Time of Eve
Wie wandelt sich eine Gesellschaft, wenn nahezu jeder in ihr mit einem Androiden im Haushalt lebt? Androiden sind praktische Werkzeuge für den Menschen. Doch wer behauptet, dass hinter ihren Handlungen nicht ganz andere Beweggründe stecken könnten, als nur dem Menschen zu dienen? Androiden sehen Menschen sehr ähnlich, doch ist ihr Innenleben ein ganz anderes. Aber ist es denn so viel anders als bei den Menschen? In Time of Eve dreht es sich um diese Fragen, in einem Science Fiction Alltag einer wohl gar nicht mal so fernen Zukunft.
In der Zukunft, wahrscheinlich in Japan, gehören Roboter schon lange zum Alltag. Seit einiger Zeit nun auch Androide, humanoide Roboter des Typs “Code:Life”. Auf den ersten Blick unterscheiden sie sich kaum von Menschen. Um sie als Roboter zu markieren, haben sie nur eingeschränkt menschliche Ausdrucksmöglichkeiten und tragen stehts einen Holo Lichtring über dem Kopf. Sammy ist eine dieser Androiden, doch sie verschwindet ab und an. Als Rikuo, der Sohn ihrer Besitzerfamilie, daraufhin ihren Aktivitätslog untersucht, entdeckt er in Begleitung seines Freundes Masaki das Café “Time of Eve”. Betrieben wird es von der charismatischen Nagi, die für ihr Café eine besondere Hausregel gesetzt hat: Es findet keine Unterscheidung zwischen Roboter und Mensch statt. Die beiden Jungen merken nun am eigenem Leib, wie schwer es sein kann Menschen von Androiden zu unterscheiden, wenn diese sich wie Menschen geben und ihren Ring abstellen…
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Alle mögen glücklich werden. Das ist der Dreh- und Angelpunkt von Time of Eve. Um das zu erreichen, muss man aufeinander offen zugehen und willig sein, etwas über den anderen zu lernen. Auch wenn es die Grenze zwischen Mensch und Maschine übertreten sollte. Darin befindet sich auch die Stärke dieses Titels, bei dem es sich vor allem um das Genre Slice of Life handelt: Hier werden keine Gesellschaftsstrukturen umgeworfen, keine actiongeladenen Revolutionen durchgeführt, keine Terroranschläge oder einschneidende Vorfälle gezeigt, bei dem das Leben einer Hauptfigur komplett auf dem Kopf gestellt wird oder er gar seinen Platz in der Gesellschaft verliert. Rikuo ist ein Schuljunge mit einigen Komplexen und Problemen. Er hat seinen Platz in der Gesellschaft, ist kein Ausgestoßener oder hegt bewusste oder unbewusste Missgunst ihr gegenüber. Einfach ein Junge, der seinem friedlichem Alltag nachgeht. So wie ihm, geht es allen anderen auch. Menschen wie Androiden. Time of Eve ist eine Reihe von Kurzgeschichten, die durch Rikuo als Café Eve besuchende Hauptfigur zusammengehalten wird. Es sind Ausschnitte aus Alltagsgeschichten einer Welt, in der sich überall viel bewegt, aber bei der die Beteiligten nicht viel aktives Zutun haben. Doch genau das macht auch die Realität aus, die ein Konglomerat unendlich vieler Einzelgeschichten ist.
Verschiedene Veröffentlichungsformate
Time of Eve erschien erstmalig im Jahr 2008 als 6-teiliger Webanime (ONA; Original Net Animation). Zwei Jahre später wurden die Episoden für eine Kinoveröffentlichung mit neuen Szenen zu einem Film editiert. Die sechs Folgen konzentrieren sich inhaltlich auf die auftretenden Figuren und deren Motivationen. Erst am Ende der letzten Folge gibt es, mit einem kurzen Auftritt der Wissenschaftlerin Aomori, sowie einer Referenz auf Nagis Vergangenheit, einen klaren Ausblick darauf, dass in der Welt hinter den Kulissen noch viel mehr passiert, als das, was die wohlwollenden Besucher des Cafés repräsentieren. Mit dem Film entsteht eine äußere Rahmenhandlung, die diesen Ausblick direkt an den Anfang bringt. Die Reihe an Einzelgeschichten, die sich mit Rikuo verbinden lassen, werden in einen größeren Kontext um Nagi herum eingebettet. All die Ereignisse um Rikuo, entpuppen sich nur als Ausschnitt der Erfahrungen, die Nagi in mehreren Eve Café Iterationen durchlebt hat. Das größere Ganze bekommt in der Filmversion ein detailliertes Bild und erklärt auch, wie Nagis Café überhaupt funktionieren kann, obwohl es internationale Robotergesetze zur Unterscheidung zwischen Mensch und Roboter bricht. Doch nimmt das erweiterte Bild auch ein wenig vom Reiz der Kurzgeschichten weg. Weg fällt die Unbestimmtheit, ob die Androiden ihre Emotionen durch eigene Evolution hervorgebildet haben. Denn sie sind das Werk des genialen Wissenschaftlers Shiotsuki. Es sind nicht mehr Alltagsgeschichten, die jedem passieren könnten, wenn er nur die Augen aufmacht und auf die Androiden offen zugeht. Es sind nun Geschichten, die nur möglich sind, wenn Shiotsuki oder die von ihm aufgezogene Nagi ein Signal aussendet, welches die nachträglich eingebauten Emotionsrestriktionen außer Kraft setzt. Da es sich bei Sammy, um einen ursprünglich sehr menschlichen Androiden des Typs Code:Eve von Shiotsuki handelt, dessen abgedämpfte Programmroutinen der Programmkern aller modernen Androiden unter Code:Life ist, macht sie zu etwas besonderen. Auch Rikuo ist dadurch keine repräsentative Allerweltsperson mehr, sondern belegt als Sohn eines von Aomoris Mitarbeitern nun eine Stelle nahe den Drahtziehern der Welt. Ähnlich wie sein Freund Masaki der Sohn einer leitenden Persönlichkeit der Ethikkommision ist. Dieser Strudel würde ihn wohl auch in Zukunft noch mitreißen, wie Rikuo am Ende des Filmes andeutet: Das war nur der Anfang für ihn und vieles mehr würde danach noch passieren. Aber das ist eine andere Geschichte – die allen Teasern zum Trotz leider einfach nicht erzählt wird. Und nach Jahren sieht es auch nicht danach aus, dass alsbald noch eine Fortsetzung entsteht, in der dies passiert.
Bodenständig und bedachte Präsentation
Originaltitel | Eve no Jikan |
Jahr | 2008 – 2009 |
Episoden | 6 |
Genre | Science-Fiction, Slice of Life |
Regisseur | Yasuhiro Yoshiura |
Studio | Studio Rikka |
Die Hintergründe von Time of Eve bestehen vor allem aus sorgfältig gestalteten 3D-Umgebungen, die aber gut mit den 2D-Zeichnungen harmonieren. Ohne eine aufreizende Moralkeule zu schwingen, wird dem Zuschauer die gesellschaftliche Androidenbehandlung gezeigt, wie sie auch von den in der Welt lebenden Menschen erlebt wird. Sei es ein “No Robots”-Schild vor Läden, die Werbung der Ethikkommission oder wie ein Mädchen aus Rikuos Klasse im Off von anderen Klassenkameradinnen gehänselt wird, weil sie zu ihrem Androiden “Danke” sagt. Optisch ist das Eve Café ein sympatischer Ort, eingetaucht in warmen gelblichem Lampenlicht, während die Welt draußen entweder in einem grauem Schatten steht oder im Sonnenlicht ausbleicht. Vielleicht ist das blanker Zufall, entstanden durch die 3D-Effekte, aber es passt gut dazu, dass die Welt außerhalb des Cafés klare Schwarz-weiß-Abgrenzungen hat. Geradezu Signatur ist auch die Art Kamerafahrt, die gerne aus einer Szene rauszoomt und diese in einem erweitertem Kontext präsentiert. Das passt sehr gut dazu, dass die Geschichten der anderen Eve Besucher Ausschnitte aus Rikuos Leben sind, welcher wiederum ein Ausschnitt aus Nagis Leben ist. Die Animationen sind an einigen Stellen leicht hölzern und in dem einen oder anderen Frame verlieren Figuren ab einer gewissen Entfernung ihre Gesichter, doch ist die Optik auch nach heutigem Standard noch durchwegs gut anzusehen. Besonders hervorstechend sind die Szenen mit humoristischen Aspekten, in der sich Soundregie sehr gut mit Bild und vor allem dem Schnitt ergänzen. Dessen Höhepunkt findet sich in Katorans Geschichte, doch sind solche Momente auch durchweg im Film zu finden.
Eine Indie-Erfolgsstory
Eine der federführenden Personen zur Entstehung von Time of Eve ist ein gewisser Tom Nagae der Produktionsfirma Directions, Inc., der selbst in der Indie-Szene als jemand gilt, der abseits ausgetretener Pfade Wege bahnt, um junge Talente zu fördern. Zu seinen jüngsten Produktionen gehören die Horror Titel Yami Shibai: Japanese Ghost Stories und Kagewani. International am bekanntesten dürfte von seinen Werken aber sicherlich Time of Eve sein. Regisseur Yasuhiro Yoshiura wurde von ihm noch während der dessen Studienzeit entdeckt. Yoshiuras Eigenproduktion Aquatic Language gewann den “Excellent Work Award” der Tokyo International Anime Fair 2003. In Zusammenarbeit zwischen Yoshiura und Nagae entstand 2006 zunächst der Kurzfilm Pale Cooon, das 2006 den SAPPORO Short Fest ’06 Award für das beste Originaldrehbuch gewann. Noch im gleichem Jahr wurde mit der Konzeption von Time of Eve begonnen, das 2008 als Webstream veröffentlicht wurde. 2009 gehörte Time of Eve zu einem der ersten Katalogtitel von Crunchyroll, einer der heute führenden legalen Anime Streaming Plattformen. Im Jahr 2010 gewann Time of Eve den “Original Video Animation Category Excellence Award” und im gleichen Jahr erschien die Filmfassung. Da man die Rechte an dem Material nicht für Jahre aus den Händen geben wollte, wurde im Jahr darauf von Ann Tomoko Yamamoto, einer damaligen Mitarbeiterin von Directions Inc. die Firma Pied Piper, inc. für die internationale Vermarktung und Vertrieb der ONA Version gegründet. Diese Firma sollte 2013 die erfolgreich finanzierte Kickstarter-Kampagne für eine internationale Heimveröffentlichung der bis dato dem japanischen Markt vorbehaltenen Kino Fassung von Time of Eve und die darauffolgende Kickstarter-Kampagne der Animeserie Skip Beat! produzieren und damit beweisen, dass Crowdfounding auch für Anime ein Finanzierungskonzept ist. Binnen 24 Stunden erreichte die Time of Eve-Kampagne ihr Finanzierungsziel von 18.000 US-Dollar und auch das Stretch Goal von 50.000 US-Dollar wurde binnen 60 Stunden finanziert. Als die Kampagne endete, hatte das Release eine Finanzierung von 215.000 US-Dollar – mehr als das zwölffache des initialen Finanzierungsziels. Das internationale Release enthält neben englischer Synchronisation auch deutsche Untertitel und zahlreiche Bonus-Features, unter anderem den Soundtrack, Video Material zur Entstehung, wie auch die beiden Kurzfilme Aquatic Language und Pale Cooon, die thematisch als Prototyp zu Time of Eve gewertet werden können.
Thematisch erfindet Time of Eve das Science-Fiction-Rad in Hinblick auf Androiden und Roboter keinesfalls neu. Selbst unter den in Deutschland veröffentlichten japanischen Produktionen befindet sich der einige Jahre zuvor erschienene Mangabestseller Chobits aus der Feder des Zeichnerquarttet Clamps samt dessen Anime-Adaption. Der dortige fiktive gesellschaftliche Schauplatz mutet auf den ersten Blick schier identisch zu Time of Eve an. Und doch fühlt sich letzteres so viel alltäglicher und authentischer an. Als Time of Eve angekündigt wurde, habe ich als Pale Cocoon-Fan der Veröffentlichung zwar enthusiastisch entgegen gefiebert, doch fand ich den Titel erst einmal nur grundlegend gut gemacht. So richtig beeindruckt und nachhaltig zum Nachdenken gebracht hat er mich erst im Jahr darauf, als ich eine Dokumentation über den japanischen Roboter Asimov gesehen habe. Japaner verbeugen sich zum Gruß und einer der dort interviewten Wissenschaftler hat das Kredo dies auch vor dem Roboter zu tun. Denn man könne nicht wissen, ob nicht mehr hinter dem Roboter steckt, als er bislang imstande ist auszudrücken und falls da etwas sei, dann möchte er dem mit aller Höflichkeit und Wertschätzung begegnen. Es wirkt exzentrisch. Doch plötzlich wurde aus den Themen von Time of Eve etwas, das sich nicht einfach bloß nachvollziehbar authentisch anfühlt. Es wurde real. Noch immer ist Time of Eve kein absoluter Lieblingsfilm von mir. Doch wenn ich auf die letzte Dekade zurückblicke, hat dieser Titel und das Drumherum unwillkürlich, ja, fast schon prophetische Meilensteine in meinem Leben hinterlassen: Die ONA-Version erschien zu meinem Studienbeginn; vier Semester später sollte es sich ergeben, dass ich in der Vertiefung “Verteilte Künstliche Intelligenz” und Robotik saß. Die Japanische Special Edition der Filmfassung war die erste Blu-ray überhaupt, die ich mir je gekauft habe und hat meinen bis dato nicht wirklich ausgeprägten Sammeltrieb mit entfacht. Durch Time of Eve bin ich in den Genuss dazu gekommen, hinter den Kulissen an einer tatsächlichen kommerziellen Produktion mitwirken zu können. Zwar nur Kleinigkeiten, doch brachte es die Erfahrung, dass man auch ohne großartiges Talent oder entsprechende Fachausbildung mit eigenen Händen etwas kreativ erschaffen kann, das später in den Händen nicht weniger Menschen einen greifbaren Wert besitzen würde. Die Gewissheit, dass das alles gar nicht so schwer und unerreichbar ist. Man muss es einfach nur tun.