Southern-Reach-Trilogie (Band 2): Autorität

Nach dem ganzen schrägen Nervenkitzel in Auslöschung lässt es Jeff VanderMeer mit Autorität etwas ruhiger angehen, aber nicht minder schräg. Der zweite Band seiner Southern Reach-Trilogie verfrachtet den Leser in noch tiefere Paranoia und Orientierungslosigkeit als der erste Band und liest sich so, als hätten Franz Kafka und David Lynch gemeinsam einen Behördenkrimi geschrieben. VanderMeer nimmt den Leser an die Hand, verlässt Area X und führt ihn in die reale Welt – die sich schnell als nicht weniger bedrohlich und befremdlich erweist als Area X selbst.

30 Jahre ist es her, seitdem ein unerklärliches Ereignis die Küstenregion erschüttert hat und Area X entstanden ist – dieses geheimnisvolle, bedrohliche Terrain, das von einer unsichtbaren Grenze umgeben ist. Aufgabe der Southern Reach-Organisation ist es, das Wesen von Area X zu erforschen und herauszufinden, was hinter Grenze geschieht. Nach der gescheiterten zwölften Expedition aus Band 1 steht die Behörde nun kurz vor dem Aus. John Rodriguez aka Control ist der neu ernannte Direktor der Organisation und soll nun retten was noch zu retten ist. Doch das Erbe seiner Vorgängerin, die von der zwölften Expedition nie zurück gekehrt ist, ist überbordend. Control muss sich durch verschlüsselte Notizen, frustrierende Verhöre und etliche verstörende Videoaufnahmen arbeiten, um zu verstehen was es mit Area X auf sich hat. Doch die Geheimnisse, die er dabei aufdeckt, lassen ihn an Southern Reach, an Area X und an sich selbst zweifeln.

Raus aus der Natur, rein ins Büro

Originaltitel Authority
Ursprungsland USA
Jahr 2014
Typ Roman
Band 2 / 3
Genre Science-Fiction, New Weird, Biopunk
Autor Jeff VanderMeer
Verlag Kunstmann (kartoniert), Droemer Knaur (Taschenbuch)

Mit Autorität fährt VanderMeer ein scheinbares Kontrastprogramm. War der erste Band noch durchsetzt von lebendigen Ökosystemen, Tieren und Metamorphosen, so hat man bei Autorität das Gefühl, VanderMeer knalle einem einen spröden Block aus Schichtbeton vor die Nase. Die ersten 100 Seiten wickeln die Ankunft samt ersten Arbeitstags von Control im Southern Reach-Komplex ab, einem altmodischen, stillos-grauen Gebäude eben aus Schichtbeton. Southern Reach ist eine Organisation, der der Hahn abgedreht wurde, da es nach 30 Jahren Area X immer noch zu keiner Invasion gekommen ist und andere Probleme der Welt (Terror) somit wichtiger wurden. Heißt für die Behörde: Personalkürzungen und überholte Technologien, verranzte Teppiche und unübersichtliche Berge an Akten, die unvollständig sind und im Sand verlaufen. Alles riecht nach Niedergang. Man dachte als Leser bislang, dass Southern Reach ein mächtige Institution sei. Aber in Wahrheit ist es nur ein altes überfordertes Bürokratie-Biest – ein Mausoleum. Und es ist faszinierend, wie VanderMeer diesen Papierwust, dieses Angestaubte, diesen fatalistischen Niedergang durch jeden Satz tropfen lässt. Bei der ganzen Vergeblichkeit von Controls Handeln wird einem regelrecht übel.

Trügerische Profanität

Wo Auslöschung ein Bericht über Area X ist, erzählt also Autorität allein von Southern Reach. Wir blicken Control über die Schulter, wie er versucht, die Organisation zu wuppen. Auffällig ist, dass die Menschen das erste Mal tatsächlich beschrieben werden. Hautfarbe, Statur, Haarpracht und – ganz wichtig – Namen. Autorität fühlt sich also schrecklich normal an und man ist als Leser fast schon glücklich darüber, denn der profane Alltag der Behörde vermittelt eine (zugegeben: trügerische) Sicherheit. Denn die Bürokratie ist so etwas wie die letzte Ordnung – ähnlich dem Leuchtturm in Area X. Umso erschreckender ist es dann, wenn der Moment kommt, in dem Control Teile des Sermons in der Behörde findet und man als Leser einsehen muss, dass nichts vor Area X sicher ist. Neben dem Sermon gibt es noch etliche andere Anzeichen für den Einfluss von Area X, die einem vielleicht erst bei einem Re-Read ins Auge fallen. Manche Gespräche im Hintergrund etwa mögen dem Leser vertraut vorkommen, aber einordnen kann er sie nicht. Die Worte stechen nicht offensichtlich ins Auge, erzeugen aber eine gewisse Unruhe. Auch das ist eine Stärke VanderMeers: dass er es schafft, durch die profane Bürokratie das Schräge durchscheinen zu lassen.

Ein erweiterter Cast

Ungewohnterweise haben wir nun einen ca. sechsköpfigen, mit Namen versehenen Cast. Unser Protagonist ist Control, ein Regierungsagent, dessen bisherige Jobs irgendwann immer in einer Katastrophe endeten. Durch Vetternwirtschaft (seine Mutter ist ein hohes Tier) landet er als neu eingesetzter Direktor in Southern Reach, dem Abstellgleis, quasi seine letzte Chance. Täglich muss er einem unbekannten Drahtzieher namens Voice per Telefon Bericht erstatten, der die Gespräche gerne mit der Frage einleitet, ob Control denn schon sein Haus bestellt habe. Controls Gegenspielerin ist die stellvertretende Direktorin Grace, die ihn zu hassen scheint und kontinuierlich gegen ihn arbeitet. In der Wissenschaftsabteilung treiben sich zwei weitere Nasen herum, u.a. Whitby, der ziemlich fahrig und wirr wirkt und auch nicht so wirklich weiß, wie viele Angestellte sein Ressort hat. In Southern Reach scheint keiner mehr Ahnung von irgendetwas zu haben. Und dann ist da natürlich die zurück gekehrte Biologin, die lieber Ghostbird genannt werden will und zu der Control sich – auf welche Art auch immer – hingezogen fühlt. Ghostbird war schon als „die Biologin“ im ersten Band von besonderer und entrückter Natur, zumal VanderMeer sie niemals beschrieben hat. In Autorität tut er das nun. Sie ist muskulös und hat offenbar eine Vorliebe für Liegestütze. Sie hat sich verändert, scheint mental unnahbar und irgendwie über den Dingen zu stehen. Und obwohl Control eigentlich sie verhört, kehrt sich die hierarchische Beziehung zwischen ihnen allmählich um. Er tritt in Abhängigkeit zu ihr. Wer hat hier Autorität über wen, huh, Control? Mit Control ist VanderMeer ein spannender Charakter gelungen: tapfer, verletzlich, angstvoll, abgestumpft. Ein Twist am Ende des Buchs lässt seinen Spitznamen unfreiwillig komisch erscheinen.

Gestörte Kommunikation

Die 2010er waren die Dekade der philosophisch angehauchten Sci-Fi-Titel wie High Life und Prospect, die von stumpfer Alien-Action absehen und philosophisch an das Ganze herangehen. Arrival setzte seinen Fokus auf die Kommunikation zwischen Alien und Mensch und man kann auch Autorität als Vertreter dieser Sparte sehen. Das herrenlose Handy in der Schublade der Direktorin, das scheinbar seine Funktionen aufgegeben hat; die Worte des Crawlers, die keiner versteht – das und noch viele weitere Elemente könnten für eine gestörte Kommunikation zwischen Area X und der Menschheit stehen. Letztendlich ist auch die Kommunikation zum Leser gestört, denn ebenso wie die Biologin aus dem ersten Band entpuppt sich auch Control zeitweise als unzuverlässiger Erzähler (danke dafür, Voice). Tipps für die Lektüre von Autorität: Achtet auf die Ameisenwespen, achtet auf die Gespräche im Hintergrund, versucht nicht das Gebäude zu kartographieren und starrt nicht zu lange auf den kackgrünen Teppich. Merkt euch, wann der Geruch nach verfaultem Honig auftaucht.

Fazit

Wer die Southern Reach-Bücher bis hierhin gelesen hat, dem kommen vielleicht Erinnerungen an Strugatzkis Picknick am Wegesrand hoch. VanderMeer dementiert den Einfluss der Strugatzkis zwar, und tatsächlich liest sich Picknick am Wegesrand freilich ganz anders, mit ganz anderem Schwerpunkt und Stil und wesentlich dialoglastiger. Doch die grundsätzliche Idee, dass Außerirdische (aus an dieser Stelle mal nicht näher erläuterten Gründen) Technologien zurück gelassen haben, die auf die Menschheit solch fatale Folgen haben, dass man Behörden dafür abstellen muss, könnte an Southern Reach erinnern.
Was könnte man Autorität vorwerfen? Das, was es ausmacht: den Fokus auf eine Behörde. Manch einer mag den zweiten Band als langatmig empfinden, ohne aufkommende Spannung (weil man Area X nicht mehr aus erster Hand erlebt). Mit viel Rauschen und unzähligen, von Control gewonnen Erkenntnissen, die scheinbar redundant sind und keine Fragen beantworten. Doch genau das ist der Fehler: die Erkenntnisse als unwichtig abzustrafen. Controls Irrwege durch die Southern Reach-Behörde erzeugen eine wunderbare kafkaeske Stimmung, die Controls Geist allmählich zermürbt – und genau diese Stimmung gefällt mir richtig gut. Ja, mir wird sogar schlecht davon. Auf den letzten Seiten wird es dann noch einmal richtig spannend und plötzlich passiert Knall auf Fall etwas. Autorität ist chaotisch, überwältigend und beängstigend. Es ist ein Roman des 21. Jahrhunderts, quasi ein Rorschachtest unserer Generation, der die Angst vor Krieg, Machtlosigkeit, Manipulation und der Unfähigkeit von Regierungen beherbergt.

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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Lyxa
Redakteur
1. Februar 2021 21:59

Uff, wenn man Autorität als langatmig empfindet, hat man noch nie was wirklich langatmiges gelesen. Ich bin da jetzt innerhalb einer Woche durchgerauscht, weil ich das Buch manchmal nicht weglegen konnte.
Zweiter Lesedurchgang wird über kurz oder lang eh nötig, wenn ich mit dem Wissen der ganzen Trilogie gewappnet bin, aber auf den verfaulten Honigduft, hab ich irgendwann gar nicht mehr stärker geachtet, weil der eh als omnipräsent beschrieben worden ist und man sich ja auch in andere Sachen verrennt (Pflanze+Maus, das Handy, die Handschuhe). Die Erinnerungsrückgriffe von Control bezüglich seiner Familie haben mich seltsamerweise manchmal am meisten irritiert, weil die für mich so sonderbar eingeflochten schienen und die Mutter und der Großvater so fremd wirkten. Da sie zwischenzeitlich als Möglichkeiten für die Voice erwogen werden, hatte ich dann sogar irgendwann die These, dass sie gar nicht existieren und Teil einer Konditionierung von Control sind. Weiß nicht, einigermaßen sicher fühlt man sich in dem Buch nur, wenn man mit Control raus aus der Southern Reach-Anlage ist, aber alles darin wirkt wie ein scheiternder Ordnungsversuch. Es werden einem so viele Sachen angeboten, die eine Bedeutung haben können, über die einem von Control oder durch sein Umfeld Theorien und Gedanken angeboten werden und die dann auch unaufgelöst bleiben, dass ich beim Lesen zunehmend paranoid geworden bin und wirklich das Gefühl hatte, mit Control etwas wahnsinnig zu werden (vor allem das Erlebnis in Whitbys (?) Geheimraum gegen Ende war dann ja endgültig surrealer Shit), was aber irgendwie auch wieder ziemlich geil war.