Night is Short, Walk on Girl
War Regisseur Masaaki Yuasa (The Tatami Galaxy sowie Mind Game) zuvor im Westen noch weitgehend unbekannt, so hat er sich 2018 mit der Netflix-Produktion Devilman: Crybaby einen Namen fürs breite Publikum gemacht. Am 28. September desselben Jahres führte Kazé Anime den Film Night is Short, Walk on Girl in Deuschland erstmalig in den Kazé Anime Nights vor und veröffentlichte schließlich den geistigen Nachfolger von The Tatami Galaxy am 25. Januar 2019 auch für die Heimkinos.
Eine Gruppe Studenten geht nach einer Feier noch etwas trinken. Unter ihnen auch das unbenannte “schwarzhaarige Mädchen” im zweiten Jahr der Uni, das begierig ist, das “Leben der Erwachsenen” zu erfahren. Trinkfest, energiereich, optimistisch und neugierig treibt es sie von einer Begegnung zur nächsten. Währenddessen versucht ihr Senior, der ebenso unbenannte “Senpai”, “zufällig”-schicksalhafte Begegnungen einzufädeln, um ihr Herz zu erobern. Herzen zu gewinnen versuchen auch andere auf recht unorthodoxe Weise und da ist dann noch die Campus-Polizei, die versucht Ordnung zu bewahren. Doch mit einigem Alkohol intus driftet so manches in der Nacht ins Surreale…
Frenetisch-feuchtfröhlich durch ein nächtliches Kyoto
Originaltitel | Yoru wa Mijikashi Arukeyo Otome |
Jahr | 2017 |
Laufzeit | 93 Minuten |
Genre | Comedy, Romanze, Slice of Life |
Regisseur | Masaaki Yuasa |
Studio | Science Saru |
Der Film beginnt bereits mit vielen angetrunken Figuren und es wird im weiteren Verlauf noch ordentlich nachgefüllt. Mehr noch, das “Mädchen” (die einzig trinkfeste Figur) zieht zum Ende des Films nochmal durch die Stadt als Quasi-Krankenpflegerin und eine Flasche Junpero-Gin wird als “Medizin für die Erkältungen, die nicht besser werden” gehandelt. Auf irgendeine Art besoffen ist im Film so ziemlich jeder. Seien sie puterrot vor Alkohol oder trunken von Liebe, Leidenschaft oder grenzenlosem Optimismus. Einen Moralhammer in Bezug auf verantwortungsvollen Konsum von Alkohol wird man hier nicht finden. Als indirekte Kritik dürfte man am ehesten die klare Überzeichnung seiner Wirkung sehen: Totale Verrücktheit, Verzerrung der Realität und am Ende knockt es nahezu alle aus (ein Erkältungserreger hilft zusätzlich nach). So fragwürdig der Einsatz von Alkohol als Realitätsflucht im Film notorisch verwendet wird, sind die Gründe für den Konsum erstaunlich bodenständig: Den einen hat sein langes Leben und die düstere Realität verbittert, den nächsten bleibt ihre große Liebe verschmäht und andere versuchen einfach nur vor ihrer im Alter schneller tickenden Uhr zu fliehen. Aber vor allem spiegelt der Alkohol hier wohl das wieder, was das “Mädchen” sich zu Beginn erhofft zu lernen: Das japanische Erwachsenenleben. Ins Glas schauen und dabei mentale (oder auch tatsächliche) Hüllen fallen zu lassen bindet Menschen angeblich stärker aneinander. Die Teilnahme an Trinkgesellschaften namens Nomikai, ist daher nicht nur gang und gäbe, sondern gar eine soziale Pflicht.
Alles ist irgendwie verbunden
Der Verlauf der Dinge erscheint auf den ersten Blick sehr willkürlich bis vollkommen sinnfrei (ein Charakter weigert sich seit einem Jahr die Unterwäsche zu wechseln, ehe er seine große Flamme wieder trifft). Und doch sind alle Figuren und Handlungspunkte in bester Kleine-Welt-Phänomen-Manier irgendwie direkt oder indirekt miteinander verbunden. Die zentralen Knotenpunkte müssen nicht einmal Hauptrollen einnehmen, wie der alte Rihaku: Er ist es, der die erotischen Bilder von Todo (dessen Tochter die Flamme eines Teilnehmers der Party zu Beginn ist) in Auftrag gibt, die später mit Alkohol verschmutzt werden, weswegen das “Mädchen” ihn zu einem Trinkwettbewerb herausfordert. Er ist genauso der, der das Buch Ratatatam hat, das “Senpai” versucht zu bekommen, um dem “Mädchen” eine Freude zu bereiten. Hinter dem Buch ist wiederum auch Higuchi her, der die wertvolleren Bücher vom Gebrauchtmarkt hortet, um Geld zu machen (was dem Gebraucht-Buchmarkt und dessen “Gott”, den das “Mädchen” auf ihrer Suche nach dem Ratatatam Buch trifft, gar nicht gefällt). Higuchi sitzt meist mit dem entschlossenen Unterwäsche-Nicht-Wechsler beisammen, der eine Guerilla-Festival-Oper schreibt, um seine erste Liebe wieder zu finden, zu der es das “Mädchen” auch noch verschlägt. Derweil wird die wandernde Oper von den Ordnungshütern des Campuses verfolgt, dessen Anführer der Freund von “Senpai” ist. Sinnbildlich wird das Netz an Verbindungen direkt angesprochen über Bücher, deren Existenz durch ein Netz an Autoren und deren Inspirationen bedingt ist. Derweil gibt es noch das Daruma-Motiv. Einerseits springt so ein Glücksbringer von einem Ort zum nächsten, andererseits ist es auch das Icon der Guerilla-Oper. Mit diversen Cameos, u.a. auch zu Lu Over the Wall (Kazé Anime, August 2019), das in Japan einen Monat nach Night is Short, Walk on Girl seinen Kinostart hatte, bietet diese Welt noch andere Verbindungen, die lediglich nicht in diesem Film erzählt werden.
Das nicht so wirklich versteckte Tatami Galaxy Spin-off
Handlungstechnisch passiert eigentlich gar nicht so furchtbar viel in Night is Short, Walk on Girl (im Grunde genommen wird vor allem gesoffen), aber durch die farbenfrohen, visuellen Spielchen wird es zu keiner Sekunde langweilig. Hierbei tritt es stilistisch weniger in die Fußstapfen des eher gezähmten Devilman: Crybaby, sondern mehr in die von The Tatami Galaxy (2012, erschienen bei Beez auf DVD). Beide Titel sind in ihrer Handlung unabhängig voneinander. Den gleichen Uni-Campus in Kyoto teilen sie sich aber und es treten sogar diverse Nebenfiguren, wie Higuchi und Ryoko, wieder auf und das Signatur-Stichwort “rosarotes Campusleben” findet eine prominente Erwähnung. Wer sich von The Tatami Galaxy und dessen Reizüberflutung bereits überfordert fühlt, sollte allerdings nicht erwarten, dass es bei Night is Short, Walk on Girl viel anders wird: Der Regisseur ist wieder Masaaki Yuasa, die Vorlage ist wieder ein Roman von Tomihiko Morimi, das Charakterdesign entspringt der Feder von Pop-Art Künstler Yusuke Nakamura, die Musik stammt von Michiru Oshima und der Band Asian Kung-Fu Generation und auch im sonstigen Staff zu Animationen und Screenplay finden sich etliche Namen wieder. Die Dialoge sind erneut schnell und zahlreich, wenngleich einen guten Zacken weniger halsbrecherisch. Dafür ist das Tempo von Bild und Ton im Vergleich zu The Tatami Galaxy gar noch eine Spur hochgedreht und hat vor allem gegen Ende nicht wenig psychedelische Einlagen. Dass Night is Short, Walk on Girl im Gegensatz zu The Tatami Galaxy eine deutsche Vertonung hat, ist definitiv hilfreich. Thematisch sind beide Titel auch wieder miteinander verwandt: The Tatami Galaxy verwandelt “roten Faden des Schicksals” zynisch zu einem “schwarzen Faden des Schicksals”. In Night is Short, Walk on Girl bleibt er rot und geht darüber hinaus auch noch mehr auf andere nicht zwingend romantisch-bedingte Beziehungen und Begegnungen ein.
Fazit
Da ich von The Tatami Galaxy angetan bin, war der Griff zum Film selbstverständlich. Da Masaaki Yuasa damit bereits sieben Jahre früher alles vorgemacht hat, kann man Night is Short, Walk on Girl diesmal zwar nicht die große Innovation zusprechen, aber weil es sich offensichtlich um einen geistigen Nachfolger handelt, wirkt es ebenso keinesfalls wie ein Eigen-Plagiat. Dass es sogar ein direktes Spin Off ist, aber trotzdem alleine steht hat mich glatt noch mehr positiv überrascht. (Auch wenn die Ozu-Referenz ein wenig verwirrend ist.) Als absoluter Nicht-Trinker, der umkippt, bevor es überhaupt zur Trunkenheit kommt, habe ich allerdings zugegebenermaßen so meine Schwierigkeiten einiges in dem Film nachzufühlen. Der besoffene Gesang war da eher anstrengend. Schließlich ist der Film im Grunde ein einziger Rausch einer für die einen kurzen, für die anderen langen Nacht. Umso mehr schillert für mich da die audio-visuelle Präsentation, die mich im Alleingang zu überzeugen weiß. Durch die vorhandene deutsche Vertonung und weniger zahlreiche visuelle Spielchen mit japanischer Schrift im Bild, kann ich diesen Film deutlich weniger reserviert weiterempfehlen. Doch bleibt die Warnung unterm Strich die gleiche: Der Film ist nicht für jeden etwas. Wer bei Yuasas idiosynkratischem Regie- und Animationsstil eher abschaltet, sollte es lieber bei dem weniger temporeichen und zurückhaltende Devilman: Crybaby belassen.
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Ich wusste schon vorab, dass “Night is Short, Walk on Girl” und ich keine Freunde werden würden. Dafür tu ich mich einfach zu schwer mit Serien, die stellenweise so surreal gestaltet sind. Was mich dann schließlich doch dazu hinriss, mir den Film anzusehen? Einerseits die Verfügbarkeit auf Anime-on-Demand, andererseits finde ich die Prämisse großartig, dass die gesamte Handlung mehr oder minder am Stück spielt. Mag das sehr, wenn sich eine Handlung nur auf einen kurzen Zeitraum wie eine Nacht bezieht und sich nicht über mehrere Tage hinweg durchzieht. Soweit, so gut. Die ersten 20 Minuten verliefen dann auch ganz in Ordnung, bis mich der Film zunehmend nervte. Erstmal finde ich zum Kotzen, dass Alkohol hier wieder so sonderbar behandelt wird, als sei es das Außergewöhnlichste der Welt. Natürlich passiert das alles aus der Perspektive eines Mädchens, aber alleine schon wenn dann Alkoholtrinken als “Hobby” dargestellt wird… wer zum Henker hat das zum Hobby? Mich stört, dass der Film einerseits ein wirklich gutes Thema (das Gesellschaftstrinken) anspricht, nur der Umgang mit Alkohol dann selbst, ist einfach alles andere als bodenständig. Da fällt mir ein: Verblüfft war ich über einen Betrunkenen, der das Mädchen in ein kurzes Gespräch verwickelt, in dem es um Nähe und Distanz einer Beziehung geht. Obwohl ich eine gegenteilige Position vertrete, stecken darin spannende und erstaunlich gute Denkansätze, die ich hier sehr gut integriert finde. Leider dann auch der einzige Anflug von Tiefgang.
Der folgende Trip spricht mich nicht an. Die ewig ausgenudelten Witze von “Don Unterhose” (wie er im Deutschen genannt wird). Der Witz ist weder komisch, noch macht er die Figur spannender. Es ist einfach sonderbar, auf eine nervige und negative Weise. Den Rest gegeben hat mir dann der Singsang der illegalen Theateraufführungen. Puh, also ist schon hart an der Grenze.
Mehr als wohlwollend zu sagen, dass man mal etwas Neues zeigen wollte und dass die Ausgangssituation meinen Geschmack trifft, kann ich leider nicht.