Kare Kano

Nach außen wirken die beiden Musterschüler Yukino Miyazawa und Soichiro Arima perfekt, doch sind sie es auch wirklich? Sicherlich nicht. Mit dem täglichen Leben der beiden Schüler und der Entwicklung ihrer Beziehung zueinander könnte es sich um einen gewöhnlichen Anime des Shoujo-Bereichs handeln. Doch stattdessen entpuppt sich die Serie als überraschend vielseitige und witzige Erfahrung. Kare Kano heißt die Serie aus dem Jahr 1998, die auf der in Deutschland unter selbigem Namen erschienenen Mangareihe von Masami Tsuda basiert. Rund 20 Jahre nach ihrer japanischen Erstausstrahlung veröffentlichte der Publisher Nipponart die 26-teilige Animeserie im März 2018 als DVD-Komplettbox.

    

Yukino Miyazawa repräsentiert das Idealbild der perfekten Schülerin: Sie schreibt ausgezeichnete Noten, ist sehr gut in Sport und kleidet sich elegant. Niemand kann ihr das Wasser reichen. Doch dies ändert sich, nachdem sie auf die Oberschule kommt. Plötzlich ist da ein Junge namens Soichiro Arima, der ihr im Bezug auf die Leistungen in nichts nachsteht und auch noch aus einer wohlhabenden Arztfamilie kommt. Verärgert über ihren Konkurrenten, hegt Yukino auch noch ein Geheimnis, denn ihr Auftreten in der Schule ist lediglich eine Fassade, um das Lob ihres Umfeldes zu erhalten. Zuhause ist sie egoistisch und unordentlich, was dummerweise ausgerechnet Soichiro Arima herausfinden muss! Doch aus der Rivalität entsteht eine Freundschaft, die bald die Grenzen einer solchen überschreitet…

Zwei Musterschüler und ihre zwei Gesichter

In den ersten Episoden geht es ausschließlich um Yukino und Soichiro, höchstens die beiden jüngeren Schwestern von Yukino bekommen noch Screentime. Als Zuschauer erlebt man zunächst die beiden Seiten von Yukino, wobei dies oft mit witzigen Monologen unterstrichen wird. Während Yukino sich beispielsweise nett und gebildet gegenüber Soichiro gibt, hat sie in Wirklichkeit hinterhältige Gedanken, da sie ihn absolut nicht leiden kann. Doch auch von Soichiro erfährt man immer mehr, da beide Hauptfiguren viele innere Monologe führen. Dies gibt dem Anime trotz des Comedyfaktors eine melancholische Note. Ein wichtiger Faktor ist hierbei auch die Frage, welche Personen sich tatsächlich hinter den beiden Musterschülern verbergen. Denn auch Soichiro hat seine eigenen Probleme und führt nicht das perfekte, sorglose Leben, wie viele es glauben. Seine Eltern sind in Wirklichkeit seine Adoptiveltern, die ihn aufgezogen haben, da seine leiblichen Eltern Verbrecher sind und ihren Sohn misshandelt haben.  Die Beziehung von Yukino und Soichiro entwickelt sich langsam und glaubhaft, dennoch läuft die Serie nicht darauf hinaus, dass beide sich ihrer Gefühle füreinander erst in der letzten Episode bewusst werden. Stattdessen werden sie früh ein Paar und durchlaufen verschiedene Phasen und Entwicklungen in dieser ersten Beziehung.

Charaktere mit glaubhaften Problemen

Erst im späteren Verlauf geraten auch weitere Figuren in den Fokus, so wie z.B. ein guter Kumpel oder eine alte Freundin von Soichiro. Letztere trägt den Namen Tsubasa und ist heimlich schon lange in ihn verliebt. Deshalb schikaniert die kleingewachsene Oberschülerin Yukino zunächst, doch mit der Zeit werden die beiden so etwas wie Freundinnen. Tsubasa wird dabei nie als „wirkliche“ Rivalin vorgestellt, womit man auf dieses häufige Klischee des Genres verzichten darf. Für Yukino werden Tsubasa und deren Freundinnen zu ihren ersten engen sozialen Kontakten, da sie sich zuvor nie für andere Menschen interessiert hat. Dementsprechend entwickelt sich auch Yukino als einzelne Person weiter, genauso wie Soichiro. Auch bei den weiteren Figuren wird großer Wert auf deren Gefühle und Gedankengänge gelegt. Die inneren Monologe sind ein fester Bestandteil von Kare Kano und erinnern an die Gainax-Produktion Neon Genesis Evangelion, obwohl es sich um ein vollkommen anderes Genre und ein anderes Thema handelt. Die Figuren haben in diesem Kontext ihre privaten Probleme, die man auch im realen Leben vorfinden kann, sodass die Figuren greifbarer werden. So heiratet Tsubasas Vater erneut, womit diese nur sehr schwer umgehen kann, da sie ihr ganzes Leben lang allein mit ihrem Vater gewesen ist. Diese Thematik wird in eigenen Folgen ausführlich behandelt und Tsubasa lernt, die neue Frau an der Seite ihres Vaters zu akzeptieren. Zudem bekommt sie einen Stiefbruder, der sie durch sein rockiges Auftreten erst irritiert, doch danach werden sie gute Freunde.

Keine Grimasse ist zu abgedreht

Originaltitel Kareshi Kanojo no Jijou
Jahr 1998
Episoden 26 Episoden (1 Staffel)
Genre Romanze, Comedy, Drama
Regisseur Hideaki Anno, Kazuya Tsurumaki
Studio Gainax, J.C. Staff

Eines der Hauptelemente von Kare Kano ist der Humor. Wobei keine Grimasse zu abgedreht ist und die Situationen gekonnt überzogen dargestellt werden. Dies zieht sich durch alle Episoden, dennoch gelingt der Wechsel zu ernsteren Tönen problemlos. Auch die Charaktere wirken auf den ersten Blick einfach gestrickt, es gibt z.B. die extrem jung aussehende Oberschülerin, das burschikose Mädchen mit kurzen Haaren und den Frauenschwarm. Schnell werden diese Charaktere aber sympathisch und zeigen, dass sie charakterlich mehr Ecken und Kanten besitzen. Neben dem Humor und den inneren Monologen kommen auch reale Bilder stellenweise als Stilmittel zum Einsatz. Eine Folge ist sogar komplett so produziert worden, dass die Charaktere nur als bemalte Papierfiguren auftreten. Zudem werden einige Szenen und Situationen in Mangaform dargestellt, wobei insgesamt sowieso häufig die Schrift anstelle von Worten zum Einsatz kommt. Dies verleiht dem Anime eine weitere Einzigartigkeit, allerdings muss man auch mit sehr vielen Rückblenden rechnen. Besonders in der zweiten Hälfte der Serie werden diese ärgerlich, da wirklich die gesamte Handlung wiederholt wird und sogar zwei Episoden nur auf eine solche Wiederholung verwendet werden. Allgemein nimmt die Qualität mit zunehmender Episodenzahl ab, was auch an dem Wechsel der Produzenten liegen kann, denn Regisseur Hideaki Anno verließ das Projekt aufgrund von Unstimmigkeiten noch vor dessen Vervollständigung. Womit der Zuschauer ebenfalls rechnen muss, ist die Tatsache, dass der Anime kein wirklich abschließendes Ende findet, da nur die ersten acht Bände des Mangas umgesetzt werden. So bekommt man das Theaterstück von Yukino und ihren Freunden nicht mehr zu sehen und die letzte Folge endet mit der Erkenntnis des Charakters Takefumi, dass er Tsubaki liebt.

Der Charme der 90er

Obwohl der Anime 2018 bereits zwei Jahrzehnte hinter sich hat und man ihm dies auch ansieht, büßt er nichts von seinem Charme ein. Das Bild ist für das Alter zufriedenstellend, wobei die typische grobe Körnung und dezentes Wackeln des Bildes natürlich dazu gehören. Der Soundtrack von Shiro Sagisu wird dabei Kennern des Films Evangelion 2.22 – You can (not) advance mehr als bekannt vorkommen, da der schöne Soundtrack von Kare Kano darin Verwendung findet. Die deutsche Synchronisation ist passend, wobei einige westliche Übersetzungen nicht einheitlich sind. So handelt es sich bei Yukinos Oberschule meist um eine Highschool, aber manchmal wird daraus plötzlich ein Gymnasium. Beides ist genau genommen nicht unbedingt korrekt, aber hier wäre ein einheitlicher Begriff schön gewesen. Die Komplettbox von Nipponart beinhaltet die 26 Episoden des Animes auf 5 Disks, die alle stabil ihren eigenen Platz haben, während die Box selbst mit viel Artwork verziert ist. Auf den Disks findet man Bonusmaterial wie Interviews, wobei außerhalb dessen noch ein Poster und ein Sticker in der Größe einer Postkarte geboten werden.

Meine Erwartungen an Kare Kano waren nicht besonders hoch, da ich Shoujo-Romanzen zwar manchmal ganz nett, aber meist als nicht weiter spannend empfinde. Anders ist es hier, denn der Anime bietet wirklich keine gewöhnliche Liebesgeschichte. Die Charaktere sind einfach sehr interessant und mehrdimensional gestaltet, was vor allem an den vielen Monologen liegt. Die Probleme wirken nicht zu abstrakt, sondern scheinen oft so natürlich, dass sie auch im echten Leben auftreten könnten. Mir gefallen aber auch besonders die vielen Grimassen und witzigen Elemente der Serie, da ich bei vielen Episoden wirklich lachen muss. Mit Yukino hat man ein gewöhnliches Mädchen, das eben durch ihren Ehrgeiz aus der Reihe tanzt. Das macht sie als Hauptfigur sympathisch und auch ihr Facettenspiel scheint nicht zu abwegig. Viele geben sich in der Öffentlichkeit anders als in den eigenen vier Wänden, wenn auch vielleicht nicht so extrem wie sie es tut. Ähnliches gilt für Soichiro, wobei es spannend ist, die Beziehung der beiden zu verfolgen, da sie trotz ihrer guten Leistungen sehr unterschiedliche Persönlichkeiten sind. In jedem Falle hat mich der Anime sehr gut unterhalten können und trotz dessen, dass eine Liebesgeschichte erzählt wird, kommen auch andere Problematiken vor und sorgen so für ein abwechslungsreiches Gesamtbild. Wer also keine Allergie gegen Romanzen hat und mit dem Stil klarkommt, sollte sich den Anime nicht entgehen lassen, vor allem nachdem man nun die gesamte Serie auf einen Schlag erwerben kann.

Zweite Meinung:

Kare Kano habe ich schon 2013 für mich entdeckt. Ich wurde so positiv von der Serie überrascht, sodass ich mir sogar den (mittlerweile) vergriffenen Manga von Carlsen Manga komplett gekauft habe, um zu wissen, wie es weitergeht. Bevor ich den Anime anfing, hatte ich keine großen Erwartungen gehabt, da ich nur eine Shoujo-Serie wie jede andere erwartete. Doch Kare Kano ist weitaus mehr. Das fängt schon damit an, dass in der Serie stark auf Empfindungen und die Gedankengänge der Charaktere Wert gelegt wird. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sowas in anderen Animes so stark vorkommt, daher geht hier ein klarer Pluspunkt an die Serie. Das Ganze wäre am ehesten noch mit Neon Genesis Evangelion vergleichbar. Im Anime werden auch echte Panels aus dem Manga benutzt, was schön anzusehen ist. Der erste Regisseur von Kare Kano ist ebenfalls Hideaki Anno (Neon Genesis Evangelion), daher ist hier sein Einfluss sehr schnell anzumerken. Leider verließ er nach Unstimmigkeiten mit der Mangaka das Projekt, daher stammen nur die ersten 18 Folgen von ihm. Nachdem Anno das Projekt hinter sich ließ, ist auch der Anime schwächer geworden, was schade ist. Trotzdem ist die Serie gut gelungen und ich würde mir heutzutage ein Reboot von Kare Kano wünschen, der den kompletten Manga umsetzt. Der Anime von 1998 setzt nämlich nur die ersten acht von 21 Bänden um. Im späteren Verlauf wird die Serie noch richtig düster und ziemlich spannend, was man im Anime nicht mehr sieht. Es ist wirklich unglaublich, wie sehr mich diese Serie mitgerissen hat. Der Charakter Soichiro Arima verbirgt eine Dunkelheit und eine so tiefe Traurigkeit im Herzen, welche erst im Manga voll ans Tageslicht kommt. Im Anime gibt es die ersten Anzeichen dafür, denn Arima ist nicht so gelassen, wie er tut und kann ziemlich eifersüchtig werden, wenn es um Yukino geht. Arima ist wirklich so ein Charakter, bei dem ich mir die ganze Zeit nur noch gewünscht habe, dass er eines Tages glücklich wird. Was mir besonders gut an den Charakteren gefällt, ist, dass sie sich perfekt ergänzen und sich immer mit Rat und Tat zur Seite stehen. Das macht besonders Yukino für mich sympathisch und sie gehört auch zu meinen Lieblingscharakteren. Die Serie ist aber auch etwas für die Ohren. Der Soundtrack von Shiro Sagisu (Magi: The Labyrinth of Magic) schafft eine einzigartige Atmosphäre. Der wundervolle Soundtrack von Kare Kano wurde auch im Film Neon Genesis Evangelion 2.22 benutzt, was ich sofort gemerkt habe. Was mir auch besonders gut gefällt, ist das Ending ”Yume No Naka e”, bei dem es sich um ein Duett von Yukino und Soichiro handelt. Der Anime ist nicht perfekt, dafür wurde gegen Ende zuviel Zeit mit Rückblenden vergeudet und der Schluss ist auch nicht so das Wahre, wodurch dann auch Potenzial verschwendet wurde. Von mir gibt es aber eine ganz klare Empfehlung, denn die Serie ist wirklich schön, auch wenn sie ihre Schwächen hat.

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Ayla

Ayla ist Schülerin und beschäftigt sich hobbymäßig mit allen möglichen Medien, ohne dabei Beschränkungen zu kennen. Dennoch ist sie vor allem ein Serien- & Game-Junkie und liebt besonders actionreiche und dramatische Inhalte, wobei sie gleichzeitig für viele kindliche Themen zu haben ist, weshalb sie weiterhin großer Disney-Fan ist. Abseits ihrer Leidenschaft des Sammelns ihrer Lieblingsmedien schreibt Ayla gerne selbst Geschichten oder zeichnet Bilder, um sich so zu entspannen.

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