Kemet: Die Götter Ägyptens
“Was wäre, wenn… ?” Stellt man einem Schriftsteller diese Frage, dann fängt es im Kreativoberstübchen in den meisten Fällen an zu klappern und zu rumoren, bis besagte Frage auf hoffentlich zufriedenstellende Art und Weise beantwortet ist. In der Anthologie Kemet: Die Götter Ägyptens haben sich etliche schreibgewandte Autorinnen und Autoren mit der Frage beschäftigt: “Was wäre, wenn die Götter des alten Ägyptens sich heutzutage unter uns aufhielten?” Die Antworten decken ein weites Feld von Fachbereichen, Örtlichkeiten und Ambitionen ab und erklären unerklärliche Vorkommnisse wie Krokodile in der Kanalisation und moderne Hieroglyphen. Und damit der Leser den vielleicht wenig vertrauten Gottheiten nicht ganz hilflos ausgeliefert ist, führt ein informatives Vorwort kurz in die ägyptische Götterwelt ein, während eine praktische Gebrauchsanleitung für den Umgang mit meist leicht reizbaren Überwesen den Abschluss bildet. Werfen wir also im Sinne des ägyptischen Sprichworts “Nichts ist so dunkel wie die Unwissenheit” einen Blick in die Anthologie.
Kemet ist der alte Name für Ägypten, doch seit jener Zeit, als die Götter noch präsent waren, ist eine Menge schlammiges Wasser den Nil hinuntergeflossen. Die Pharaonen gibt es nicht mehr, die Pyramiden dienen als Touristenattraktionen und statt auf Kamelen bewegen sich die Menschen motorisiert fort. Der Arbeitsmarkt für Götter liegt darnieder. Mangels Aufmerksamkeit haben Re, Horus, Seth und Co. sich in die ganze Welt zerstreut. Im Hier und Jetzt versuchen sie, ihre Bestimmung [wieder] zu finden – mit teilweise überraschenden Erkenntnissen und Ergebnissen.
Ziel: Weltherrschaft
Originaltitel | Kemet: Die Götter Ägyptens |
Ursprungsland | Deutschland |
Jahr | 2018 |
Typ | Kurzgeschichten |
Bände | 1 |
Genre | Fantasy |
Autor | Udo Brückmann, Jessica Iser, Corinna Schattauer, Marcus Rauchfuß, Axel Pirker, Melanie Vogltanz, Martin Rüsch, Caroline Strack, Markus Cremer, Jenny Wood, Tino Falke, Daniel Müller, Akram El-Bahay |
Verlag | Art Skript Phantastik |
Was machen eigentlich Götter ohne Anbeter? Sie versuchen, die neue Welt mit ihren menschlichen Ressourcen für sich zu erschließen. Bevor der Leser aber einen Blick auf die ganz individuellen Anpassungsfähigkeiten einst erhabener Wesen wirft, stößt er auf das Vorwort von Akram El-Bahay (Flammenwüste). Hier holt der eine oder andere mit den Gegebenheiten nicht ganz so Vertraute erleichtert Luft, denn El-Bahay erklärt kurz und unterhaltsam zusammengefasst, wer wann was mit wem und warum (oder auch warum nicht) hatte. Der darauf folgende Prolog Das Auge der Macht von Udo Brückmann (Ewig blüht das Leben) hinterlässt den nachhaltigen Eindruck, dass die alten ägyptischen Götter keinesfalls beabsichtigen, noch länger ignoriert zu werden, und unter Umständen ziemlich medienwirksam auf sich aufmerksam machen wollen. So erfährt der Leser in der ersten Geschichte Das groteske Tagebuch des Anubis von Jessica Iser (Kurzgeschichte in Briefe aus dem Sturm) von göttlichen Eroberungsplänen in Darmstadt. Während Anubis sich noch über seine Beschreibung in der lokalen Tagespresse aufregt, arbeiten seine göttlichen Kollegen bereits am Beginn der Weltherrschaft. Doch Anubis erhält bei seinem Versuch sie aufzuhalten überraschende Hilfe. Ganz auf sich gestellt muss sich dagegen Chepre in Die Wiedergeburt des schillernden Gottes von Axel Pirker durchschlagen, was in der Gestalt, in der er unterwegs ist, gar nicht so einfach ist. ln Der Schrei des Falken von Corinna Schattauer (Kurzgeschichte in Steampunk Akte Deutschland) kehrt Bastet nach langen Jahren mit ihrer Schwester nach Ägypten zurück, um eine drohende Katastrophe zu verhindern. Selbst mit der Unterstützung von Anubis ist der Erfolg nicht vorprogrammiert.
Vom Internet, praktischen Unternehmen und Ermittlungen
Aber es muss ja nicht immer gleich die totale Weltherrschaft sein. Thot zum Beispiel hat sich gemütlich eingerichtet. Er hat nichts dagegen, für sich zu bleiben, wenn er in Der größte Tempel der Geschichte von Marcus Rauchfuß (Das Obsidiantor) vor seinem Computer sitzt und in den Weiten des Internets unterwegs ist. Lediglich die Katzengöttin Bastet schaut ihm manchmal neugierig über die Schulter. Marcus Cremer (Kurzgeschichten über Archibald Leach) berichtet über Toeris Geschäftssinn. Der Name The Crocodile Splash Toilet Company ist Programm, und so bodenständig wie dieses weltweite Unternehmen zeigt sich auch die kleine, unterschätzte Göttin. Sie hat ihren Platz in der Gegenwart gefunden. Anders als Ammit, die in der Geschichte Von Herzen von Tino Falke (Kurzgeschichten in Exodus) noch immer an ihre Vergangenheit gefesselt ist und ziellos durch die Welt reist. Jenny Wood (Zombie Zone Germany: Letzter Plan) nimmt den Leser mit auf die Arbeit von Mafed. Der ägyptische Totengott, einst dafür zuständig, den Verstorbenen den Weg durch die Dunkelheit zu zeigen, betätigt sich in Totenpfade passenderweise als Gerichtsmediziner in New York.
Familiengeschichten und Überlebenstipps
Und wieder bestätigt sich, dass Familie wirklich anstrengend sein kann. Die Geschichte Schlangenseele von Martin Rüsch (Kurzgeschichte in Die Bibliothek der Tränen) spielt in Rio, wo sich Wadjet den Eroberungsplänen ihrer Schwester in den Weg stellt. In Tausend Jahre und ein Tag berichtet Caroline Strack (Kurzgeschichte in Grimms Märchen Update 1.1 – Froschkönig ungeküsst) von Isis’ Suche nach den verstreuten Überresten ihres Gemahls. Sie hätte Osiris gerne in einem Stück wieder bei sich, aber noch fehlt sein Herz. Melanie Vogltanz (Aurora Nox) folgt Seth auf seiner Harley Davidson auf dem Highway to Heliopolis. Der Kneipenbesitzer hat Ärger mit seinem Neffen Horus, der ihm die Zerstückelung seines Vaters Osiris noch immer übel nimmt. Der Eindruck, dass die ägyptischen Götter mitten unter uns leben, könnte den Leser spätestens nach dieser letzten Geschichte ziemlich verunsichern. Aber hier lässt Kemet: Die Götter Ägyptens keinen Bücherliebhaber im Stich. Göttliche Überlebenstipps von Daniel Müller erklären gut verständlich, welches Verhalten in der Gegenwart von Göttern dem eigenen Überleben dienlich ist. Das Schlusswort gehört Katharina Fiona Bode (Erasmus Emmerich und die Maskerade der Madame Mallarmé), der Herausgeberin der Anthologie. In Epi log, doch Heh sprach wahr sucht sie die Welt nach Göttern ab – und wird fündig.
Ein sinnliches Lesevergnügen
Die Antholgie Kemet: Die Götter Ägyptens des Verlags Art Skript Phantastik ist ein liebevoll zusammengestelltes Werk, in dem nicht nur unterhaltsame Geschichten zu finden sind. Es macht auch Freude, das Buch in die Hand zu nehmen. Die Anthologie präsentiert sich in einem in dunkelbraunen Farbtönen gehaltenen, glatten Cover, das auf den ersten Blick ziemlich unscheinbar wirkt. Aber genaues Hinsehen lohnt sich. Entweder blättert der Leser von Seite zu Seite weiter, wobei das leicht raue Papier sich sehr gefällig anfühlt, oder er springt dank der Inhaltsangabe, die sich auf einer der ersten Seiten befindet, direkt zur Geschichte seiner Wahl – leicht zu finden dank großer Überschriften und Seitenzahlen. Beim Durchblättern offenbaren sich eine kleine Schrift und verzierte Ränder an den Ober- und Unterkanten. Jede Geschichte beginnt auf einer rechten Seite, während auf der gegenüberliegenden linken Seite ein kurzer Text mit Informationen zum jeweiligen Autor zu finden ist. Insgesamt ist dem Buch anzumerken, dass viel Mühe und viele Überlegungen darin stecken, vielfältigen Geschichten eine angemessene Umgebung zu bieten. Ein rundes Werk in mehrfacher Hinsicht.
Fazit
Ich war schon gespannt auf Kemet: Die Götter Ägyptens, weil ich immer gerne Göttersagen gelesen habe, lange aber kein neues Buch zu fassen bekam, welches mich neugierig auf seinen Inhalt gemacht hätte. Die Vorstellung, was Götter wohl tun, wenn keiner sie mehr braucht, hat mich gelockt. Und ich bin mehr als zufrieden. Auf ihre ganz eigene Weise haben die Autorinnen und Autoren ihre Geschichten erzählt: unterhaltsam, mitreißend, manchmal zum Schmunzeln und manchmal mit einem Gedanken, der mich noch immer nicht loslässt.
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Klingt ein wenig nach American Gods aber das meine ich postiv. Ist auf jeden Fall ein Titel, denn ich mir merken sollte, denn ich stehe total auf Göttergeschichten.
Wem American Gods zu lang ist, der liegt mit Kemet durchaus richtig, würde ich sagen. Ist ja auch eine faszinierende Idee, was Götter heutzutage wohl machen würden, und manche Antworten bei Kemet klingen nach Menschen, die ich zu kennen meine…
Liest sich auch für mich als insgeheimen Ägypten-Fan ganz interessant. Und American Gods ist mir zu lang ;P
Es ist auch lang, das gebe ich zu. Aber gut geschrieben, wie ich finde. Die Geschichten in Kemet lesen sich doch zügiger.