Das Antiquariat der Träume
Wer würde nicht gerne einmal ein Gespräch mit der Hauptfigur seines Lieblingsromans führen? Viele Leser*innen kennen Situationen aus Büchern, bei denen die Frage aufkommt, warum so gehandelt wird. Dieser Fall bleibt zumeist unbeantwortet. Anders geht es Johan Andersson, der regelmäßig Besuch von Literaturfiguren bekommt. Wie er damit umgeht, was ihm das bedeutet und warum er sie überhaupt als einziger sehen und hören kann, erzählt Lars Simon (Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen) auf 313 Seiten im Roman Das Antiquariat der Träume. Begeben wir uns auf eine literarische Reise durch Schweden, denn: „Bücher können einen Menschen und die ganze Welt verändern, sie können einen zum Lachen und zum Weinen bringen, sie können einen verzaubern und sogar eine Seele retten, davon bin ich überzeugt.“ Ein Zitat von Seite 62.
Johan Andersson ist ein erfolgreicher Verleger, der in Schwedens Hauptstadt Stockholm lebt und arbeitet. Während einer Kreuzfahrt begegnet ihm die Liebe seines Lebens, die er leider kurze Zeit später bei einem Schiffsunglück verliert. Dieses Ereignis zerstört sein Leben. Zunächst möchte er nicht glauben, das Lina Berglund ums Leben gekommen ist, da ihre Leiche nicht gefunden werden konnte. So reist er durchs Land, um sie zu finden. Letztendlich muss er den Tod seiner Lebensgefährtin dennoch akzeptieren. Er gibt sein bisheriges Leben auf, verlässt den Verlag, lässt Stockholm hinter sich und zieht sich schließlich in das kleine Dorf Hedekas zurück. Dort eröffnet er ein Antiquariat mit Literatur-Café, dem er den Namen „Singoalla„ gibt. Nicht nur der Verlust verändert Johans Leben, denn seit dem Schiffsunglück begegnen ihm seltsamerweise Figuren aus seinen Lieblingsromanen.
Aus Romanfiguren werden Ratgeber
Originaltitel | Das Antiquariat der Träume |
Ursprungsland | Deutschland |
Jahr | 2020 |
Typ | Roman |
Band | 1 / 1 |
Genre | Fantasy, Romanze |
Autor | Lars Simon |
Verlag | dtv Verlagsgesellschaft |
Veröffentlichung: 22. Mai 2020 |
Zu Beginn des Romans befasst sich das Werk mit Johans Schicksalsschlag. Kurz vor dem Schiffsunglück hat Lina ihm eine signierte Ausgabe der Singoalla von Viktor Rydberg geschenkt. Nach dem Unfall konnte weder Linas Leiche noch das Buch gefunden werden, allerdings bekommt Johan seit diesem Ereignis Besuch von Literaturfiguren, die sich vermehren. Bereits zu Beginn können die Leser*innen anfangen zu interpretieren: Sind die Figuren real oder Einbildung? Ist Lina womöglich doch noch am Leben? Kommen die Romanfiguren wegen des seltenen Buchs, das Johan allerdings nicht mehr besitzt? Die Figuren wollen angeblich nur das Beste für Johan haben allerdings unterschiedliche Standpunkte. Ihre Ansichten, ob er Lina nun vergessen oder nach ihr suchen soll, ob er wieder nach Stockholm zurückkehren oder in Hedekas bleiben soll, verwirren ihn mehr, als dass sie helfen. Es gibt viele Möglichkeiten, für die sich Johan nun entscheiden kann und genau das treibt zum Lesen an.
Literatur in Kuchenform
Die Kulisse ist interessant: Ein ehemaliger Bauernhof in einem kleinen Ort in Schweden mit einer zum Antiquariat umgebauten Scheune und angrenzendem Literatur-Café. Bei der Bewirtung des gut besuchten Cafés bekommt Johan Hilfe von Agnes, der Schwester des ortsansässigen Pfarrers. Diese backt gerne Kuchen und Torten, denen Johan literarische Namen gibt. So entstehen die Literaturkuchen des Tages wie beispielsweise die „Cyrano de Bergerac Torte“, hinter der sich eine Mischung aus Mandarine und Mohn verbirgt oder eine Apfel-Sahne-Zimt-Torte mit dem Namen „Schillertorte“. Simons Schreibstil ist locker und leicht, sodass sich die Geschichte flüssig lesen lässt. Literarische Magie, gelegentlich gemischt mit Sarkasmus und der Sehnsucht, die Wahrheit zu finden, bietet eine passende Mischung, die Spannung erzeugt. Es ist authentisch, wie Lars Simon die Sprache und Verhaltensweisen der Romanfiguren anpasst. Wenn Personen wie William von Baskerville aus Der Name der Rose auf Pippi Langstrumpf trifft, spürt man die Unterschiede der Sprache und Wortlaute.
Witzig oder peinlich?
Sind es literarische Halluzinationen oder doch greifbare Figuren? Zunächst beschränken sich die Treffen mit seinen „Freunden“, wie Johan sie nach einiger Zeit bezeichnet, auf Abende bei ihm zu Hause oder Besuche im Antiquariat nach Feierabend. So kann die Unterhaltung ganz gemütlich stattfinden. Wenn die Helden allerdings im Lauf der Geschichte Johan ohne Vorankündigung im Dorf erscheinen, sorgt das für skurrile Situationen wie Streitereien ums Essen im Supermarkt oder Unterhaltungen mit Sherlock Holmes im Taxi, der nebenbei seine Pfeife raucht. Durch solche Situationen fällt Johan in seinem Umfeld natürlich seltsam auf, was zum Auftritt eines Therapeuten führt.
Die Liebe zur Dramatik
Der Name des Antiquariates Singoalla hat für Johan eine ganz besondere Bedeutung. Denn dies war der Titel des Buches, das Johan als letztes Geschenk von Lina erhalten hat. Da er Besuche aus literarischen Werken erhält, lässt sich nur darauf warten, das entsprechende Charaktere aus diesem Buch des schwedischen Autors Viktor Rydberg erscheinen. Singoalla spielt eine wichtige Rolle während des kompletten Romans. So auch für den gebürtigen Hessen und Autor von Das Antiquariat der Träume Lars Simon. Er hat mehr als sechs Jahre in Schweden gelebt und vieles kennenlernen können. So zum Beispiel das Werk von Viktor Rydberg und die Lebensgeschichte des Autors. Hinter Singoalla verbirgt sich eine dramatische Geschichte über die nicht standesgemäße Liebe eines Ritters und einer Zigeunerin.
Wenn Bücher zu dir sprechen
Dass der Hauptcharakter eines Buches immer wieder anderen Romanfiguren begegnet, kann man als Köder für Bücherfreunde betrachten. Bei der Auswahl der literarischen Gäste beschränkt sich Lars Simon auf klassische Werke beispielsweise von Umberto Eco (Der Name der Rose), Franz Kafka (Die Verwandlung), Hermann Hesse (Der Steppenwolf) und Astrid Lindgren (Pippi Langstrumpf). Zudem werden bekannte Tiere wie ein schwarzer Pudel (Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Eine Tragödie) und ein weißes Kaninchen (Lewis Carroll, Alice im Wunderland) sowie ein Arzt (Hugh Lofting, Doktor Dolittle) eingebunden. Bei den Rätseln hilft ebenfalls ein Meisterdetektiv (Sir Arthur Conan Doyle, Sherlock Holmes). Es ist von Vorteil, die entsprechenden Heimatwerke der Literaturbesucher zu kennen oder zumindest eine grobe Ahnung der Figuren zu haben. Doch auch Leser*innen ohne klassisches Vorwissen können ihren Spaß an der Geschichte haben, wozu der sympathische Hauptcharakter einen großen Teil beiträgt.
Fazit
Die Idee eines Aufeinandertreffens des Protagonisten mit literarischen Figuren ist ziemlich interessant, ein bisschen skurril, aber auch unterhaltsam. Literatur ist das prägnante Thema. Wer sich schon einmal mit Figuren wie Sherlock Holmes, Pippi Langstrumpf oder Mephisto unterhalten wollte, ist hier definitiv richtig aufgehoben. Dies sind allerdings nur drei Figuren, die Johan durch die Handlung begleiten. Viele Kapitel bestehen aus Dialogen zwischen Johan und dem Besucher. Selten ist es das mehr, als eine Romanfigur zugleich zu Johan kommt. Es sind abwechslungsreiche Szenen, allerdings liegt der Fokus dabei sehr auf dem Gast, wodurch Johan etwas auf der Strecke bleibt und das Gefühl aufkommt, ihn nicht richtig kennen und verstehen zu lernen. Seine Besucher sind wichtig für ihn, hören zu, geben auch ernst gemeinte Ratschläge und sind da, wenn Johan jemanden zum Reden braucht. Ob die Figuren allerdings real oder Hirngespinste sind, bleibt für ihn und die Leser*innen zunächst ein Rätsel.
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