Films und – ganz wichtig – viel Fanservice, der sich in Schlüsselszenen und unscheinbaren Details niederschlägt. Sanders’ Remake vereint unzählige Motive sowohl aus den Filmen, als auch aus den Serien des GitS-Universums. Deswegen fühlt es sich vertraut an.
Wenn aber so viel Energie auf die Darstellung und auf den Spirit verwendet wird, was bleibt dann noch übrig für die Story? Nicht ganz so viel, denn inhaltlich ist der Film weniger anspruchsvoll geraten. Sanders’ Story basiert in ihrer Form auf keinem Vorlagenmaterial, sondern ist eine Neuschöpfung eigens für den Film. Sie verleiht der Figur des Majors neue Hintergründe und läuft dabei fast Gefahr, zu plump zu geraten (RoboCop lässt grüßen). Auch die ursprünglich relevanten Themen wie Evolution, Bewusstseinsentstehung und Wertigkeit künstlicher Entitäten werden herunter gebrochen auf nur eine simple Frage (“Wer bin ich?”), die eine ebenso simple Antwort erhält (“Taten machen mich aus.”).

Gute Schauspieler – nicht immer gute Rollen

Der Cast wiederum zählt zu den Stärken des Films. Durch die Bank werden hier überzeugende Leistungen abgeliefert.
Scarlett Johansson funktioniert in ihrer Rolle als Zugpferd sehr gut und vermittelt das Dilemma ihrer Cyborgexistenz glaubhaft. Diesbezüglich ist auch ihre körperliche Performance erwähnenswert: ein bisschen steif, ein bisschen roh, so, als wüsste sie nicht, wie sie mit ihrem Körper im Alltag umzugehen hat. Badass fighting an der Pogostange: kein Problem. Bequem sitzen und auf eine Tasse Tee warten: ein Ding der Unmöglichkeit. Über die Wendung zum Schluss, wenn aus Mira Motoko wird, kann man sich streiten. Für elegant halte ich die Lösung dennoch, da sie mit der filminternen Philosophie absolut vereinbar ist. Der Ghost überdauert die Shell und kann in jeder Form wiedergeboren werden. Eines der GitS-Kernmotive und was ein Glück, dass Sanders sich darauf berufen kann, wenn die Whitewashing-Keule kommt, huh?

Pilou Asbæk ist das moderne und gut gelungene Abbild des 95er-Anime-Batou und schafft es, alle Eigenheiten der Figur einzufangen: von der Vorliebe für Bier und Hunde über das heftige Temperament gegen Fremde bis hin zur Fürsorge und Loyalität gegenüber dem Major. Die Chemie zwischen Johansson und Asbæk stimmt.
Altmeister Beat Takeshi als Chief Aramaki spielt in gewohnt minimalistischer Manier und muss nicht viel tun, um die Szenerie einzunehmen.
Togusa dagegen (verkörpert von Chin Han) hat im Vergleich zur Vorlage massiv an Präsenz eingebüßt. Ein Problem, das die gesamte Sektion 9 betrifft: Borma (Tawanda Manyimo) und Ishikawa (Lasarus Ratuere) sprechen keine einzige Zeile und besitzen praktisch keine Funktion im Team. Nur Saito (Yutaka Izumihara) gönnt man am Schluss eine Gedächtnisszene.

Ebenfalls erwähnenswert: Michael Pitt als Kuze – eine Figur, die zunächst verwirren mag. Denn obwohl sie den Namen des Revolutionärs aus der GitS-Serie S.A.C. 2nd GIG trägt, ist sie ganz klar die Manifestation des Puppetmasters aus dem 95er-Anime. Die Beweggründe dahinter mochten gewesen sein, dass der originale Puppetmaster als einfache K.I., die er ja ist, nicht zum Antagonisten taugte. Ohne gescheiten Namen, ohne gelebte Vergangenheit und ohne Gefühlswelt würde der Puppetmaster nur schwerlich einen emotionalen Zugang zum Zuseher erlangen. Und so mussten leider zwei interessante Persönlichkeiten geopfert, verbraten und zu einem Klumbatsch zusammen gefügt werden, um dieser möglichen Gefühlsleere entgegen zu wirken (“Hat’s funktioniert?” ist da die Frage).

Ein Hauch von Kawai

Auch musikalisch traut man dem Westler nichts allzu Abenteuerliches zu. Clint Mansell (mit mindestens zwei Co-Komponisten) verpasst dem Film ein neues, hauptsächlich elektronisches Design ohne Höhepunkte. Zwar hört man hier und da Anspielungen auf Kenji Kawai – in Form des Frauenchors wie man ihn aus dem Anime kennt – allerdings sind auch diese Verweise weichgespült, denn obwohl Mansell die typische Chor-Harmonik einsetzt, verzichtet er auf die japanische (und vermutlich zu eigenwillige) Gesangstechnik des Minyo.
Immerhin: in den End Credits darf Kenji Kawai endlich ran mit einem aufgemotzten Medley aus “Making of a Cyborg” und “Ballad of the Puppets”.

Rupert Sanders’ Endprodukt ist ein Kompromiss zwischen Vorlagentreue und westlichen Sehgewohnheiten. Dass die Story verändert und versimpelt und Major zum female RoboCop wurde, stört mich gar nicht mal so arg, denn ~der Spirit~ stimmt und das ist für mich hier das Wichtigste. Jedes GitS-Werk steht auf eine Weise für sich. S.A.C., GitS Arise, die Filme: alle fußen auf denselben Ideen, gehen aber anders an deren Interpretation heran. Und so macht es auch das Reboot von Sanders. Ich begreife den Film durchaus als liebevolle Hommage und als eine sehenswerte Ergänzung zum GitS-Universum. Na, und sonst warte ich darauf, dass sich jemand der Sektion 9 annimmt und ‘ne Serie draus macht.

 

 

Zweite Meinung:

Obwohl Ghost in the Shell optisch eine beeindruckende Hommage an die Vorlage ist, bei der es sich immerhin nicht “nur” um den Anime von 1995 handelt, sondern eben auch und vor allem um den Manga von 1989, war ich alles in allem enttäuscht. Tolle Effekte, beeindruckende Skylines und die Charaktere mit teils hohem Wiedererkennungswert konnten mich nicht darüber hinwegtrösten, dass das Wichtigste, was GitS für mich immer ausgemacht hatte, völlig ignoriert wurde – die Tiefgründigkeit. Ob es sich dabei um die Kernaussage Ghost in the Shell, oder auch um die Identitätskrise des Majors handelt, ist völlig egal – der Film hat eine klare Aussage und regt mich kein bisschen zum Nachdenken an. Wozu auch? Schließlich wird mir alles, bis hin zur früheren Identität, brav vorgekaut. Das ist schade, denn die vielen liebevollen Hinweise auf die vorangegangenen Werke wussten mich durchaus zu begeistern. Die Charaktere fand ich klasse dargestellt, selbst wenn sie optisch (und teilweise auch von den Handlungen her) ungewohnt auftraten. Und die Action schließlich war einfach nur großartig, Popcornkino vom Feinsten. Doch tat ich mich nicht nur mit der Handlung schwer, sondern auch mit einigen, teilweise unwichtig anmutenden Änderungen. Sektion 9 fühlt sich einfach nicht richtig an, daran ändert auch zeitlicher Abstand nichts. Und Whitewashing? Was für ein grauenhaftes Wort für diese Zukunftsdystopie. In einer Welt, wo sich jeder durch kybernetische Teile verbessern lassen kann und jeder so aussehen kann wie er will, ist die ethnische Herkunft doch völlig egal.

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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Alva Sangai
Redakteur
6. September 2017 17:59

Habe den Film im Kino gesehen und für gut befunden. Die Vorlage habe ich noch nicht angerührt. Bin einfach noch nicht dazugekommen. Kann daher überhaupt keine Vergleiche ziehen. An meiner Meinung würde sich dennoch nichts ändern, da ich es als ein eigenständiges Werk betrachte. Von den Charakteren im Film mochte ich Batou am liebsten. Vom OST gefällt mir ”Aokigahara Forest” ziemlich gut. Der Titel des Musikstücks ist schon unheimlich. Es wurde anscheinend nach dem Selbstmordwald in Japan benannt.

Ayres
Redakteur
8. September 2017 15:45

Vom Cast her gefiel mir der Film sehr gut. Whitewashing finde ich als Debatte hier gar nicht angebracht. Masamune Shirow äußerte sich selbst, dass Major keine japanische Figur sein muss, weil sie so angelegt ist, dass jeder in ihr stecken kann. Mich störte nur der Gedanke im Hinterkopf, dass Scarlett Johansson eben den Typus verkörpert, den sie schon vor zwei Jahren in Lucy mimte. Doch ihre Darstellung, ihr Laufstil, die eigenständige Gestik, das gefiel mir alles gut.

Unterm Strich war der Film immer hübsch anzusehen. Die extreme Beleuchtung der bewegten Hologramme zwischen den dreckigen Cyberslums war super. Mein Problem wurde im Endeffekt von der Linearität ausgemacht. Obwohl die Story zu vielen Teilen neu konzipiert wurde, empfand ich den Film als spannungsarm und zum Teil sogar langweilig. Ich hatte während des Films mehrere Momente, in denen ich mir wünschte, dass es bald vorbei sei, weil ich mit dem Erzählfluss beim besten Willen nicht warm wurde. Somit war es im Endeffekt ein nettes und hübsches Kinoerlebnis, dessen visuelle Wucht schwerer wiegt als der Rest.