Deutsche Heldensagen
Ritter, Riesen, holde Maiden, aber auch Vergewaltigung, Brandstiftung und Zerstörung. Klingt nach Game of Thrones, umschreibt aber in Wahrheit die deutschen Heldensagen – quasi die Wiege der „Crime-Fantasy“ und zeitloser Stoff. Ein Stoff, den der Insel Verlag unter eben jenem Titel Deutsche Heldensagen nun in einem neuen modernen Gewand herausgebracht hat, mit den Illustrationen des Berliner Designers und Künstlers Burkhard Neie.
Der Band Deutsche Heldensagen basiert auf der Nacherzählung von Gretel und Wolfgang Hecht aus dem Jahre 1969 und vereint vier germanische Heldensagen aus der mittelhochdeutschen Epoche: Dietrich von Bern, Wieland der Schmid, Walter & Hildegunde und Hilde & Kudrun. Die Hecht’sche Nacherzählung hatte es bereits 1980 auf den Markt geschafft, allerdings in einer etwas üppigeren Version, die u.a. auch die Nibelungensage enthielt. Diese wurde nun für die Neuausgabe 2018 wieder herausgenommen, aber der geneigte Fan muss sich dennoch nicht sorgen: Die Nibelungensage wird im September 2019 eine neue, separate Ausgabe erhalten, auch im Insel Verlag und auch wieder illustriert von Burkhard Neie.
Alte Sagen …
Originaltitel | Deutsche Heldensagen |
Ursprungsland | Deutschland |
Jahr | 2018 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Sagen, Historie |
Autor | Gretel und Wolfgang Hecht |
Verlag | Insel |
Wer befürchtet, dass sich eine Nacherzählung aus den 60ern verschwurbelt und fad liest, der irrt. Die Texte von Gretel und Wolfgang Hecht lesen sich überraschend gut weg. Der Sprachstil ist modern, nüchtern und ohne Strecken – ähnlich kurzweilig wie Märchen und mit ebenso simplen Figuren, bei denen es sich allesamt um keine individuellen Charaktere handelt. König Dietrich von Bern etwa ist wankelmütig wie ein Lämmerschwanz: Auf der einen Seite erscheint er als nachgiebiger Vollsympath, der seinem Feind sogar die letzte Ehre erweist, auf der anderen Seite zieht er als Aggressor los und bricht einen Krieg vom Zaun weil er den Rosengarten des Zwergenkönigs platt trampelt. Auf der einen Seite will er das gesamte Zwergenvolk vernichten, auf der anderen Seite begnadigt er den Zwergenkönig aus einer uneinsehbaren Laune heraus (begnadigen wofür eigentlich? Dietrich hat doch angefangen). Man hat hier also keine wirklich nachvollziehbaren Figuren vor sich, die einen berühren und in eine Welt entführen, sondern Schablonen – wie im Märchen eben. Darüber hinaus kann es auch leicht passieren, dass man bei den ganzen Dietwarts, Diethers und Dietmars den Überblick verliert. Aber die Besonderheit, mit der sich das Buch Deutsche Heldensagen brüsten kann, sind auch viel weniger die Sagen, als vielmehr das Drumherum, sprich die Aufmachung.
… in zeitgemäßem Gewand
Denn die Deutschen Heldensagen sind vor allem etwas für die Büchernarren unter uns. Das Papier, die Gestaltung, die Bilder: der gemeine Bibliophile erlebt hier den kleinen Tod. Es ist das vierte Buch, das Burkhard Neie für den Insel Verlag illustriert hat. Durfte er zuvor bereits die deutschen Volkssagen und die deutschen Balladen in ein schmuckes Gewand stecken, so bewegt er sich dieses Mal in der Heldenepik. Vor dem Hintergrund gemaserter Holztafeln lässt Neie Szenen und Portraits entstehen, die allesamt aus einem kostspieligen Graphic Novel stammen könnten – eingefasst in wie Teppich geknüpfte Rahmen, mit symbolträchtigen Silhouetten versetzt und mit Cutout-Filtern belegt, die dem Ganzen eine comicmäßige Ästhetik verleihen. Eines der Porträts zeigt sogar den ehrwürdigen John Malkovich als erhabenen Edelmann, der hochnäsig auf den Leser blickt. Hat man’s also wieder mal dran gegeben, charakterliche Unterschiede zwischen Dietmar und Diether zu ziehen, so kann man sich stattdessen durchaus an den Bildern erfreuen.
Fazit
Ich hab’ irgendwie angestaubte Erzählungen erwartet, dann aber doch etwas völlig anderes bekommen. Zwar hat die Hecht’sche Nacherzählung aus dem Jahre 1969 nun auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, trotzdem lesen sich die Texte gut weg und haben nichts an ihrer Faszination eingebüßt. Auf die Gefahr hin, die klassischen Literaturgourmets unter uns zu brüskieren: Stellenweise fühle ich mich als Gamer sogar in die Welt von The Witcher versetzt. Der Held lootet nach Tötung des Riesen dessen ganzen Besitz, Ritter laufen mit aufgewerteten Rüstung herum die sogar im Dunkeln leuchten, die von Zwergen geschmiedeten Schwerter tragen allesamt Namen und der Zwergenkönig selbst benutzt im Kampf ‚Tarnkappen‘ und anderes Zauberzeug. Dazu kommen Crime-Themen wie Vergewaltigungen, Treuebrüche, Brandstiftung, Vandalismus etc. – ja, es liest sich modern. Allein wenn man sich die Sage von Wieland, dem Schmid zu Gemüte führt: Wieland, der ein Zauberschwert erschafft, den König vergiften will, zur Strafe die Beinsehen durchtrennt bekommt, sich rächt indem er die Königskinder vergewaltigt und tötet und deren Knochen mit Gold überzieht und in einem Anflug von makabren Humor dem König als teures Tafelgeschirr unterschiebt… – eines Georg R. R. Martins würdig, huh? Deutsche Heldensagen ist eine lohnenswerte Anschaffung für Sammler schöner Bücher und Fans antiker Fantastik.
© Insel Verlag