Vampire in the Garden

Unverschämtheit! Wie etliche Dystopien beweisen, ist die Menschheit sehr wohl selbst in der Lage, sich in den Untergang zu treiben und sprungbereit am Abgrund stehende Gesellschaften aufzubauen. Da braucht es keine vampirische Bedrohung oder einen erbitterten Kampf ums Überleben gegen fangzähnige Blutsauger im Adelskostüm, für die jeder Hals aussieht wie ein frisch gepflückter Apfel. Die weißhaarigen Venenwilderer aus Vampire in the Garden, die von Wit Studio geschaffen und im Mai 2022 exklusiv auf Netflix aus dem Sarg gestiegen sind, vertreten da allerdings eine andere Meinung und liegen schon lange im Krieg mit den laufenden Blutsäcken. Ein Umstand, der an beiden Gesellschaften nicht spurlos vorüber gegangen ist, und der eine düstere Welt geschaffen hat, in der Azubi-Soldatin Momo ihren Platz sucht und ihn ausgerechnet in der Nähe der Vampirkönigin Fine zu finden scheint. Wartet hier ein vor Herzblut triefendes Drama oder leichenblasses Vampir-Fantasy-Gebummel?

   

In einer halbwegs fernen winterlichen Zukunft hat die Menschheit es sich mit den Vampiren gründlich verscherzt, die sie in einen lange währenden und verständlicherweise blutigen Kampf ums Überleben getrieben haben. Während sich die Warmblütler in Städten aus (Scheinwerfer-)Licht verschanzen und bleigefüllte Racheaktionen am Tag führen, tanzen die leichenblassen Adelsimitatoren durch ihre Ballsäle und schwenken theatralisch verdächtig rot schimmernde Weingläser. Aber trotz aller Dekadenz ist auch an den Vampiren der Konflikt nicht spurlos vorübergegangen und der zermürbende Krieg dauert weiter an. Mittendrin findet sich die frisch gebackene Soldatin und von mütterlicher Kommandantinnenhand vorangeschubste Momo, die ihr Bestes gibt, um der Belastung durch die gesang- und tanzlose Welt voller blutiger Jagden und Entbehrungen standzuhalten. Aber ein rettender Anker in ihrem Leben bricht nach dem anderen Weg und treibt sie bei einem massiven Angriff der Vampire ausgerechnet in die Arme der Königin der flatternden Brut höchstselbst: Fine. Sie ist allerdings ebenfalls des Kämpfens, Trinkens und Hälsereißens müde und sehnt sich ähnlich wie Menschling Momo nach einem Paradies, in dem alle friedlich miteinander leben können.

(Zu) Volle Teller

Originaltitel Vampire in the Garden
Jahr 2022
Episoden 5 (in 1 Staffel)
Genre Dystopie, Dark Fantasy
Regie Ryoutarou Makihara
Studio Wit Studio
Veröffentlichung: 16. Mai 2022

Wie die Inhaltsangabe und die Einleitung andeutet, schaufelt sich Vampire in the Garden einiges interessantes aufs Tablett: dystopische Gesellschaft zwischen Vampir und Mensch, das Leben und Leiden von Protaginistin Momo, kriegerische Ambitionen der Mutter und ihrer Konsorten, die vom Krieg und Schicksal erschlaffte Fine, ganz zu schweigen von einem ebenfalls zentralen Thema: Musik. Oder vielmehr dem Fehlen eben jener in der menschlichen Hälfte der Gesellschaft. Das sieht nicht nur nach einem guten Mahl aus, die Atmosphäre stimmt ebenfalls, also könnte das Schlemmen beginnen, wäre da nicht eine winzi-binzi Kleinigkeit, die dem vorfreudigen Gast in die Kniekehlen tritt und den vollen Gang zu Boden poltern lässt, was auch langsam aber sicher die Metapher an den Rand ihrer Tragfähigkeit bringt. Der gravierende Punkt ist: Die Serie hat lediglich fünf Folgen zur Verfügung, in der sie ihre Geschichte zu erzählen versucht und auch wenn die Kritik ‚Es hätte mehr Zeit gebraucht!‘ mitunter etwas beliebig klingen kann, ist sie im Falle von Vampire in the Garden leider absolut angebracht. Die Etablierung der Welt, die emotionale Entwicklung der Figuren, alles muss letztlich in einem Tempo voranflattern, dass es regelrecht unmöglich macht einzelnen signifikanten Momenten den nötigen Biss zu geben. So ist es beispielsweise bezeichnend, dass ein zentrales oben genanntes Thema, das Fehlen der Musik, regelrecht untergeht und die Tragweite dieser Entwicklung gar nicht begreiflich machen kann. Und das obwohl es ein Hauptmotivator für Momo ist, aus der Gesellschaft auszubrechen oder vielmehr endgültig zusammenzubrechen, nachdem sie bei einer Vampirjagd eine dudelnde Spieluhr in die Finger bekommt. Immer wieder wird Musik als maßgebliches Bindeglied zwischen Fine und Momo gezeigt, aber die Geschichte schafft es nicht, dass es sich tatsächlich relevant oder bedeutsam anfühlt.

Keine Zeit! Keine Zeit!

Diese fehlende Bedeutsamkeit erstreckt sich auch auf andere Ebenen, wie die Beziehung zwischen Fine und Momo oder generell die Hintergrundgeschichte nahezu jeder einzelnen Nebenfigur. Wenn beispielsweise in einer späteren Folge verdeutlicht werden soll, wie das Mensch-Fledermaus-Duo zusammenwächst und das mit einer Roadtrip-Montage passiert, die ein paar High- und Lowlights ihrer Reise beleuchtet, wünscht man sich, dass es nicht bei den kurzen Schnipseln bleibt, sondern tatsächlich ganze Folgen da gewesen wären, die ihr Zusammenleben schildern. Stattdessen bleibt es bei der groben Ahnung und den wenigen Szenen, die sie gemeinsam bekommen, sich allerdings etwas bemüht anfühlen, um so schnell es geht, eine emotionale Bindung zu suggerieren, damit genau an der wiederum geknabbert werden kann. Die anderen Charaktere wie Vampir- und Königinnenaufpasser Aleggro oder der Schwerter statt Kanonen zum Kampf bringende Onkel von Momo haben den noch kürzeren Strohhalm gezogen und bekommen lediglich ein paar Winz-Flashbacks spendiert, um anzudeuten, was noch alles in ihrem Profil stand.

Ende ohne Schrecken

All das klingt vernichtend, aber besonders schade ist, dass Vampire in the Garden zwar etliches nicht hat oder vielmehr zeigen kann, aber das, was existiert, ist atmosphärisch, spannend und überall blitzt Potenzial für eine ordentliche Portion Drama auf. Die angemerkten Flashbacks der Nebenfiguren in all ihrer Winzigkeit lassen gleichzeitig wirklich spannende Konzepte erahnen, aber die ‚Fünf-Folgen-Grenze‘ steht daneben und tippt immer wieder auf die Uhr. Dabei fühlen sich die einzelnen Folgen nicht derart gehetzt an, vielmehr unbefriedigend. Die Ideen sind klar, die vorhandenen Ausführungen mitreißend und die Performances der japanischen Sprecher sowieso auf gewohnt hohem Niveau. Auch optisch kann die Serie mit ein paar imposanten weiten Landschaftsbildern aufwarten, die Action greift und trotz aller Oberflächlichkeit besitzt das Gespann aus Fine und Momo eine gewisse Schlagkraft. Sowohl emotional als wortwörtlich. Es bräuchte nur einfach mehr von allem, bis auf die letzte Sequenz nach dem finalen Ending-Song. Die meint es wiederum viel zu gut und hätte genauso gut weggelassen werden können.

Fazit

‚Ach, schade!‘ ist das erste, was mir zu Vampire in the Garden einfällt, denn es ist eine vampirische Dark-Fantasy-Geschichte mit viel Potenzial, theoretisch komplexen Charakteren und immer wieder tollen Bildern, aber es hätte soviel mehr sein können. Ich wünschte wirklich, es hätte seine Handlung in der bei Anime-Serien so oft vorhandenen zwölf- oder dreizehnteiligen Art erzählen dürfen. So bleibt einfach nicht genügend Zeit, um sich auf die Welt, die Charaktere und ihre emotionale Entwicklung einzulassen. Gerade die Hauptakteure Fine und Momo hätten viel hergeben können, da sie viel weniger Liebespaar sind als eher Mutter und Tochter oder vielleicht kleine und große Schwester, was generell seltener im Fokus steht. Das Setting ist winterlich düster und die Konflikte stehen quasi alle parat, aber sie dürfen alle nur einmal kurz ins Bild hüpfen, um einem letztlich mäßigen Ende Platz zu machen. Trotz alledem kann ich Vampire in the Garden durchaus empfehlen. Ja, irgendwo bleibt der Frust zurück, dass da mehr hätte sein können, aber manchmal muss man sich mit einem kleinen Happen zufrieden geben, auch wenn man einen vollen Gang haben wollte.

© Netflix

Mort

Mort hat 'Wie? Nicht auf Lehramt!?' studiert und wühlt sich mit trüffelschweiniger Begeisterung durch alle Arten von Geschichten. Animes, Mangas, Bücher, Filme, Serien, nichts wird verschmäht und zu allem Überfluss schreibt er auch noch gerne selbst. Meist zuviel. Er findet es außerdem seltsam von sich in der dritten Person zu reden und hat die Neigung, vollkommen überflüssige Informationen in sein Profil zu schreiben. Mag keine Oliven.

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