Blutige Nachrichten
Einen Jungen erreichen Nachrichten aus dem Totenreich, eine Welt droht zu sterben, ein Autor geht einen teuflischen Pakt ein und eine Privatdetektivin jagt einem Monster nach. Alle Geschichten haben eines gemeinsam: Mit Blut verkauft sich etwas besser. So jedenfalls eine Reporterweisheit! Seit dem 10. August 2020 verkauft auch Bestsellerautor Stephen King (Das Institut) seine vierte Novellensammlung Blutige Nachrichten unter diesem Motto. Die größte Besonderheit: Wir erhalten mit der namensgebenden Geschichte eine Fortsetzung von Der Outsider, die uns nicht nur ein Wiedersehen mit Holly Gibney beschert, sondern auch auf eine wichtige Frage eine Antwort liefert. Dazu verraten wir in unserer Review mehr. Ob diese auch ohne roten Lebenssaft eine Wirkung entfaltet? Tja …
Erste Novelle: Mr. Harrigans Telefon
Der Junge Craig fängt im Jahr 2004 für den zugezogenen ehemaligen großen Geschäftsmann Mr. Harrigan an zu arbeiten. Seine Aufgabe besteht in erster Linie darin, dem alten Mann Bücher vorzulesen. Zum Dank bekommt Craig an den Feiertagen Lotterielose und genau eines von diesen beschert dem Jungen einen saftigen Gewinn, von dem er als Dankeschön seinem edlen Spender ein I-Phone kauft. Der alte Mann ist zwar anfangs nicht begeistert, lässt sich aber dank einiger praktischer Apps doch zur Nutzung überreden. Allerdings kommt die Zeit des Abschiednehmens und Craig packt seinem Freund das geliebte Telefon mit in den Sarg. Nichts ahnend, dass er so weiterhin Kontakt halten kann. Allerdings zu einem bestimmten Preis…
SMS aus dem Totenreich
Die erste Geschichte in Blutige Nachrichten schickt uns auf eine kleine Zeitreise. Zu den Anfängen der Smartphones und der damit verbundenen Nostalgie, die diese auslösen, da die kleinen elektronischen Helferlein damals noch nicht alles konnten. Stephen King spielt jedoch mit dem gruseligen Gedanken, dass selbst ein Toter noch Kontakt halten möchte. Verständlich, wenn zwei Menschen hier eine angenehme Freundschaft aufbauen und diese erhalten möchten. Wobei die späteren elektronischen Nachrichten ihre grausamen Folgen haben. Mit den daraus resultierenden psychologischen Nachwehen geht die Geschichte geschickt um und bringt sogar uns zum Nachdenken. Denn ausgesprochenen Worten können böse Taten folgen. Insgesamt bewegt sich Mr. Harrigans Telefon auf einem eher leichten Gruselniveau, dürfte daher abgebrühte Lesende nicht vom Hocker hauen.
Zweite Novelle: Chucks Leben
Marty Anderson erlebt, wie die Welt zugrunde geht. Teile des amerikanischen Kontinents brechen ins Meer, Felder und Wälder stehen in Flammen und das Internet gibt den Geist auf. Doch der Lehrer versucht das Beste daraus zu machen und fährt wie jeden Tag zur Arbeit. Auf seiner Strecke mit dem Auto fällt ihm eine Reklametafel ins Auge, die neu zu sein scheint. Auf ihr steht eine Botschaft: „Charles Krantz – 39 Wunderbare Jahre! Danke, Chuck!“ Nicht genug, taucht diese Botschaft nach und noch überall auf und das während so langsam überall die Lichter ausgehen. Wer also ist dieser Chuck?
Originaltitel | If It Bleeds |
Ursprungsland | USA |
Jahr | 2020 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Horror, Drama, Krimi |
Autor | Stephen King |
Verlag | Heyne |
Veröffentlichung: 10. August 2020 |
Einfallsreicher Lebenszyklus
Im Nachwort erklärt Stephen King, dass die zweite Geschichte, die aus drei Akten besteht, nach und nach entstand. Für uns aber fühlen sich die drei Teile wie ein von Anfang an zusammengehörendes Konzept an. So begleiten wir zwar zu Beginn Marty, doch es ist Chuck, dessen Leben rückwärts laufend verfolgt wird. Während der erste Teil vor allem an der Neugier des Lesenden zerrt, der sich verständlicherweise fragt, warum die Welt stirbt, wird hier mit einer kreativen, wenn auch traurigen Antwort belohnt. Eine wirklich schöne Idee, die der Autor in diesem Abschnitt verarbeitete.
Feel the Music
Der zweite Abschnitt erzählt eher eine ruhigere Alltagsgeschichte. Musik ist hierbei das zentrale Thema und der Autor vermag es, diese Szenerie so lebendig zu beschreiben, dass wir das Gefühl haben, an der Straßenecke zu stehen und den Drummer auf seine Trommeln einschlagen zu hören. Es macht schlicht Spaß, hier dabei zu sein, sodass es irgendwie schade ist, wenn dieser Teil zu Ende ist. Im wiederum letzten Teil schließt sich der Kreis mit einer gruseligen Begebenheit. Der noch junge Chuck erlebt das Thema Tod auf verschiedene Weisen, die einen durch seine Alltäglichkeit berührt. Mit dem Geheimnis, hinter das er kommt, allerdings auch nachdenklich stimmt. Insgesamt besticht Chucks Leben durch kreative Ideen und einem Autor, der diese wunderbar zu Papier bringt.
Dritte Novelle: Blutige Nachrichten
Als Holly und Ralph in der Hölle den Outsider stellten, blieb die Frage offen, ob es noch weitere gibt. Auch einige Zeit später denkt die Ermittlerin von Zeit zu Zeit daran. Ein grausamer Anschlag an einer Schule erregt Hollys Interesse, so dass sie diese Nachrichten an den folgenden Tagen nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Etwas an dem Reporter, der als erster am Tatort war, lässt sie nicht mehr los. Sein Name: Chet Ondowsky. Auf den ersten Blick ein ganz normaler Typ, der schlicht aus Reportersicht Glück hatte, so früh am Geschehen einzutreffen. Jedoch wird sie das Gefühl nicht los, dass da etwas ist. Und auch wenn die Weihnachtsfeiertage näher rücken und sie größere Probleme mit ihrer Mutter hat, beginnt sie trotzdem mit den Nachforschungen.
Nur etwas für Holly-Kenner
All jene, die Holly kennen, dürfen sich über ein weiteres spannendes Abenteuer mit ihr freuen. Denn noch immer leidet unsere Heldin unter ihren autistischen Ticks und versucht jeden Tag so gut es geht zu überstehen. Genau diese Eigenheiten machen Holly aber zu einer liebenswerten Figur, der man automatisch die Daumen drückt. Blutige Nachrichten erzählt dabei einen weiteren Schritt in der Entwicklung der ungewöhnlichen Heldin, weswegen sich diese Geschichte nur für Lesende lohnt, die mit ihr vertraut sind. Für alle anderen wird es eher schwer, in die Geschichten hineinzukommen, da die Figuren auf frühere Ereignisse zurückblicken. Literarisch durchtränkte King seine Erzählung nämlich mit Hollys Berichten an Ralph, den Detektiv aus Der Outsider. Dabei geht sie emotional auf das gemeinsam Erlebte ein. Außerdem darf ein gewisser Bill Hodges auch nicht unerwähnt bleiben. Ein Wiedersehen mit vielen liebgewonnenen Figuren programmierte der Schreiberling hier vor.
Die etwas anderen Helden
Als interessant gestaltet sich der eigentliche Fall. Holly geht dabei nicht von Anfang an aggressiv vor, da sie nicht einmal sicher ist, ob ihr Gefühl sie da nicht täuscht. Es bleibt daher spannend, wie sie mit dem, was ihr ins Auge fiel, umgeht. Das blutige Attentat in der Schule weckt auf jeden Fall Erinnerungen an reale Ereignisse, womit der innere Gerechtigkeitssinn aufgeschreckt wird. Und je mehr Holly Gewissheit hat, wem oder besser, was sie da auf der Spur ist, desto packender wird es. Zum Glück schlägt sich unsere Heldin nicht alleine durch, doch ihre Helfer sind keine Superhelden, sondern die normalen Leute von nebenan. Doch genau hierin liegt der Reiz. Eine stetig steigende Spannungskurve, die im nervenaufreibenden Finale ihren gelungenen Höhepunkt findet. Blutige Nachrichten garantiert Lesevergnügen. Und auf die Dunkle Turm-Fan-Gemeinschaft wartet sogar eine nette Anspielung.
Vierte Novelle: Ratte
Ein paar Kurzgeschichten konnte Drew Larson schon veröffentlichen. Allerdings fehlt ihm ein großer Roman, der bis jetzt einfach nicht sein sollte. Sein letzter Versuch endete darin, dass er beim Verbrennen des unfertigen, grauenvollen Manuskripts fast das Haus abgebrannt hätte. Als Drew jedoch eines schönen Morgens zur Arbeit fährt, kommt ihm endlich die erwartete Idee für eine Western-Geschichte. Auch wenn seine Frau mehr als nur ein wenig besorgt ist, nimmt er eine Auszeit von der Universität und bezieht die alte Hütte seines verstorbenen Vaters in den Wäldern Maines. Während es anfangs gut für Drew läuft, nähert sich unaufhörlich ein gewaltiger Sturm der Region. Zu allem Überfluss entwickelt sich die laufende Nase auch zu einem gesundheitlichen Problem. Aufgeben? Für den Schreiberling keine Option!
Mephisto darf auch einmal ein Nager sein!
Drews Verlangen, endlich in seinem Leben diesen einen wichtigen Roman zu schreiben, damit sein größter Wunsch in Erfüllung geht, dürfte für jeden verständlich sein. Dass er dafür jedoch sein Leben auf Spiel setzt, ist eine andere Geschichte. Eine, die einen zwar den Kopf schütteln lässt, dank Drews doch recht sympathischer Persönlichkeit aber auch nicht mehr loslässt. Sein schlechter werdender Zustand, sein Wahn zu schreiben und der eintreffende Sturm sorgen dafür, dass wir nur schwer mit dem Lesen aufhören können. Vor allem dann nicht, wenn der besagte Nager auf der Bühne erscheint und ähnlich wie Mephisto einen todbringenden Deal vorschlägt. Da knistert es vor Spannung in der Luft, gerade dann, wenn wir und Drew darauf warten, ob der Pakt in Erfüllung geht. Wie immer hält King hier ein Ass im Ärmel und lässt seine Leserschaft ordentlich zappeln.
Fazit
Vier unterschiedliche Geschichten. Alle durch den roten Lebenssaft verbunden und dadurch, dass der Autor es vermag, realistische Figuren zum Leben zu erwecken. Gerade deswegen funktionieren die Abenteuer in Blutige Nachrichten, weil die Neugier darüber siegt, wie es mit den normalen Leuten weitergeht. Zwar bewegt sich keine der Geschichten auf einem hohen Gruselniveau, das alt eingesessene Genre-Fans aus dem Hocker hauen wird, jedoch sind einige nette Ideen verarbeitet. Besonders Chucks Leben ist eine kleine Wundertüte, die mit jeder neuen Seite ein anderes tolles Element hervorholt. Wo hingegen das Widersehen mit Holly vor allem auf emotionaler Ebene punkten kann. Nicht nur King liebt seine mit Ticks beladene Figur, die sich gerade so durch den Alltag schlägt. Insgesamt eine lohnende Novellensammlung, in erster Linie aber eher etwas für “Stephen King-Leser”.
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