Nachtmeer: Dunkle Folklore

Das Meer. Ursprung allen Lebens, Schauplatz abenteuerlicher Geschichten, aber auch großer Tragödien wie der Titanic. Noch heute gibt es zahllose Wunder an diesem schier unendlichen Ort zu entdecken, weswegen es nicht überrascht, dass dieser Lebensraum bis heute die Fantasie der Schreibenden inspiriert. Die Herausgebenden Nina C. Hasse und Wolfgang Lamar suchten für ihre Anthologie Nachtmeer: Dunkle Folklore kreative Seeleute und fanden insgesamt 15 Freiwillige (hört ihr das muntere “Arr”?!), die sich mit der dunklen Seite des großen Wassers befassten. Seit dem 13. Mai 2021 können wir in eben diesen Geschichten in See stechen. Stellen wir uns also Geisterschiffen, Nebelvisionen und verführerischen, tödlichen Klängen und schützen noch dazu mit dem Kauf des Büchleins unser Wattenmeer.

 

Auf einem Schiff findet ein alter Kapitän zwei Überlebende, welche vom jeweils anderen behaupten, den Tod zu bringen. Nachdem zwei Leuchtturmwärter verschwanden, tritt eine hartgesottene Frau ihren Dienst auf einer kleinen Insel an. Allerdings gehen seltsame Dinge vor sich. Ein Forscherteam findet endlich ein versunkenes Schiff und noch etwas ganz anderes, was nur darauf wartet, Besuch zu bekommen. Der Klänge einer Sirene verführen einen armen Mann, eine Meerjungfrau sorgt für die Liebe im Leben eines alten Fischers und ab wann ist ein Seemann eigentlich zu alt, um zur See zur fahren?

Folklore mit modernen Einflüssen

Originaltitel Nachtmeer: Dunkle Folklore
Ursprungsland Deutschland
Jahr 2021
Typ Anthologie
Bände 1
Genre Horror, Fantasie
Herausgeber*innen Nina C. Hasse & Wolfgang Lamar
Verlag Selfpublishing
Veröffentlichung: 13. Mai 2021

Mit dem Gedicht „An Bord der Orion“ setzen wir unsere Lese-Segel und wünschen uns sogleich eine dunkle Nacht und einen baritonklingenden alten Seemann, der uns beim Schein einer kleinen Lampe die geschmeidigen Verse vorliest. Ein perfekter Einstieg, denn in den folgenden Geschichten treffen wir auf einige bekannte Elemente, wie Geisterschiffe, dem wohl bekanntesten Pirat der Geschichte, Sirenen, einer Meerjungfrau oder gar der Einsamkeit eines Leuchtturms. Doch wer denkt, dass wir es hier nur mit altbackenem Geschichten“zwieback“ zu tun bekommen, wird sich schnell verschlucken. Die Schreibfederschwingenden in Nachtmeer: Dunkle Folklore wissen, dass sie mit reinen alten Kamellen keinen mehr locken und mischten gerne neuzeitliche Elemente hinzu.

Geschlechter auf See

Vergessen ist das Bild von Seeverführerinnen, die alleine Männern den Tod schenken. Nein, Melanie Schneiders Medusa lässt das Herz einer Frau für die Rundungen einer Dame schlagen. Klassische Geschlechterrollen gehen nämlich hier gerne über Bord. In Anne Glunz’ „Windstille“ muss sich eine mysteriöse Kapitänin gegen ihre Mannschaft durchsetzen, Nina C. Hasse schickt eine Frau als Leuchtturmwärterin in die Einsamkeit und Karla Frida Sommer lässt in ihrer Geschichte das Herz eines Seemanns für einen anderen Mann schlagen. Gerade durch diese Elemente entsteht eine wirklich tolle Mischung der Figuren. Zwar überrascht nicht jeder Charakter, doch viele von ihnen sind sympathische Tragende ihrer kurzen Abenteuer. Wer würde schließlich einem alten, ehrbaren Kapitän nicht die Daumen drücken, wenn sein Ruhestand nur noch eine Segellänge entfernt ist?

Reisen über, unter und neben dem Meer

Die Schauplätze befinden sich natürlich in der Nähe des großen Wassers. Doch gibt es auch hier genug Abwechslung, da wir vor allem durch die Zeiten reisen. Während Bruno E. Thykes „Die letzte Fahrt“ im Jahre 1703 spielt, befinden wir uns plötzlich in der Neuzeit und tauchen mit einem U-Boot in die Tiefe. Von den steilen Küsten Schottlands, in die Karibik oder zurück in eine deutsche Hafenstadt – Abwechslung schreiben die Autor*innen groß. Besonders überraschend ist unter anderem, in welche Gefilde uns die Geschichten mitnehmen. In „Die Umlaufbahn der Skan“ wollen wir mit einem Metallschiff ins Sternenmeer aufbrechen und „Die Prinzessin und die Speihex“ klingt nicht nur wie ein altes Märchen. Bei so vielen unterschiedlichen Orten, Figuren, Ereignissen und Schreibstilen wird nicht jede Erzählung dem eigenen Geschmack zusagen. Doch gerade bei der Fülle sollte, wie bei einer Muschelsuche am Strand, auch die eine oder andere Perle dabei sein.

Fazit

Nachtmeer: Dunkle Folklore entpuppt sich als kreative Schatztruhe, in der nicht jede Geschichte wie eine wunderschöne Kette zum Lieblingsstück wird, doch enttäuscht keine davon als billiges Imitat. Dafür gibt es zu viele moderne Erzählelemente, wie etwa das Spiel mit den Figurenrollen oder gar den Schauplätzen und Handlungsabläufen. Für jeden Geschmack ist hier schlicht etwas dabei. Schade nur, dass die eine oder andere Geschichte ruhig noch länger sein dürfte. Gerade „Die Umlaufbahn der Skan“ wirkt wie der Prolog eines Romans, so liebevoll stellen sich die Figuren hier vor. Während hingegen andere genau auf den Punkt gebracht sind. Die Schreiberin dieser Zeilen verliebte sich vor allem in „Atme die Dunkelheit“, welches für sie sogar die perfekte Vorlage für eine Verfilmung wäre und „Der einsamste Ort der Welt“ für seine gelungene Auflösung, die wirklich überrascht. Hingegen ist ihr „Die Heilung“ etwas zu trashig, doch sie lobt gerne dessen Umweltbotschaft. Und von dem Eröffnungsgedicht hätte sie gerne ein Shanty!

© Nina C. Hasse & Wolfgang Lamar


Veröffentlichung: 13. Mai 2021

Aki

Aki verdient ihre Brötchen als Concierge in einem großen Wissenstempel. Nie verlässt sie das Haus ohne Mütze, Kamera oder Lesestoff. Bei ihren Streifzügen durch die komplette Medienlandschaft ziehen sie besonders historische Geschichten an. Den Titel Sherlock Holmes verdiente sie sich in ihrem Freundeskreis, da keine Storywendung vor ihr sicher ist. Dem Zyklus des Dunklen Turms ist sie verfallen. So sehr, dass sie nicht nur seit Jahren jeden winzig kleinen Fetzen zusammensammelt. Nein, sie hat auch das Ziel, alles von Stephen King zu lesen.

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