Ghost in the Shell

Die Wiege der Matrix, der Durchbruch der japanischen Animationskunst im Westen, ein Meilenstein in der Historie des Anime. Hinter diesen hochtrabenden Titeln verbirgt sich Mamoru Oshiis Ghost in the Shell. Wo sich die Realverfilmung 2017 von Rupert Sanders als recht blutleer erweist, kann der Anime von 1995 wesentlich mehr vorweisen für den denkwilligen K.I.-Fan.

    

In mittelferner Zukunft hat die Cyborgisierung der Menschheit ihren Höhepunkt erreicht. Ob kleinere Prothesen, die künstliche Erweiterung der Hirnkapazität oder voll technisierte Körper: Alles ist möglich und für viele ein eitles oder auch praktisches Must-have. Die größte Errungenschaft der Cybertechnologie bildet hierbei die Vernetzung der Gehirne, sowohl untereinander als auch innerhalb weltumspannender Netzwerke. Da dabei auch neue Formen der Kriminalität entstanden sind, wurde die Sektion 9 ins Leben gerufen, ein Amt der Öffentlichen Sicherheit, das sich mit Cyberterrorismus und -kriminalität beschäftigt. Als das Gehirn der Dolmetscherin des Außenministers gehackt wird, ist Sektion 9 alarmiert. Unter Führung von Major Kusanagi, ihres Zeichens ein Cyborg mit Identitätskrise, versucht das Team der Sektion 9 dem Hacker namens Puppet Master auf die Spur zu kommen.

Politthriller… not

Der Film startet über den Dächern von Neo-Tokyo. Major Kusanagi belauscht das Gespräch zwischen einem Diplomaten und einem Programmierer, der politisches Asyl ersucht. Das Gebäude wird sowohl von der Polizei gestürmt als auch von Sektion 6, eines der Ämter für öffentliche Sicherheit. Aber noch ehe die zwei Fraktionen das Gespräch erreichen können, ist bereits der Major zur Stelle und streckt den Diplomaten blutig nieder. Es folgt der frech-überlegene Abgang des Majors mit ihrem halbnackten Gedächtnissprung in die Tiefe und einem letzten Wink über das Gesicht. Nur wenig später fallen noch einmal Begriffe wie Republik Gavel, gestürztes Militärregime und politischer Flüchtling. All das schreit in den ersten Minuten nach Politthriller, nur versiegt dieser Schrei recht schnell wieder, denn die politischen Verhältnisse sind und bleiben den ganzen Film über schemenhaft. Was Sektion 6 mit den Amerikanern zu Schaffen hat, wie die Republik Gavel ins Bild passt und überhaupt die gesamte Geopolitik wird von Oshii nur sehr mäßig bis gar nicht beleuchtet.

Philosophiestunde… yes

Originaltitel Ghost in the Shell
Jahr 1995
Laufzeit 79 Minuten
Genre Science-Fiction, Psychological, Action
Regisseur Mamoru Oshii
Studio Production I.G.

Stattdessen begleitet der Film die Sektion 9 bei ihrer Suche nach dem Puppet Master, sporadisch unterbrochen von kleinen Action-Intermezzi bzw. eigentlich nur einem Intermezzo: der Konfrontation mit dem Müllmann. Sehr viel mehr Screentime wird dagegen der Stadt und ihrem Kontrast „technologisch hoch entwickelt, aber trotzdem verkommen“ eingeräumt sowie den philosophischen Exkursen. Denn Majors Identitätskrise – „Bin ich ein Mensch?“ – ist der Dreh- und Angelpunkt des Films, der sein (vorläufiges) philosophisches Finale auf dem Boot erreicht, wenn Major ihre innere Krise endlich in Worte fassen kann. Ihr Monolog gestaltet sich dabei so sperrig und verschwurbelt, dass dem Zuseher der Zugang zu ihrer menschlichen Seite komplett verbaut wird. Ihre Existenzkrise wird so steril und distanziert präsentiert, dass die Figur – trotz geheimnisvoller Tiefsinnigkeit – blass bleibt. (Oshiis Vorliebe für abgehobenes Phrasendreschen erreicht mit den Dialoghöllen im Folgefilm Innocence übrigens ihren Höhepunkt.)

Es folgt der zweite Akt mit der Auffindung eines überfahrenen Cyberkörpers, in dem sich angeblich die Seele des Puppet Masters aufhalten soll. Major fühlt sich durch seine Anwesenheit angezogen, aber noch ehe sie sein Geheimnis ergründen kann, wird er entführt. Die anschließende Verfolgung – wieder nahezu meditativ dargestellt, ohne SFX, dafür mit melancholischer Gitarre und langsamen Cuts – leitet langsam über zum symbolträchtigen Finale im Museum, wo Mensch, Maschine, Cyborg, K.I., ein „Tree of Life“ und sogar ein halluzinierter Engel aufeinander treffen. Dieses Finale wird schon ganz zu Beginn vonm Komponisten Kenji Kawai vorweg genommen.

Musik, die ihren Schatten voraus wirft

Der Score von Kenji Kawai (Guardian of the Spirit, Ranma 1/2) ist weder sinfonisch, noch rein synthetisch. Er wird stellenweise sehr präsent eingesetzt, indem er ganze vier Minuten lang das Bild dominiert. Damit stellt sich Kenji Kawai der üblichen Vertonungspraxis von Zeichentrickfilmen entgegen und bricht mit den westlichen Hörgewohnheiten. Vier Minuten sind eine lange Zeit für den schnelllebigen und -guckenden Wessi heutzutage.
„Making of a Cyborg“ bildet den Opener zum Anime und ist gleichzeitig das prominenteste Stück im Film. Kawai verbindet hier bulgarische Harmonik mit japanischem Min’yo, der Frauenchor singt über Hochzeit und die Vertreibung böser Mächte. Da mag man sich jetzt vielleicht fragen: Wieso ein Hochzeitslied? Die Antwort erhält man in der Finalszene des Films. Sowohl der Puppet Master als auch der Major versuchen in ihrer Entwicklung voran zu kommen: Der Puppet Master will sich reproduzieren und Major will ihre körperlichen Grenzen überwinden. Die Lösung für beide: Ihre Verschmelzung. Diese Verschmelzung kann man als einen Bund betrachten – eine Hochzeit zwischen K.I. und Mensch. Passend dazu mischen sich während dieser Szene Glockentöne in die Musik. Und schließlich erscheint auch ein Engel, als Abgesandter Gottes, der den Bund besiegelt.

Nur für den geneigten Leser: Die Bewusstseinsfrage in GitS

Wie entsteht Bewusstsein? Eine große Frage, an der sich immer wieder große Geister versuchen. In der Medienlandschaft haben zuletzt Jonathan Nolan und Lisa Joy mit ihrer Serie Westworld (2016) eine spannende und zufriedenstellende Antwort gegeben. Und es fällt auf, dass der Kern der Westworld’schen Antwort sich mit dem Kern von Mamoru Oshiis Theorie deckt: Die Basis für das Bewusstsein ist die Erinnerung.

Grundvoraussetzung für das bewusste Leben ist also das Gedächtnis. Das Gedächtnis macht den Menschen aus – durch die Erinnerungen erlangt der Mensch seine Seele und seine Individualität. Als der Mensch anfing, seine Erinnerungen/Informationen in Computern auszulagern, hat er sich selbst ins Bein geschossen: Der Mensch hat sich dessen entledigt, was ihn zum Menschen macht. Das ist sein Dilemma. Kommen wir vom armen Tropf namens Mensch nun zu dieser K.I. namens Puppet Master und der Frage, ob sie eine eigenständige Lebensform ist. Der Puppet Master ist ursprünglich ein Programm gewesen, das in das große weltweite Netzwerk eingespeist wurde. Dort existierte das Programm in einem digitalen Meer aus eben jenen, vom Menschen ausgelagerten Informationen/Erinnerungen und fing allmählich an, ein Bewusstsein zu entwickeln. Es stimmt also: Für eine Seele braucht es zuallererst ein Gedächtnis, egal ob digital oder organisch. Erinnerungen/Informationen bilden einen Knotenpunkt des Lebens. Daraus kann dann eine autonome Entität erwachsen, so wie es beim Puppet Master der Fall gewesen ist. Wenn also Erinnerungen das Leben definieren, dann ist Puppet Masters Existenz genau so anzuerkennen wie die eines Menschen.

Das alles (und noch viel mehr) …. hat es nicht in die Realverfilmung von 2017 geschafft. Dadurch entstand ein gefälliger und dankbarer Plot mit einer eindeutigen und nicht wirklich überraschenden Antwort. Viele Kritiker werfen dem Anime von 1995 nämlich genau das vor: dass er keine Antworten gebe. Aber das stimmt nicht. Sie sind eben nur etwas schwieriger zu erlangen – und zudem staubtrocken verpackt.

Dieses Verstaubte ist das größte Manko, das ich bei Ghost in the Shell entdecken kann. Und es hat nicht nur mit den klotzigen Dialogen zu tun, sondern durchaus auch mit dem Soundesign. Wenn gerade mal keine Musik zu hören ist, wirkt die Welt wie tot. Verstaubt, entfernt, nicht so wirklich zum Anfassen. Das ist mir mal aufgefallen, als ich mir das Sound-Replacement eines französischen Sounddesigners angehört habe. Genau so hätte Ghost in the Shell klingen müssen, um eine ganze Ecke geiler zu sein. Stattdessen gibt es nur diese Oldskool-Anime-Action-Sounds aus den 90ern, die auch schon bei Dragon Ball ständig durchgenudelt werden. Aber davon mal abgesehen, ist der Film schon schwer in Ordnung und die anfangs erwähnten hochtrabenden Titel sind sicherlich gerechtfertigt. Allerdings bin ich nach meinem GitS-Franchise-Marathon im letzten Jahr der Thematik etwas überdrüssig. Aber dass ich überhaupt einen Marathon gemacht habe, verrät meine Fanseele, die sich vor dem Major verneigt.

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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