Maschinen wie ich
Im Jahre 2019 einen Roman über humanoide Roboter zu schreiben, mag sich – obwohl das Thema alles andere als obsolet ist – irgendwie veraltet anfühlen. Unzählige Titel haben sich bereits mit der Bewusstwerdung von Androiden beschäftigt, zuletzt HBOs Brainteaser-Serie Westworld. Immerhin: Autor Ian McEwan (Abbitte) ist sich dieser Verspätung bewusst. Direkt auf der ersten Seite räumt der Ich-Erzähler Charlie ein, dass künstliche Menschen ein Klischee waren schon lange, bevor es sie gab. Was den Roman Maschinen wie ich allerdings interessant macht, ist nicht die Tatsache, dass McEwan mit Shakespeare- und Booker-Preisen gesegnet ist und die Hälfte seines Œuvres verfilmt wurde, sondern dass der Mann schlicht kein Sci-Fi-Autor ist. Das gibt der Geschichte um den Androiden Adam, der eine Dreiecksbeziehung mit zwei Menschen führt, eine andere und ganz eigene Note.
Das Jahr 1982: Charlie ist Anfang 30, hat keinen Job und verdient sein Geld als mittelmäßiger Aktienhändler von zu Hause aus. Nach dem Tod seiner Mutter nutzt er das finanzielle Erbe, um sich einen der ersten lebensechten Androiden zu kaufen: Adam. Ein seltenes und teures Exemplar, denn die Produktionsreihe ist limitiert auf zwölf Adams und 13 Eves (sämtliche Eves wurden zu Charlies Leidwesen schon nach Saudi-Arabien verkauft …). Zur gleichen Zeit verliebt sich Charlie in seine Nachbarin Miranda, die über ihm wohnt. Er beschließt Miranda die Hälfte von Adams Persönlichkeitsmerkmalen bestimmen zu lassen – quasi als Schachzug, um sie an sich zu binden. Als Adam schließlich fertig programmiert und aufgeladen erwacht, passieren zwei Dinge. 1.) Er verliebt sich in Miranda. Und 2.) Er offenbart Charlie, dass Miranda eine Lügnerin ist. Damit löst Adam eine Lawine aus, deren ethische Auswirkungen weitreichender sind als gedacht.
Die alternativen 80er
Originaltitel | Machines Like Me (and People Like You) |
Ursprungsland | Vereinigtes Königreich |
Jahr | 2019 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Drama, Science-Fiction |
Autor | Ian McEwan |
Verlag | Diogenes, Büchergilde Gutenberg |
Veröffentlichung: 22. Mai 2019 |
Maschinen wie ich ist eine Alternativweltgeschichte. Wird diese Form der Science-Fiction eigentlich gerne dafür genutzt, um zu zeigen, wie die Welt aussähe, wäre Hitler noch am Drücker, spielt McEwans Roman in einer alternativen Version der 80er Jahre – ganz ohne Stummelbärtchen und Seitenscheitel. Das Setting ist historisch zur Zeit des Falkland-Kriegs verankert. Vieles hier ist anders: England hat den Falkland-Krieg verloren, die Beatles sind wieder zusammen und Kennedy wurde von der Kugel verfehlt. Vor allem aber hat man auf dem Feld der KI den großen Durchbruch geschafft. Das liegt daran, dass Alan Turing, der gemeinhin als Vater der Künstlichen Intelligenz gilt, nicht aufgrund seiner Homosexualität verurteilt und einer chemischen Kastration unterzogen wurde. Er ist nicht an einer Depression erkrankt und hat in den 50ern auch keinen Suizid begangen. In Maschinen wie ich konnte Turing (nach “nur” ein paar Jahren Freiheitsstrafe) seine Forschungen weiter betreiben. Zum Ritter geschlagen, ist es ihm nun vergönnt, die Früchte seiner jahrelangen Arbeit vor sich zu sehen. Das und all die Dilemmata, die damit einher gehen.
Loser Charlie
Maschinen wie ich wird aus der Ich-Perspektive des Protagonisten Charlie erzählt. Nachdem er bei einem Steuerbetrug aufgeflogen ist, hat er für sich entschieden, dass Vollzeitbeschäftigung nicht so sein Ding ist. Er ist kulturell unterernährt und hat generell keine Ziele im Leben. Eine eher verwaschene Type also. Vor allem, da er uns zu Beginn des Romans auf einige gedanklichen Exkursionen mitnimmt, die von seinem Innenleben ablenken. Da wird zwischen Charlies Zehnagel-OP und dem Falkland-Krieg mal eben die Historie von Turing oder dem Naturforscher Leeuwenhoek abgewickelt, so dass Charlie selbst eher vage und fade bleibt. Das kann Absicht sein; immerhin gehört es zu seiner Figur, dass er nicht weiß was er will und in der Komplexität der Welt verloren wirkt. Das kann aber auch Ironie sein. Denn Fakt ist, dass die menschlichen Figuren Charlie und Miranda erst im Kontext ihrer wechselhaften Beziehung zu Adam Konturen bekommen und interessant werden.
Adam, der Hafenarbeiter vom Bosporus
Adam, vielleicht das einzige sympathische Wesen im ganzen Roman, ist eine Mixtur aus einem naiven Bub mit großen Augen und einem gereiften Philosophen der Aufklärung. Groß, athletisch und gut bestückt. Die Demütigung für Charlie erfolgt langsam, aber in mehreren Schichten. Adam wird zum Konkurrenten, sticht Charlie kräftemäßig aus, übertrumpft ihn auf dem Börsenmarkt und landet schon sehr früh mit Miranda im Bett. Hier spielt vielleicht nicht nur die Angst vor den Maschinen hinein, sondern auch die Angst vor anderen Ethnien. Charlie, als der mittelmäßige weiße Mann, wird hier von einem Androiden ausgestochen, der wiederholt mit einem »Hafenarbeiter vom Bosporus« verglichen wird. Doch Adam bleibt seinen »Besitzern« treu ergeben, auch wenn er lernt, sich immer mehr zu behaupten und schließlich seinen Aus-Knopf deaktiviert. Die Annahme von Charlie und Miranda, die ethische Autorität über Adam zu besitzen, führt zu einer Reihe von eskalierenden Konfrontationen. Manchmal passiert in den Szenen nichts weltbewegendes, und trotzdem weckt McEwan stets ein unterschwelliges Gefühl von bevorstehendem Unglück.
Drei Plots an der Zahl
Neben der ethischen Baustelle in Sachen Androiden, gibt es in Maschinen wie ich noch zwei weitere narrative Triebfedern. Einmal das dubiose Geheimnis um Mirandas Vergangenheit, das eine fragwürdige Form von Selbstjustiz und einen entlassenen Häftling, der sie umbringen will, beinhaltet, sowie den Subplot über ihre grimmig-leidenschaftliche Bindung an ein Pflegekind – was sie scheinbar erst einmal zu einem guten Menschen macht. Doch man kann nicht aufhören, Miranda gegenüber misstrauisch zu sein, wo Adam sie doch gleich zu Beginn des Romans als »systematische, böswillige Lügnerin« bezeichnet. Und man bleibt misstrauisch, auch wenn wir späterhin sehen, wie festgefahren (oder wunderbar idealistisch?) Adam in seiner Definition von Wahrheit und Lüge ist.
Weniger Hard-Sci-Fi, mehr Geisteswissenschaft
Obwohl das Thema der Geschichte in der Informatik verwurzelt ist, angefangen beim P-NP-Problem bis hin zu auf DNA basierenden neuronalen Netzwerken, ist Maschinen wie ich nicht als Hard-Sci-Fi zu verstehen. McEwans Ziel ist es, die moralischen Konsequenzen zu untersuchen. Es geht um moralische Perspektivrätsel, unlösbare Fragen der Verantwortung, die Gleichwertigkeit von organischem und künstlichem Bewusstsein und allgemein um die Ethik der KI. Turing selbst hat immer wieder ein paar Cameo-Auftritte und fungiert als Gewissen. Und natürlich untersucht McEwan als der Schriftsteller, der er ist, auch die Frage, was in der Zukunft, wenn sich Maschinen und Menschen annähern, mit der Literatur geschehen wird. Hierzu lässt Adam eine massive und beeindruckende Gedankenwolke vom Stapel. Kurzfassung: Es wird keine Romane mehr geben, nur noch Haikus.
Fazit
McEwans Maschinen wie ich ist eine retrofuturistische Alternativweltgeschichte, die sich in ihrer Form als Drama-Sci-Fi-Crossover vor allem an jene richtet, die sich normalerweise nicht für Sci-Fi interessieren. Verwundert auch nicht weiter nachdem McEwan in der New York Times sagte: »Nennen Sie mich einen Sci-Fi-Schriftsteller und ich komm zu Ihnen nach Hause und nagel den Kopf Ihres Haustieres an den Couchtisch.« Der Fokus der Geschichte liegt auf der robo-humanoiden Dreiecksbeziehung zwischen Adam, Charlie und Miranda und während sich McEwan daran entlang hangelt, untersucht er die moralischen Konsequenzen der Künstlichen Intelligenz und ob sie wirklich dafür gerüstet ist, die Komplexität der Welt und die Irrationalität der Menschen zu bewältigen. Maschinen wie ich ist elegant aufgebaut, der Schreibstil durch die Bank reizend und die Charakterdynamiken immer überzeugend. Eine grüblerische, sehr melancholische und gut geölte literarische Maschine.
© Diogenes, Büchergilde Gutenberg
Veröffentlichung: 22. Mai 2019