Der Outsider

Wenn ein Kind ermordet wird, kochen die Gefühle über. Doch was, wenn der vermeintliche Täter an zwei Orten gleichzeitig war und alle logischen Erklärungen versagen? In Der Outsider, erschienen am 27. August 2018 beim Heyne Verlag, wagt sich Bestsellerautor Stephen King (Schwarz – Der Dunkle Turm) erneut in den Krimibereich. Jedoch müssen Horrorfans sich nicht abwenden, denn der Meister des Grauens lädt erneut in die dunklen Abgründe unserer Welt ein. Der Erfolg in den USA veranlasste bereits die Planung für eine Serienumsetzung, was uns noch neugieriger auf den Roman gemacht hat. Werfen wir also einen Blick in die über 700 Seiten starke Geschichte.

    

Alle Spuren vom Tatort und Zeugenaussagen laufen auf nur einen Täter hinaus: Terry Maitland, Englischlehrer, Vater zweier Töchter und Coach der hiesigen Jugendbaseballmannschaft. Während eines entscheidenden Spiels der Season wird der Tatverdächtige vor den versammelten Mannschaften und Zuschauern in Gewahrsam genommen. Ralph Anderson, Detective der Stadt Flint City kann es immer noch nicht glauben. Er kennt den beliebten Bürger der Stadt nur zu gut, denn er war der Trainer seines Sohnes. Aber alles deutet darauf hin, dass Maitland den elfjährigen Jungen Frank Peterson auf brutale Art und Weise umgebracht und die Leiche geschändet hat. Bei der ersten Befragung ergibt sich jedoch ein Problem. Laut seiner Aussage befand sich Terry zur Tatzeit mit Kollegen bei einem Englisch-Seminar in Cap City. Und wenn das nicht schon genug ist, wurde er bei einer Lesung des berühmten Autors Harlan Coben auch noch gefilmt. Wie kann das sein, dass eine Person an zwei Orten gleichzeitig ist? Für Ralph Anderson beginnt eine Ermittlung, die seine Vorstellung komplett auf den Kopf stellt.

Ein interessantes Schreibkonzept

Stephen King fackelt in Der Outsider nicht lange. Gleich auf den ersten Seiten wird Terry „Coach T.“ Maitland festgenommen. Damit der Leser weiß, was hier überhaupt los ist, werden immer wieder Berichte von Zeugenaussagen in die Handlung eingeflochten. Diese sind daran zu erkennen, dass sie wie ein Gesprächsprotokoll geschrieben sind. Ein interessantes Konzept für den Einstieg, das einem schnell erklärt, warum eine Verhaftung ohne erstes Verhör stattfindet. Durch die Aussagen und Fingerabdrücke an der Leiche ist für die Ermittler klar, dass es nur dieser eine sein kann. Dass Figuren und Leser daher eine Wut aufbauen, ist verständlich und King spielt hier sämtliche Karten aus, um alles für die Überraschung vorzubereiten: des wasserdichte Alibi. Selbst erfahrene Krimileser werden anfangen, nach Lücken zu suchen, sich jedoch wie Ralph die Zähne ausbeißen. Nachdem also auf den ersten Seiten dank des Schreibkonzepts die Neugier des Lesers geweckt wurde, wird ab dem Moment die Handlung sehr packend und spannend. Immerhin geht es darum, den wahren Täter zu überführen.

Figurenkonstellation

Die Ermordung eines Jungen erschüttert alle und wenn dann noch jemand verhaftet wird, kochen die Emotionen über. Der erzählerische Blickwinkel bleibt daher nicht nur bei Terry und Ralph, sondern wandert auch zu anderen Figuren, die involviert sind. Das zieht sich durch den kompletten Roman, was bei einer solchen Geschichte sehr gut passt. Immerhin hat Terry eine Familie, es kommen Anwalt und Staatsanwalt hinzu, weitere Detectives, die Angehörigen des Opfers und andere Personen, die etwas mit dem Fall zu tun haben. Die Anzahl der Figuren bleibt überschaubar, aber jeder wird Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet. Jedoch hat man beim Lesen nie das Gefühl, dass etwas zu ausführlich geraten ist und dadurch Spannung verloren geht. Vielmehr entsteht eine lebendige Geschichte, bei der alle Facetten beleuchtet werden. Emotionen spielen hier eine wichtige Rolle und um diese zu verstehen, bedarf es etwas Charakterprofil, welches King gewohnt gekonnt auf- und ausbaut.

Legenden und Übernatürliches

Originaltitel The Outsider
Ursprungsland USA
Jahr 2018
Typ Roman
Bände 1
Genre Krimi, Thriller, Horror
Autor Stephen King
Verlag Heyne

Im Laufe der Ermittlungen mischt sich der wahre Täter ein. Es wird nicht zu viel verraten, doch wandert Der Outsider auf den Spuren eines Wesens, dem die Spanier und Portugiesen seinen Namen gegeben haben. Da die Handlung der Geschichte nicht weit weg von Texas und Mexiko spielt — Überraschung, wir befinden uns einmal nicht im schönen Bundesstaat Maine — passt diese Wahl sehr gut. So konnten Legenden und Märchen eingebaut werden, die der Handlung eine gewisse dunkle, reale Nuance verleihen. Da lange Zeit Zweifel an der Existenz dieses Wesens bestehen, bekommt der Täter schlicht den Arbeitsnamen „der Outsider“. Das erklärt den Titel des Buches, jedoch stellt sich der Leser die Frage, warum der Begriff nicht auch übersetzt wurde.

Die kennen wir doch

Im Nachwort hat der Autor angegeben, dass viele Recherchen durchgeführt worden sind, was man merkt und positiv anrechnen kann. Immerhin müssen ein Detektiv und mehrere andere Personen dazu gebracht werden, vom logischen Teil loszulassen. Dafür bedarf es konkreter Beweise und anderer Erklärungen, welche ins Übernatürliche gehen. Um diesen Akt zu schaffen, fügt Stephen King hier eine Figur aus einer anderen Reihe ein: Holly Gibney aus der Bill Hodges Trilogie. Ab ca. der Hälfte des Romans spielt sie eine wichtige Rolle. Leser, die Holly bereits kennen, werden sich freuen sie wiederzu“sehen“, denn die Handlung setzt einige Zeit nach dem Ende von Mind Control an. Damit erfahren wir, wie es ihr seither ergangen ist. Im Laufe von nur wenigen Seiten mausert sie sich zu einer Hauptfigur, die die Ermittlungen in die richtige Richtung lenkt und den skeptischen Ralph emotional bearbeitet. Es ist geschickt von King, diese Figur hier einzubauen, da Holly Erfahrungen mit dem Übernatürlichen gemacht hat. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass Charaktere in andere Geschichten wandern. Wir werfen da nur einmal die Dunklen Turm-Bände ein. Leser, die Holly nicht kennen, werden trotzdem mit ihr zurechtkommen, da alles Wichtige aus ihrer Vergangenheit nacherzählt wird.

Verknüpfungswahn

Und wenn wir schon bei Verknüpfungen sind: Der Autor hat natürlich noch mehr eingebaut. Es wäre kein King-Werk, wenn nicht noch mehr versteckt wäre. Das Schicksal Terrys, mit seinem wasserdichten Alibi erinnert an das von Thad Beaumont aus Stark. Holly ist kein Fan von Stanley Kubricks Shining (Stephen King auch nicht) und das berühmte Ka aus der Dunkler Turm-Reihe ist auch hier bekannt. Edgar Allan Poes Kurzgeschichte William Wilson inspirierte den Autor nicht nur zu dieser Geschichte, sondern ist auch mehrfach in der Handlung erwähnt. Ganz nebenbei hat King, der ein bekannter Trump-Gegner ist, auch noch zwei Kritiken gegen den amtierenden Präsidenten eingebaut.

In die Dunkelheit

Die Spannungskurve bleibt beständig oben und steigt gegen Ende dennoch ein ganzes Stück an. Es geht schließlich darum, ein Monster zu besiegen! Der Leser weiß hier sogar von einigen Dingen mehr, weil wir auch den Blickwinkel einer weiteren Figur einnehmen, die nicht zu den Guten gehört. Je mehr es auf die letzten Seiten zu geht, desto öfter erwischt der eine oder andere sich beim Fingernagel kauen, fluchen und Tempotaschentücher ziehen. Erwartungen werden auf jeden Fall erfüllt und wie immer schafft es Stephen King, die eine oder andere überraschende Wendung einzubauen. Angenehm ist, dass es kein abruptes Ende gibt, sondern sich Zeit genommen wird, zu zeigen, wie es mit den Figuren weiter geht. Es ist befriedigend, dass versucht wird, den guten Ruf von Terry wieder herzustellen.

Ja, ich bin ein Stephen King Fangirl und auch wenn ich hier nur Positives zu berichten habe, liegt es wirklich daran, dass Der Outsider es verdient hat. Die Handlung weiß von der ersten Minute an zu packen und trotz der hohen Seitenzahl verändert sich dieser Zustand nicht. Wir springen zwischen vielen Figuren hin und her, aber es kommt nie das Gefühl auf, dass etwas zu ausführlich ist. Hier steckt viel Sorgfalt dahinter und das macht sich bezahlt. Es gibt viele sympathische Figuren und gerade Ralph wächst einem mit seiner Beharrlichkeit sehr schnell ans Herz. Es passt auch einfach, wie die unterschiedlichen Personen hier ineinandergreifen und so Wendungen entstehen, die nicht vorhersehbar sind. Zum Beispiel das, was mit der Familie des Opfers passiert. Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass Ollie vor dem Gericht erscheint und Terry erschießt! Ich ahnte zwar, dass etwas passiert, aber nicht, dass der Junge plötzlich mit einer Waffe auftaucht. Dass der Vater darauf hin sich selbst umbringen will, kann ich verstehen und hier wird nicht ohne Grund die Frage aufgeworfen, ob man ihn nicht hätte sterben lassen sollen. Es ist einfach nur grausam, wie dieses Monster die Leute manipuliert hat, um so eine Situation zu schaffen.  Mir gefällt besonders gut, wie die Handlung immer weiter vorangetrieben wird. Die Ermittlungen ruhen nie, auch wenn die eine oder andere Wendung einem den Anschein vermittelt. Das Finale ist unheimlich — das im wahrsten Sinne des Wortes! — spannend. In so eine Höhle, in der Leute verunglückt sind, möchte ich so schon nicht reingehen und erst recht nicht, wenn dann noch eine Wesen auf einen wartet. Na dann prost Mahlzeit! Ich dachte aber wirklich, dass Ralph schießen würde, doch Holly überrascht hier alle und haut das Ding einfach um. Bill wäre stolz auf sie und bei diesem Gedanken werde ich schon wieder traurig, da ich diese Figur sehr vermisse. Ich finde es daher schön, dass an ihn hier immer wieder gedacht wird. Sehr traurig stimmt mich, dass es leider zwei der Figuren erwischt. Beide sind mir sehr sympathisch und haben dieses Ende nicht verdient.  Ich finde übrigens das Cover extrem schick und bin daher froh, diesmal nicht auf die Taschenbuchausgabe gewartet zu haben. Von mir bekommt Der Outsider volle Punktzahl und eine breite Leseempfehlung.

©HEYNE

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Aki

Aki verdient ihre Brötchen als Concierge in einem großen Wissenstempel. Nie verlässt sie das Haus ohne Mütze, Kamera oder Lesestoff. Bei ihren Streifzügen durch die komplette Medienlandschaft ziehen sie besonders historische Geschichten an. Den Titel Sherlock Holmes verdiente sie sich in ihrem Freundeskreis, da keine Storywendung vor ihr sicher ist. Dem Zyklus des Dunklen Turms ist sie verfallen. So sehr, dass sie nicht nur seit Jahren jeden winzig kleinen Fetzen zusammensammelt. Nein, sie hat auch das Ziel, alles von Stephen King zu lesen.

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