Im Interview: Der US-Comic-Zeichner Benjamin Dewey (Teil 1)

Heutzutage kann jeder mit ein bisschen Willen Comics zeichnen und im Internet veröffentlichen. Nur wenige schaffen es aber, sich sowohl mit ihrem Talent auch den Lebensunterhalt zu verdienen als auch bei den großen US-Verlagen einigermaßen erfolgreich zu erscheinen. Wie kommt man dazu und was ist nötig, um auch längerfristig in diesem Bereich zu arbeiten? Diese und weitere Fragen haben wir dem US-Zeichner Benjamin Dewey (Autumnlands) gestellt. Im ersten Teil unseres Interviews erzählt er von seinem Weg in die Comicwelt, seiner Arbeitsweise, wie er zu seinem aktuellen Projekt kam und legt dabei auch seine Sicht auf Comics dar.

Hallo, Ben! Danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast und wir trotz des Zeitunterschieds (Anm. der Redaktion: 18 Uhr Ortszeit gegen 9 Uhr früh in Milwaukee, Oregon) einen passenden Termin gefunden haben. Ist es gerade sehr früh für dich oder bist du normalerweise schon wach?

Nein, ich hatte gestern nur eine lange Nacht (lacht). Normalerweise stehe ich um 8 Uhr auf, aber ich hatte gestern Bandprobe und es ist ziemlich heiß hier, was mir etwas die Kraft „entzogen“ hat.

Verständlich. Vielleicht starten wir mit einer kleinen Vorstellung deinerseits, denn bislang gibt es noch keine deutschsprachige Veröffentlichung deiner Werke, zumindest soweit uns bekannt.

Ja ich bin mir auch nicht sicher… Image (Anm. der Redaktion: der US-Comicverlag) ändert manchmal die Lizenzpreise von einem deiner Werke und dann veröffentlicht ein lokaler Verlag dieses. Ich glaube Autumlands (Anm. der Redaktion: Autor Kurt Busiek & Zeichnungen von Ben) hat eine spanische Version und eine französische… da bin ich mir aber nicht sicher.

Ich meine es gibt eine.

Ach ja wir waren ja bei der Vorstellung: Mein Name ist Benjamin Dewey und ich arbeite professionell als Comickünstler seit (denkt kurz nach) 2008… glaube ich. Um diese Zeit dürfte man die frühesten meiner Werke finden. Ich rate aber davon, ab sie zu suchen, denn ich bin sicher, die waren grauenhaft. Der erste bezahlte Comic war, wenn ich mich richtig erinnere, eine Ausgabe von Spider-Man und ich hatte das Pech, auf Chris Samnees (Anm. der Redaktion: Comic-Zeichner) Run (Anm. der Redaktion: hiermit ist eine längere Beschäftigung bei einer einzelnen Serie gemeint) zu folgen. Chris Samnee ist vielleicht der beste zeitgenössische Comickünstler, wenn man jemanden sucht, der Charme, Anatomie, Spaß und eben alles hat, was einen guten Comic ausmacht. Danach hatte ich einige kleinere Beschäftigungen und bekam schließlich die Möglichkeit, für eine Arbeit mit Kurt Busiek, den ich für seine Arbeit an Conan, Aquaman, Marvels und einem Haufen anderer Comics bewundere. Als Autumlands im Sande verlief, kam ich zu dem Projekt, an dem ich jetzt arbeite. Dabei handelt es sich um Beasts of Burden von Dark Horse. Einem Verlag, der interessanterweise auf der nächsten Straße seinen Sitz hat. Die Stadt, in der ich lebe, heißt Milwaukee. Oregon und Dark Horse sind nur sieben Minuten Fußweg von meinem Haus entfernt.

Wirklich?

Ja.. und das waren jetzt auch meine Hauptwerke, zumindest jene bei den größeren Verlagen. Ich habe dann auch noch beim Oni Press Verlag ein 180 Seiten starkes Buch namens I was the Cat herausgebracht. Zusätzlich habe ich noch an einem Projekt namens Tragedy Series gearbeitet – das Beste, das ich jemals erschaffen habe. Dazu noch kleine Projekte, Zeichnungen von Profi-Fußballern,… nenne etwas, wofür man durch Zeichnen Geld verdienen kann, ich habe es wahrscheinlich gemacht.

Und so ziemlich alles was du als Hardcover veröffentlicht hast, steht bei mir im Regal.

Vielen Dank dafür.

 

Viele fragen sich ja, wie das so ist: von der ersten Idee zum fertigen Comic zu kommen. Wie sind deine Arbeitsschritte von Anfang bis Ende?

Ich habe da verschiedene Vorgehensweisen. Wenn ich von einem Skript arbeite, das ich bekomme, dann fange ich mit kleinen Skizzen (Thumbnails) an. Statt einzelnen Panels skizziere ich ganze Seiten. Meistens auch in mehreren Versionen, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas nicht ganz passt Das ist ähnlich wie Rührei machen. Nur zerschlägt man die Eier als Ganzes und verrührt alles, während man nach und nach die Schalenreste entfernt, bis am Ende etwas Essbares übrig bleibt. (Ben hat die Metapher etwas anders erklärt, aber der Sinn bleibt erhalten). An diesem Punkt muss man meistens keine großen Änderungen machen und schickt diese Version an den Redakteur und/oder Autoren und diese lassen ihre Meinung einfließen. Meistens sind es aber nur kleine Korrekturen hier und da, weil ich ein relativ geradliniges Storytelling (Anm. der Redaktion: hiermit sind die grafische Umsetzung und der Erzählfluss gemeint) habe und bestimmte Winkel und Ausschnitte wähle. Die häufigste Anmerkung ist allerdings: „Mach bitte mehr Platz für Sprechblasen.“

Kurt Busiek erwähnt die „Kunst der Sprechblasen“ öfter auf seinem Twitter-Feed. Das hat mir wirklich die Augen dafür geöffnet und ich achte mittlerweile auch mehr darauf.

Stimmt. Kurt hat mir generell einiges beigebracht, auch wie das Anordnen von Panels einen Einfluss darauf, hat wie viel Zeit zwischen einzelnen Panels vergangen ist. Je nachdem, ob man sie horizontal oder vertikal stapelt. Das war für mich eine gute Erfahrung, um Panel-Layout auch als ein Layout für Zeit zu sehen. Es ist ein komischer Beruf. Du willst deinen Lesern ein möglichst einfaches und unkompliziertes Lesevergnügen liefern und strengst dich deswegen umso mehr bei Kleinigkeiten an. Es ist ein bisschen wie das Lösen eines Puzzles.

Das ist etwas, das ich auch erst verstanden habe, als ich älter wurde. Als Kind waren Comics halt Geschichten mit Sprechblasen, doch mittlerweile verstehe ich mehr von der Kunst und Arbeit, die es braucht, damit ein Comic richtig gut wird. Die erste Ausgabe von Autumnlands hat das zum Beispiel mit der Kolorierung für mich gemacht. Jordie Bellaires Arbeit mit den Farben ist einfach großartig.

Es freut sie sicher, das zu hören. Was ich an Jordies Arbeit so liebe ist, dass ihre Farben vergleichbar mit dem Soundtrack eines guten Film sind. Wenn der Soundtrack schlecht ist, dann kann der Film trotzdem in Ordnung sein. Ist aber der Soundtrack großartig, macht das den Film auf eine Art und Weise lebendig, die ihresgleichen sucht. Herr der Ringe, Jurassic Park… Solche Filme sind das. Jene, die sich in unserer Erinnerung einbrennen. Kolorieren hat bei Comics denselben Effekt und Jordie Bellaire ist einfach DIE Künstlerin, um dieses Gefühl zu erzeugen.

Wie die Kirsche ganz oben auf dem Eis. (beide lachen wieder)

Diese Diskussion erinnert mich auch an meine Kindheit und Rob Liefelds Arbeiten. Ich wusste schon damals um die Kritik an seinen Zeichnungen – und denke sie sind auch berechtigt – doch Dustin Weaver hat es perfekt erklärt. In Rob Liefelds Zeichnungen geht es nicht um die richtige Anatomie oder Storytelling. Es geht um die Dynamik und Energie und das vermittelt er den Lesern. Gäbe es Dinge, die er technisch besser machen könnte? Sicher. Doch als Kind hätte mich ein Alex Toth (US-Comiczeichner) niemals so begeistern können, wie Liefeld es tat. Für mich war es allerdings der erste Schritt Richtung Comics als Beruf. Heutzutage bevorzuge ich natürlich Zeichner wie Alex Toth oder Mike Mignola.

Mike Mignola ist auch ein gutes Stichwort für mich, was diese Erfahrung angeht. Als ich die Hellboy-Comics das erste Mal las, war ich zehn oder maximal zwölf Jahre alt. Ich dachte mir nur: Was sind das für komische Zeichnungen? Ein paar Jahre später, als ich wieder begann mich mehr für Comics zu interessieren, konnte ich nur sagen: Wow! Die sind großartig! Mike Mignola weiß wirklich was er tut.

Ja, er ist unglaublich.

Wenn du an einem Projekt arbeitest, wie sieht es mit deinen Arbeitszeiten aus? Sind die fix oder wie darf man sich das vorstellen?

Jeder hat da einen etwas anderen Workflow. Was ich früher gemacht habe, war aufzustehen, mit dem Zeichnen anzufangen und erst wieder aufzuhören, wenn ich nicht mehr wach bleiben konnte. Wie sich herausstellte, war das natürlich keine nachhaltige Art des Arbeitens.

Wer hätte das gedacht? (beide lachen)

Man wird müde, mental angeschlagen und natürlich auch körperlich. Man kommt ziemlich schnell außer Form, weil man sich nur an den Tisch setzt. Dadurch kann man sich selbst schwer schädigen. Was ich mittlerweile mache, ist Folgendes: Ich fange um etwa 9 Uhr an und versuche nicht länger als 19 Uhr zu arbeiten. Das ist jetzt ein typischer Arbeitstag für mich. Ich will einfach tun, was getan werden muss. Aber nicht so viel, dass ich am nächsten Tag gar nichts mehr tun kann. Ich nehme mir da die Worte eines Lehrenden der Oxford University zu Herzen: „Gib so viel wie du kannst, im karitativen Sinn, damit du später wieder etwas geben kannst.“ Ich denke, das stimmt auch bei künstlerischen Berufen. Gerade bei Comics, weil es ein schwerer Beruf ist, der viel Aufmerksamkeit benötigt. Viele junge Künstler brennen dann aus, weil es in deinen Zwanzigern okay ist, immer am Rande der Erschöpfung zu arbeiten und in deinen Dreißigern fühlt es sich nur noch wie ein großer Fehler an. Du willst es zwar allen Recht machen – Autoren, Redakteuren, etc. – und keine Deadlines verpassen, aber dabei sollte man alles so planen, dass man nicht komplett verbraucht ist, wenn man seine Arbeit abgibt. Ist man dann erschöpft, muss man hoffen sich schnell zu erholen. Denn schon am Anfang der nächsten Woche steht der nächste Comic in der Warteschleife. Man kann sich im zunehmenden Alter nur noch langsam erholen, was es umso wichtiger macht, eine gute Balance zwischen Privatleben und Arbeit zu finden. Man muss auch etwas anderes tun. Ein Buch lesen. Einfach etwas, das nicht mit der Arbeit zu tun hat. Aber so ist halt ein typischer Arbeitstag für mich, anfangen um 9 Uhr, nicht länger als 19 Uhr und nur wenn ich Nebenprojekte habe oder mich in bestimmten Bereichen verbessern will, gönne ich mir ein paar Stunden mehr. Dazwischen versuche ich mich zu entspannen, wann immer es geht.

Hier endet der erste Teil des Interviews mit Benjamin Dewey. Im zweiten Teil erklärt er uns, wie es ist, gegen fehlende Motivation anzukämpfen. Außerdem berichtet er von seinem aktuellen Projekt Beasts of Burden und wie es mit zukünftigen Arbeiten sowie auch Wünschen in der Comicbranche aussieht.

Teil 2

Hero Kage

Hero Kage ist Test Engineer für einen der weltweit größten Chiphersteller und sorgt unter anderem dafür, dass die Elektronik in Autos richtig funktioniert. In seiner Freizeit erholt er sich mit jedem Medium, das eine Geschichte bieten kann, die ihm gefällt. Dabei unterscheidet er nicht zwischen einzelnen Medien. Es geht ihm nur darum, besonders gut unterhalten zu werden. Zudem ist er auch noch passionierter Brett- & Kartenspieler und immer für ein neues Spiel zu begeistern.

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MadameMelli
Redakteur
11. November 2018 21:41

Wenn ich mir diesen ersten Teil so durchlese, dann ist dieser Mensch jemand, der seine Lektionen gelernt hat, damit er noch ganz lange Spaß an seiner Arbeit haben kann. Das ist hervorragend und ich kann mir sehr gut vorstellen, wie angenehm das Interview war. Da ist ein super Fluss im Gespräch und man merkt richtig, wie ihr beide wisst, worüber ihr sprecht und auch auf kleine Abschweifungen eingehen könnt. Ich hatte sehr viel Spaß beim Lesen und schaue mir seine Werke demnächst an!