M.O.R.I.A.R.T.Y. – Das mechanische Imperium

Sherlock Holmes und Dr. Watson sind zwei der bemerkenswerten Figuren der Literaturgeschichte. Es ist vorstellbar, dass 1887 (dem Jahr, in dem sie beide das Licht der Welt erblickten) wohl kaum jemand diesen beiden Charakteren diese enorme Langlebigkeit prophezeit hätte, die ihnen innewohnt. Doch so ist es. Bis heute werden die Werke von Sir Arthur Conan Doyle immer wieder und in den unterschiedlichsten Medien neuinterpretiert. Nicht selten ist es aber auch so, dass ihnen komplett neue Geschichten auf den Leib geschneidert werden, jüngst geschehen in M.O.R.I.A.R.T.Y. – Das mechanische Imperium. Ob dieses neue Abenteuer aus der Feder von Fred Duval und Jean-Pierre Pécan dem Erbe Doyles auch gerecht werden kann, haben wir uns für euch angeschaut.

Die Handlung von M.O.R.I.A.R.T.Y. – Das mechanische Imperium setzt im Jahr 1899 ein; acht Jahre also, nachdem Holmes und Professor Moriarty in den Schweizer Alpen die Reichenbachfälle hinuntergestürzt sind. Im Nachklang zu Das letzte Problem stellte sich jedoch heraus, dass es nur der Professor war, der bei diesem verhängnisvollen Sturz sein leben lassen musste. Dennoch bahnt sich im Jahre 1899 eine politische Konspiration an, die stark an die Machenschaften des wohl berüchtigtsten Erzfeindes des ikonischen Meisterdetektivs erinnert. Diese reicht so weit, dass auch andere berühmte Figuren der Geschichte und der Literatur, und damit nicht nur jene, die sich in den Werken von Doyle wiederfinden, in die Geschehnisse eingespannt werden. Es ist nun einmal mehr an Holmes, all sein deduktives Können zum Wohle des britischen Imperiums einzusetzen.

Crossover und moderne Gesellschaftskritik

Originaltitel M.O.R.I.A.R.T.Y.
Jahr 2019
Land Frankreich
Genre Steampunk-Krimi
Autor Fred Duval, Jean-Pierre Pécau
Zeichner Stevan Subic
Verlag Splitter Verlag

Zunächst möchten wir auf die positiven Aspekte in M.O.R.I.A.R.T.Y. – Das mechanische Imperium eingehen. In diesem Sinne ist es immer irgendwie schön, wenn es zu einem Crossover zwischen den verschiedenen Literaturgestalten kommt. Man hat bei solchen Ereignissen durchaus das Gefühl, dass die Welt, in der man sich beim Lesen bewegt, größer ist als die eigentliche Fiktion. Es gibt einfach mehr als das, was man in den Darstellungen überhaupt entdecken kann. Das lässt einen das ganze Geschehen aufmerksames Verfolgen, da man nach Hinweisen auf weitere Zusammenhänge sucht. Das ist also pauschal schon mal sehr schön. Wenn es dann noch gelingt, der Vorlage des „fremden“ Charakters Tribut zu zollen, dann kann man durchaus zufrieden damit sein. Das ist hier auch sehr gelungen. Schließlich ist es nicht unbedingt einfach, die Geschehnisse der einen Fiktion in eine andere zu überführen, ohne dass sich die Kenner des Originals veralbert fühlen könnten.
Ebenso können wir hier sagen, dass die für eine Holmes/Watson-Story fast schon typische Verschwörung in ihrer Grundkonstruktion ebenso als gelungen deklariert werden kann. Es ist immer wieder schön, zu sehen, wenn eine geschickte Verdrehung und Umdeutung historischer Ereignisse gelingen. Werden diese Verdrehungen und Umdeutungen dann noch mit einer doch recht aktuellen kritischen Haltung gegenüber der Verzahnung von Politik und privatwirtschaftlichen Interessen und der einen oder anderen Hommage gewürzt, dann kann das Lesen tatsächlich zu einem Genuss werden.

Ein klassischer Holmes oder eine Modernisierung mit dem Holzhammer?

Schaut man sich die Klassiker von Sir Arthur Conan Doyle an, dann wird schnell klar, dass die Figur des Sherlock Holmes durchaus einer Modernisierung bedarf. Schließlich sind es Doyles Werke, die den Grundstein für eine spezielle Art der Kriminalliteratur gelegt hat, welche bis heute immer wieder kopiert aber auch verfeinert worden ist. Es ist nämlich nicht zu leugnen, dass auch ein Sherlock Holmes ein Produkt seiner Zeit ist, einer Zeit, in der die Forensik und die Deduktion sich überhaupt erst noch in der Wissenschaft und Kriminalistik flächendeckend etablieren musste.

Dass solche Erneuerungen funktionieren können, auch wenn sie auf verschiedenen Wegen vonstattengehen, haben nicht zuletzt die wohl populärsten Adaptionen der jüngeren Zeit aufgezeigt. So ist es den Machern der britischen Serie Sherlock durchaus gelungen, die Charaktere in die heutige Zeit zu katapultieren, ohne dass diesen ihr Kernkonzept verloren gegangen wäre. Das gelingt dadurch, dass sie sich auf die Kernkompetenzen konzentriert haben. Ein weiteres Beispiel, und ein Beispiel für einen anderen Weg, ist die sehr eigenen Interpretation Sherlock Holmes von Guy Ritchie mit Robert Downey Jr. in der Hauptrolle. Diese Darstellung zeichnet sich durch einen sehr viel höheren Körpereinsatz des Protagonisten aus. Auch wenn hier sehr an der Actionschraube gezogen wird, kommen seine deduktiven Kompetenzen dennoch nicht zu kurz.

In M.O.R.I.A.R.T.Y. – Das mechanische Imperium möchte dieses Vorgehen jedoch nicht so recht gelingen. Viel zu kurz kommen seine Detektivarbeit. Machte es früher immer den Reiz aus, Holmes bei seiner Arbeit zu beobachten, agiert er hier viel zu oft außerhalb des Sichtfelds der Leser. Was wir jedoch immer wieder zu Gesicht bekommen ist, wie er sich kämpfend und schleichend direkt in die Gefahr begibt. Das mag ja ganz spannend sein, doch denkt man hier irgendwann dann doch eher an einen James Bond oder einen Solid Snake. Von Sherlock Holmes, wie er einmal war, bleibt hier leider nicht mehr viel übrig. Es hätte uns sehr viel besser gefallen, wenn hier ein besseres Maß zwischen Action und anspruchsvoller Detektivarbeit gefunden worden wäre.

Hinzukommt, dass der Zeichenstil der Action nicht zuträglich ist. Zu sehr variiert die Physiognomie der Figuren und die Szenengeografie, als dass man die Charaktere in den unterschiedlichen Panels wiedererkennen würde. Oft haben wir uns dabei ertappt, wie wir uns gefragt haben, wer denn nun wo ist.

Mit der deutlichen Konzentration auf die Action verflacht auch die zunächst spannend angelegte Konspiration. Generell wird der Plot schnell sehr vorhersehbar, was nicht zuletzt auch dem weiter oben positiv erwähnten Gastspiel einer weiteren literarischen Figur geschuldet ist. Alles in allem verkommt dieser Sherlock Holmes-Beitrag am Ende sogar zu einem fast schon standardisierten Superheldengeplänkel, welche wir heute in so vielen Formen immer wieder erleben. Es sind einfach zu viele Motive, die wir von woanders her bereits kennen. Die Wendungen, die die Story hier und da zu bieten haben, verpuffen dadurch in einer Belanglosigkeit, die zu bedauern ist.

Fazit

M.O.R.I.A.R.T.Y. – Das mechanische Imperium ist eine dieser Fiktionen, die zunächst sehr vielversprechend beginnen und hier und dort immer mal wieder mit einer Hommage punkten können. Dabei ist die Ausgangslage sehr ansprechend und macht Hunger auf mehr. Schreitet man nun jedoch mit dem Lesen voran, bemerkt man leider, dass diese Graphic Novel einfach nicht immer weiß, was sie sein möchte. Ist es nun eine Kriminalgeschichte in der langen Tradition eines Sherlock Holmes? Ist es ein Actionspektakel, wie wir es vor allem aus dem Superheldengenre kennen? Ist es ein Infiltrations-Spionage-Thriller? Alles kommt einem dabei immer wieder irgendwie bekannt vor, was die Spannung oft erst gar nicht aufkommen lässt. Dennoch, M.O.R.I.A.R.T.Y. – Das mechanische Imperium ist einer dieser Titel, die schwer an dem Erbe der zentralen Figuren zu knabbern hat. Vielleicht würde das Ergebnis anders aussehen, wenn die Figuren einfach andere Namen tragen und damit ein vollkommen eigenständiges Abenteuer bestreiten würden.

© Splitter Verlag

Jack Napier

"Hast Du jemals im blassen Mondlicht mit dem Teufel getanzt?"

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