Dune: Die Graphic Novel
Dune. Seit Frank Herberts Roman Der Wüstenplanet Mitte der 1960er-Jahre erschien, steht dieser Name für unendliche Wüstenflächen, vermummte Einheimische, fremde Bräuche, riesige Kreaturen und unübersichtliche Freund- und Feindschaften. Der Autor schuf einen eigenen Kosmos, in dem das Fremde und das Vertraute sich ebenso gegenüberstehen wie das Alte und das Neue, und der bis heute fasziniert. Neben zwei wortgewaltigen Trilogien gibt es die literarische Erweiterung des Dune-Universums durch Herberts Sohn Brian und Kevin J. Anderson, die mit Dune: Die Graphic Novel vom gedruckten Wort zu colorierten Bildern wechseln und so die Geschichte noch einmal so ursprünglich wie möglich wiedergeben wollen. Der erste der drei geplanten Bände, herausgegeben vom Splitter Verlag, ist seit Dezember 2020 auf dem deutschen Markt erhältlich – und damit schneller als das Filmprojekt von Regisseur Denis Villeneuve (Blade Runner 2049), welches sich ebenfalls sehr eng an die Vorlage von Frank Herbert halten soll, es 2020 aber nicht mehr in die Kinos schaffte. Keine Frage, 2021 hat gute Chancen, das Wüstenplanet-Jahr zu werden, doch gelingt es der Graphic Novel auch, ihrem Anspruch auf „das pure Dune“ gerecht zu werden?
Als Herzog Leto Atreides von Imperator Shaddam IV. der unwirtliche Planet Arrakis als Lehen zugesprochen wird, der bis dahin von den verfeindeten Harkonnen verwaltet wurde, verlässt er seine Heimatwelt Caladan. Seine Mätresse Jessica und Paul, der Sohn der beiden, begleiten ihn. Eine völlig neue Welt erwartet die Atreides. Nicht nur, dass der Wechsel vom angenehmen Wasserplaneten zu einer lebensbedrohlichen Wüstenwelt große Ansprüche an die körperliche Anpassungsfähigkeit stellt, auch die politische Lage ist bedrohlich. Zum einen sehen die Fremen, Arrakis Ureinwohner, in Paul den ihnen prophezeiten Erlöser Muad’Dib, was Unruhen verspricht, da sie sehr unter der Herrschaft der Harkonnen gelitten haben. Zum anderen haben die Harkonnen nicht vor, Arrakis kampflos aufzugeben. Schließlich enthält der Sand des Wüstenplaneten das kostbare Spice, ein Gewürz, welches in größeren Mengen genossen als bewusstseinserweiternde Droge wirkt und unter großen Anstrengungen abgebaut wird. Es ist kaum erkennbar, wer Freund oder Feind, Verbündeter oder Verräter ist.
Eine gewöhnliche Familie
Originaltitel | Dune |
Jahr | 2020 |
Land | USA |
Genre | Science-Fiction |
Autor | Brian Herbert, Kevin J. Anderson |
Zeichnungen | Bill Sienkiewicz, Raúl Allén, Patricia Martín |
Verlag | Splitter Verlag |
Veröffentlichung: 18. Dezember 2020 |
Dune: Die Graphic Novel schickt ihre Protagonisten ohne große Erklärungen ins Abenteuer. Zunächst liegt der Fokus auf Herzog Leto Atreides, der sich seines Standes durchaus bewusst ist. Seine große Liebe hat er nur deswegen zu seiner Mätresse gemacht, um auf dem Heiratsmarkt den Anschein von Verfügbarkeit zu erwecken. Hinsichtlich politischer Möglichkeiten ist das sicherlich ein schlauer Schachzug, doch moralisch eher fragwürdig. Seinen Anordnungen haben sich alle zu fügen, auch die eigene Familie, und doch achtet er das Leben anderer Menschen mehr als teure Maschinen. Leto ist eher der gradlinige Typ, und dass seine Feinde versuchen, Paul zu ermorden und Jessica als Verräterin zu etablieren, bringt ihn in Wut, denn er liebt seine Familie. Lady Jessica steht an Letos Seite. Sie hat alles im Griff, ob Umzug, Abendgesellschaft oder das Verhör eines Verdächtigen. Dabei ist völlig klar, dass Letos Bedürfnisse für sie die erste Priorität besitzen, immerhin hat sie sich der Bene Gesserit Schwesternschaft, der sie angehört, verweigert und Leto statt einer Tochter den gewünschten Sohn geboren. Dank ihrer Ausbildung in der Schwesternschaft besitzt sie unschätzbare Fähigkeiten, die sie ihrem Sohn Paul weitervermittelt hat. Mit diesen Fähigkeiten und einer strikten Unterweisung durch Gurney Halley, den musikalischen Schwertmeister des Hauses Atreides, ist Paul zu einem jungen Mann geworden, der noch von anderen unterschätzt wird. Dabei steht er erst an der Schwelle einer Entwicklung, die tiefgreifender ist, als es jede Pubertät sein kann.
(Un)sichtbarer Verrat an jeder Ecke
Traue niemandem. Das ist der beste Rat, um zu überleben, denn das Intrigennetz in Dune: Die Graphic Novel ist dicht gesponnen und eine Unachtsamkeit wird schmerzhaft bestraft. Auch scheinbar vertrauenswürdige Charaktere wie Dr. Yueh, der dank seiner Konditionierung nicht in der Lage sein dürfte, seinen Arbeitgeber zu verraten, leben mit einem Schatten auf der Seele, dem sie nicht entkommen können. Das Interesse daran, dass das Haus Atreides untergeht, ist groß, nicht nur bei Baron Vladimir Harkonnen, der seinem Cousin den begehrten Planeten für die eigene Sippschaft wieder abjagen will. Wie sich herausstellt, werden die Fäden von ganz oben gezogen. Während die Bene Gesserit Schwesternschaft, vertreten durch Mutter Gaius Helen Mohiam, für Herzog Leto eine Tochter befohlen hatte und sich nun für Paul interessiert, tritt Imperator Shaddam IV. nur in Erwähnungen und Befehlen in Erscheinung. Und sein Arm ist lang, er reicht sogar bis zu dem Fremen Liet Kaynes, dem Planetologen von Arrakis, der vom Imperator den Befehl erhielt, Leto Atreides zu verraten.
Eine Wüstenwelt wächst
Dune: Die Graphic Novel besitzt eine lange Vorgeschichte. Gemeinsam mit dem Bestseller-Autoren Kevin J. Anderson (Saga der Sieben Sonnen) hat Brian Herbert (The Timeweb Chronicles) den sechsbändigen Zyklus seines Vaters um einen eigenen achtbändigen Zyklus und eine Reihe von Kurzgeschichten ergänzt, in dem die Schicksale der Protagonisten ihren Platz gefunden haben. Zudem wird mit den ebenfalls gemeinsam verfassten Trilogien Der Wüstenplanet – Die frühen Chroniken und Der Wüstenplanet – Die Legenden ein Blick in die Vergangenheit Leto Atreides und die 10.000 Jahre entfernten Vorgänge geworfen. Durch diese intensive Arbeit gehört Frank Herberts Dune-Universum zu den komplexesten Konstrukten der Science-Fiction-Literatur. Gesellschaftliche Fragen wie Industrialisierung und Gleichberechtigung finden sich im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie ebenso wieder wie die Auswirkungen von Machtmissbrauch. Selten scheinen die Protagonisten eine eigene Wahl treffen zu können, stattdessen schwimmen sie in einem Strom von Ansprüchen, die von Innen und Außen an sie herangetragen werden, ihrem Schicksal entgegen. Und das meint es meistens nicht gut mit ihnen. Ergänzt wird das Werk durch ein umfangreiches Glossar, in dem Personen, Organisationen und mehr beschrieben werden, was dem Textverständnis sehr zugute kommt. Auf diese Grundlagen stellen Brian Herbert und Kevin J. Anderson ihr Vorhaben, den Wüstenplaneten als Graphic Novel aufleben zu lassen, wobei das Original von Frank Herbert im Mittelpunkt stehen soll.
Die Macht der Bilder
Mit seinem ansprechenden Titelbild weckt der großformatige erste Band von Dune: Die Graphic Novel sofort Interesse. Satte Rottöne und verschwommene Umrisse, dazu zwei Sonnen – besser kann der geheimnisvolle Wüstenplanet nicht dargestellt werden, auf dem sich Schicksale entscheiden werden. Hier hat Comiczeichner und Illustrator Bill Sienkiewicz (The New Mutants) wieder einmal unter Beweis gestellt, dass er ein Händchen für kraftvolle und aussagekräftige Titelbilder hat. Dem steht die zeichnerische Umsetzung der Geschichte in nichts nach. Den unter anderem durch DC und Vailant Comics bekannt gewordenen Künstlern Raúl Allén und Patricia Martín ist es gelungen, Landschaften und Charaktere eindrucksvoll darzustellen und durch die passende Farbgebung eine stimmige Atmosphäre zu erzeugen. Dabei passt sich die Paneleinteilung den Inhalten an, was besonders an der Stelle seine volle Wirkung entfaltet, als die Rettung der Arbeiter aus der Spice-Fabrik mit dem Eintreffen des Sandwurms ihren Höhepunkt erreicht: Beim Umblättern dominiert die Darstellung des Sandwurms, die die unteren drei Viertel der Doppelseite einnimmt, wodurch die Größe und Kraft der Wüstenkreatur einen besonders intensiven Eindruck hinterlässt. Oft werden Gesichter ganz aus der Nähe betrachtet und sprechen ihre eigene Sprache, erklärende Worte sind unnötig. Optisch betrachtet macht dieser erste Band einen gewichtigen Eindruck und greift die Stimmung, die der Originalroman beim Lesen vermittelt, perfekt auf.
Wieviel Original ist in Dune: Die Graphic Novel?
Mit dem Anspruch, Frank Herberts Epos um die Wüstenwelt Dune originalgetreu wiedergeben zu wollen, sind Brian Herbert und Kevin J. Anderson zu Werke gegangen. Aber haben sie erreicht, was sie sich vorgenommen haben? Auf jeden Fall! Eine Warnung vorweg: Wie schon der Roman macht es die Graphic Novel den Leser*innen nicht leicht, in die Geschichte einzusteigen. Begriffe wie Bene Gesserit, Mentat oder Fremen ergeben sich ebenso wie politische und gesellschaftliche Gegebenheiten erst aus dem Kontext heraus, wobei in der Graphic Novel das praktische Glossar fehlt. Fehlen tun allerdings auch die seitenlangen, ausufernden Erklärungen, die das Original zu bieten hat. Diese ergeben sich neben den Gedanken und Gesprächen der Protagonisten durch die Bilder und fordern so ein hohes Maß an Aufmerksamkeit ein. Doch das schmälert das Lesevergnügen keinesfalls, im Gegenteil. Die dargestellten Szenen reihen sich wie bunte Perlen auf einer Schnur nacheinander auf und führen geradlinig durch die Geschichte, wobei die Schauplätze sich nahtlos abwechseln. Steht im ersten Moment noch die Ehrwürdige Mutter Mohiam im Mittelpunkt, so befasst sich das nächste Szenario mit Baron Vladimir Harkonnen, um dann zu Leto und Jessica zu springen. In ihrer Gesamtheit ergeben sie genau das Bild, welches Frank Herbert mit Worten gezeichnet hat, ohne Signifikantes auszulassen, und lassen genügend Fragen, Unklarheiten und Andeutungen im Raum, um auf den nächsten Band gespannt sein zu dürfen.
Fazit
Dune und ich, wir haben etwas gemeinsam: das Alter. Den ersten Band von Frank Herberts Epos habe ich das erste Mal mit knapp zwölf Jahren gelesen – und so gut wie nichts verstanden. Dennoch hat mich diese Welt fasziniert, die Kulturen, Verschwörungen, Schicksale. Das Verständnis kam mit den Jahren, in denen ich mir die Zeit in den langen Sommerferien mit den unschlagbar wortgewaltigen Bänden vertrieb. Ich las die Geschichte nicht, ich lebte in ihr. Nicht immer einverstanden mit dem, was da vor meinen Augen passierte, das muss ich zugeben. Dune lehrte mich, kritisch zu lesen und nicht nur zu konsumieren. So verbinde ich mit diesem Werk viele Erinnerungen und Gefühle, und die habe ich in Dune: Die Graphic Novel wiedergefunden. Auch mit deutlich weniger Worten lebt Frank Herberts Welt in den Bildern von Raúl Allén und Patricia Martín genau so, wie sie in meiner Erinnerung lebt.
© Splitter Verlag
Veröffentlichung: 18. Dezember 2020