Blind

Dank des Internets können sehr einfach die unterschiedlichsten Dinge erworben werden. Vor allem leidenschaftliche Sammler müssen nun nicht mehr durch das Land ziehen, um begehrte Objekte zu ergattern. Ob nun Briefmarken, Modellzüge oder bei Rockstar Judas Coyne makabre, gruselige Dinge. Doch im letzteren Fall bekommt der Käufer nicht unbedingt das, was er erwartet. Was sich Stephen Kings Sohn Joe Hill (Christmasland) in seinem Debütroman Blind einfallen ließ, widmen wir uns ausführlich. So viel können wir jedoch als Warnung schon einmal vorne weg euch ans Herz legen: Kauft euch lieber nie einen Geist bei einer Online-Auktion!

 

Jude Coyne besitzt eine ungewöhnliche Privatsammlung. Bei ihm finden sich eine gebrauchte Henkersschlinge, ein Kochbuch für Kannibalen und ein Sündenbekenntnis mit Unterschrift einer Hexe neben seiner Plattensammlung. An und für sich nichts Ungewöhnliches, wenn man bedenkt, dass Jude als schwarz gekleideter düsterer Rockstar mehrere Platinalben an der Wand hängen hat. Daher wundert es auch nicht, dass er bei einer Online-Auktion auf den Sofort-Kaufen-Button klickt, als der Geist eines Verstorbenen angeboten wird. Die Lieferung erfolgt zügig in einer herzförmigen schwarzen Schachtel. Als Inhalt liegt der Sonntagsanzug des Verstorbenen bei, der allerdings nicht viel hermacht. Zuerst überwiegt die Skepsis bei Jude, doch nachdem sich der Geist nicht nur schnell zeigt, sondern sofort damit beginnt dem Rockstar nach dem Leben zu trachten, startet ein Horrortrip der anderen Art!

Nicht gerade da, wo die Liebe hinfällt

Originaltitel Heart-Shaped Box
Ursprungsland USA
Jahr 2008
Typ Roman
Bände 1
Genre Horror
Autor Joe Hill
Verlag Heyne
Seit dem 1. September 2008 im Handel erhältlich

Womit Joe Hill, Autor der bekannten Locke & Key-Reihe, in seinem Roman Blind von Anfang an spielt, sind die Gefühle des Lesers den Figuren gegenüber. So stellt sich Jude als eher gelangweiltes, ungehobeltes Ekelpaket vor, das in keinen Belangen ein umgänglicher Mensch ist. Die einzige wirkliche Ausnahme stellen seine beiden Hunde dar. Diese liebt er abgöttisch und behandelt sie nach den besten Möglichkeiten, während er seine Freundinnen schneller wechselt als Unterhosen. Seine aktuelle junge Gefährtin Georgia alias Marybeth Kimball, die als zweite Hauptfigur in die Geschehnisse involviert wird, ist jedoch auch kein sanfter Engel. Zickig, ständig am Meckern, bleibt sie trotz schlechter Behandlung gefühlt nur wegen des Geldes bei dem erfolgreichen Musiker. Also nicht gerade ein Duo, dem die Liebe entgegenfliegt!

Wechsel der Sympathienvergabe

Doch nachdem der Geist mit seinen nervenaufreibenden Torturen beginnt, zeigen die beiden plötzlich ganz andere Seiten. Verletzliche, von Wunden übersähte Seelenfragmente, die zum Beispiel Jude hinter einem Klischee des Rockstars versteckt. Der Autor greift dafür ganz tief in die sozialen Abgründe, die in den verschiedenen Familien vorkommen können. Die anfänglichen negativen Gefühle, die der Leser den beiden entgegenbringt, verändern sich im Laufe der spannungsgeladenen Fluchtversuche. Da am Anfang der Gedanke „das geschieht den beiden recht“ nicht ungewöhnlich ist, ertappt man sich dabei, irgendwann die Daumen zu drücken. Hierfür gebührt dem Autor wirklich Lob, denn eine solche 180 Grad Wendung gelingt nicht jedem. Vor allem dann nicht, wenn er seine Geschichte in einem hohen Erzähltempo ansiedelt.

Der mörderische Geist in der herzförmigen Box

Nicht nur über unser ungleiches Paar erfahren wir im Laufe von Bind mehr. Der Geist mit Namen Craddack besitzt seine eigene düstere Geschichte, die nach und nach auf der Flucht von Jude und Georgia zutage gefördert wird. Dabei entdecken die beiden passende Puzzleteile, die ein logisches Gesamtbild in der Handlung und vor allem in Judes Vergangenheit ergibt. Als einfach gestaltet sich die Suche jedoch nicht. Craddack stellt trotz fehlendem Körper eine ernstzunehmende Bedrohung dar, weil der Geist über manipulative Fähigkeiten verfügt. Um es verständlicher auszudrücken: Ist er erst mal in deinem Kopf, landet der Finger am Abzug einer Waffe schneller, als du schauen kannst! Und Craddack ist unersättlich. Er schreckt vor nichts zurück und muss, im Gegensatz zu unseren Helden, nicht schlafen oder anderweitig Ruhe finden. Trotzdem findet der Autor eine gute Balance, um die Figuren im Laufe der Seiten zu vertiefen, die Spannungskurve aber nie abflachen zu lassen.

Wie der Vater so der Sohn?

Bei einem so berühmten Vater stellt sich natürlich von der ersten Seite an die Frage, wie es mit Joe Hills Schreibstil aussieht. Eine gewisse Ähnlichkeit lässt sich nicht von der Hand weisen. Allerdings überwiegen die eigene Wortwahl, der Kapitelaufbau und die Art der Beschreibungen, weswegen Leser von einem eigenen schriftlichen Ausdruck sprechen können. Und Joe Hill besitzt ein sehr gutes Händchen, was bildliche Beschreibungen angeht! Gerade die Spannungsspitzen sind so bildlich beschrieben, dass wir das Gefühl haben mitten drin zu sein. Fans des Altmeisters Kings dürfen trotzdem gerne zugreifen, denn es dürfte die Neugier geweckt sein, was die nächste Generation aus der Familie bietet. Etwas unglücklich gewählt, ist nur der deutsche Titel. Der englische Originaltitel “Heart-Shaped Box” stammt von einem gleichnamigen Nirvana-Song, der damit eher zum Inhalt des Buches passt.

Fazit

Natürlich war ich als große Leseratte gespannt, wie sich sein Sohn in seinem ersten Roman Blind schlagen wird. Es ist jedoch interessant einem neuen Autor mit Erwartungen entgegen zu treten, der einen dann nach nur wenigen Seiten schon regelrecht umhaut. Joe Hills Erstlingswerk ist ein Road-Trip der anderen Art. Von Anfang an breitet der Autor eine so dichte Handlung aus, die er mit lebendigen Figuren füllt und dabei so oft an der Klaviatur des Grauens klimpert, das die Seiten nur so dahinfliegen. Das gute Gespür für ruhigere, nachdenkliche Szenen ist von Anfang an gegeben und der Autor unterbricht sie immer wieder durch fesselndende psychologische Attacken, oder handgreiflichen Auseinandersetzungen. Langeweile kommt hier auf keiner Seite auf. Als Leserin wandelte meine Einstellung den Figuren gegenüber im Laufe der Geschichte, wie es der Autor wunderbar beabsichtigt. Daher konnte ich nicht anders, als irgendwann Jude, Marybeth und den anderen Figuren alles Glück der Welt zu wünschen. Als jemand, der sehr viel Wert darauf legt, dass sich Geschichten logisch zusammenfügen, kann ich auch in diesem Bereich nur ein Loblied anstimmen. Daher von mir eine klare Leseempfehlung für Blind.

© Heyne

Aki

Aki verdient ihre Brötchen als Concierge in einem großen Wissenstempel. Nie verlässt sie das Haus ohne Mütze, Kamera oder Lesestoff. Bei ihren Streifzügen durch die komplette Medienlandschaft ziehen sie besonders historische Geschichten an. Den Titel Sherlock Holmes verdiente sie sich in ihrem Freundeskreis, da keine Storywendung vor ihr sicher ist. Dem Zyklus des Dunklen Turms ist sie verfallen. So sehr, dass sie nicht nur seit Jahren jeden winzig kleinen Fetzen zusammensammelt. Nein, sie hat auch das Ziel, alles von Stephen King zu lesen.

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