Das Bücherschiff des Monsieur Perdu
Bücher sind Medizin. Ohne Rezept frei verkäuflich, aber es braucht einen guten Apotheker, um das richtige für die eigenen Probleme zu finden. Nina George schafft es in ihrem 2023 beim Knaur Verlag erschienenen Roman Das Bücherschiff des Monsieur Perdu, deb Lesenden diese Art der Medikation näherzubringen. Es gehört einiges dazu, seinen sicheren Beruf aufzugeben, um etwas zu riskieren. Diesen Neuanfang verdankt Hauptfigur Jean Perdu einem Autor, der einst Gast auf seiner literarischen wassertauglichen Apotheke war und eigentlich wirklich in eine richtige Apotheke wollte und schlussendlich auf einem Schiff gelandet ist. Machen wir uns gemeinsam auf eine Reise durch die Kanäle Frankreichs.
Für Buchhändler Jean Perdu sind mittlerweile vier Jahre vergangen, seit er mit seinem Bücherschiff, einem ehemaligen Frachtkahn von Paris aus in den Süden Frankreichs aufgebrochen war. Mittlerweile liegt „Lulu“ mitsamt der Bücher im Hafen von Aigues-Mortes an und wird von Perdus Freunden als Bistro genutzt. Monsieur Perdu hat sich inzwischen in der Provence niedergelassen, die Tätigkeit als Buchhändler an den Nagel gehängt und arbeitet als Makler für geheime Manuskripte. Begleitet wird er von der Bildhauerin Catherine. Der letzte Wunsch des Autors Jose Saramago ermutigt ihn, seine „Literarische Apotheke“ wieder aufzubauen und mit ihr nach Paris zu schippern. Catherine steht hinter ihm, denn sein Herz brennt für die Literatur, und nur dann kann er glücklich werden, wenn er tut, was er schon immer geliebt hat.
Literarische Zeitkapseln
Originaltitel | Das Bücherschiff des Monsieur Perdu |
Ursprungsland | Deutschland |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Slice of Life |
Autorin | Nina George |
Verlag | Knaur |
Veröffentlichung: 3. April 2023 |
Perdu gilt in seinem neuen Job als exzentrischer Makler, denn er wählt nicht die Sammelnden aus, die bereit sind, am meisten für die geheimen Manuskripte zu zahlen, sondern die, die ihm als Freund, Vertrauter, Gefährt oder Lehrling des Werks am geeignetsten erscheinen. Viele Autorinnen und Autoren legen ihre Seele in Manuskripte und ihnen ist es lieb, wenn ein Teil davon bei jemandem wohnt, der die Seiten schätzt und versteht. Jean respektiert das und erkennt, ob jemand nur hinter dem Geld her ist. Zeitkapseln von Schriftstücken sind nicht unüblich. Viele Schreibende deponieren unveröffentlichte Texte, die erst Jahrzehnte später ans Licht kommen. Die sogenannte Zukunftsbibliothek mit genauen Anweisungen, wann die Kapsel geöffnet werden soll. Perdus Leben bekommt durch so einen Safe eine Wendung, indem er die letzten Worte des verstorbenen Autors Jose Saramago findet. Wer wissen möchte, was in seinem Manuskript steht, muss wirklich bis zur allerletzten Seite dran bleiben. Nur so als Vorwarnung.
Was gibt es Neues?
Nur wenige Fragen reichen Perdu auf seinem Bücherschiff um zu verstehen, was die Probleme und Bedürfnisse seiner Kunden sind. Durch seine literarische Spannweite wählt er passende Lektüre aus und macht sie glücklich. Also eine Buchhandlung, bei der nicht die Kundschaft die Bücher auswählt, sondern der Lesestoff vom Händler ausgewählt wird. Was auch schon zur einen oder anderen Diskussion geführt hat. Viele Buchtitel und die beinhaltete Thematik fallen im Verlauf der Seiten. So verweist er auch immer wieder auf zahlreiche berühmte, aber auch unbekannte Schriftsteller. Die eine oder andere Leseempfehlung ist durchaus dabei.
Astrid Lindgren und Franz Kafka
Interessante Figuren gehen an Bord: Neben einem verzweifelten werdenden Vater und Kinderbuchautor gehören ein pubertierender, kratzbürstiger Teenager mit großer Klappe und Hang zur Romantik und ein traumatisiertes Kind, das nicht mehr spricht, dazu. Viele Themen werden in die Hauptgeschichte um Perdu eingeflochten. Vaterschaft, Selbstzweifel, Liebeskummer, Trauer, Eifersucht und Findungskrisen. Diese geballte Ladung kann als zuviel für die Seiten empfunden werden, wodurch die Gefahr besteht, die eine oder andere Sache unglaubwürdig zu finden. Beispielsweise die Wasserpolizei im Champs Élysées-Hafen wirkt beinahe wie aus einer schlechten Komödie. Auf den Kanälen Frankreichs wird das Schiff eine Art Arche, auf der sich Menschen, Kinder, Tiere und Bücher begegnen. Ein Seelenort, der ihnen Hoffnung und Orientierung gibt. Für den Seelenfrieden sorgen auch die gemütlichen Katzen Lindgren und Kafka.
Ein kleines Inhaltsverzeichnis
Bereits in seinen Anfängen auf dem Bücherschiff arbeitete Perdu an seiner „Großen Enzyklopädie der kleinen Gefühle – Handbuch für Buchhändlerinnen, Buchhändler und andere literarische Pharmazeuten.“ Am Ende jedes Kapitels finden sich Ausschnitte daraus, in denen Perdu besondere Empfindungen des Lesens erklärt. Was bedeutet beispielsweise Lese-Lampenfieber? Die Anhänge unterbrechen zwar die Haupthandlung, indem sie sich dazwischenschieben, sollten jedoch genossen werden. Teilweise passen die Einträge auch zum vorangegangenen Kapitel. Für alle Lesenden gibt es Ratschläge und Tipps, die beherzigt werden können, natürlich mit Abstrichen. Lässt man den Aha-Effekt jedoch zu, wird er mit Zustimmung belohnt und es entstehen die sogenannten „So ist es“-Momente.
Augen schließen und genießen
Nina George schildert die Reise über die Flüsse und Kanäle Frankreichs. Vor Perdus Aufbruch erfahren die Lesenden, was aus seinen Bekannten und Freunden geworden ist, die im Roman Das Lavendelzimmer der Autorin eine Rolle eingenommen haben. So mag man den Roman als selbstständige Fortsetzung bezeichnen, jedoch bedarf es keines Vorwissens, um das Bücherschiff und die enthaltenen Figuren nachzuvollziehen. Ihr ist es mit Leichtigkeit gelungen, die Liebe und Leidenschaft zu Büchern und dem Lesen weiterzugeben. Ohne Umschweife zeigt sie, welche Kraft Literatur besitzt. Sie weckt durch ihren Schreibstil die Sehnsucht nach Frankreich, der Provence und einem gemütlichen Abend mit Freunden, gutem Essen und einer passenden Geschichte. Auf dem Schutzumschlag des Covers sind das Bücherschiff und eine Brücke über die Seine zu sehen. In einem zarten lila gehalten, erinnert es an die Provence.
Fazit
Bücher sind Spannung, Hilfe, Emotionalität, Freude. Sie sorgen für Bauchschmerzen vom Lachen, für Kopfschmerzen und Durcheinander, wenn man verzweifelt versucht, den Text zu verstehen und noch für so viele weitere Empfindungen. Das Bücherschiff des Monsier Perdu bietet verschiedene Momente, die Nina George ineinander geflochten hat. Auch ohne Das Lavendelzimmer zu kennen, liest sich die Geschichte flüssig und verständlich. Bis zum Ende war auch der hier Schreibenden nicht bewusst, dass es sich um eine selbstständige Fortsetzung handelt. Eine Botschaft wird im Laufe der Handlung immer wieder aufgegriffen: Man muss nicht jedes Buch lesen, nur weil es auf der Bestsellerliste steht. Erst recht muss man es nicht zu Ende lesen, wenn es einem nicht gefällt. Etwas irreführend, doch regt zum Nachdenken an. Der Roman musste jedoch nicht abgebrochen werden, da er sich dank der Beschreibungen, Figuren und der Handlung angenehm lesen lässt.