Radius: Rebellion (Band 1)
Science-Fiction hat es in Deutschland nicht leicht. Abseits des TV-Bildschirms wird es nur wenig konsumiert, viele wissen gar nicht einmal, was alles auf dem Markt ist. In den letzten Jahren gab es im Buchhandel immer mal wieder Wellen, die ein paar Science-Fiction-Titel in das Bewusstsein einer breiteren Masse spülten. Dennoch haben es Autoren und vor allem Autorinnen noch schwieriger als Schreibende von Fantasy-Literatur. Science-Fiction scheint ein Nischenprodukt zu bleiben. Zum Glück gibt es Verlage wie Splitter, die mutig junge, deutschsprachige Autorinnen und Zeichnerinnen unterstützen. Mit Radius: Rebellion von Katrin Gal kann man seit April 2019 eine dystopische Zukunft entdecken, die gesellschaftskritische Züge aufweist.
Einst musste ein irdischer Expeditionstrupp auf einem Planeten notlanden. Jeglicher Kontakt zur Erde ging verloren. Erstaunt stellten sie fest, dass der Planet bewohnbar war, jedoch ein paar außergewöhnliche Merkmale besitzt. Jahrhunderte später hat sich eine Zweiklassengesellschaft entwickelt, die den offenen Planetenkern als heilige Quelle verehrt. Doch die ausgenutzte Arbeiterklasse, welche die ressourcenreiche Hälfte Avon besiedelt, möchte sich gegen die Herrschenden auf Nova auflehnen, um ihr Autonomität zurückzubekommen. Die Novianer versuchen, die Rebellion zu zerschlagen, doch einst ging ein Experiment schief: Ein Virus tötete zwar viele Avonianer, die Überlebenden sind seitdem aber in der Lage, sich mit Synthetik zu verbinden. Wahre Cyborgs waren geboren. Die Rebellion konnte gestärkt weiterkämpfen …
Zwei Klassen, unterschiedliche Ansichten, ein Krieg
Originaltitel | Radius: Rebellion |
Jahr | 2019 |
Land | Deutschland |
Genre | Science-Fiction |
Autorin | Katrin Gal |
Zeichnerin | Katrin Gal |
Verlag | Splitter Verlag |
In einem 23 Seiten starken Prolog erfahren wir die Vorgeschichte zur eigentlichen Handlung von Radius: Rebellion. Trotz der Masse an Informationen wird direkt Spannung aufgebaut. Derjenige, der die Rebellen an den Beginn des Krieges zwischen Nova und Avon erinnert, gehört eindeutig zur Herrscherklasse. Auch die regelrecht cineastisch aufgebaute Story liest sich spannend. Dennoch steigt die eigentliche Handlung recht spät ein, was angesichts des Klappentextes ein wenig irritiert. Der Prolog hätte durchaus ein spannendes Prequel werden können, vor allem, wenn man es aktiver erzählt. Auch einzelne Schicksale hätten sich wunderbar darstellen lassen können. So wird angedeutet, dass einige der Nova-Bewohner das mit der Blutlinienreinheit nicht so ernst nahmen und Hybride entstanden. Die Adligen (weiße Hautfarbe, blonde Haare – man ahnt, was die Vorlage bildet) gegen die Avonianer (die alle restlichen Facetten der Menschheit abbilden). Durch diese Eigenschaften bekommt die Geschichte eine politische Ebene, die gerade in heutigen Zeiten präsenter denn je ist. Eine gute Grundlage bildet der Prolog, weil wir die wichtigsten Akteure sehen: Die Rebellen, ihren Anführer und eine neue Waffe.
Eine seltsame Verbindung
Die Idee mit dem Virus ist klasse. Wissenschaftler vergifteten eine Forschungsstation auf Avon, die den Planetenkern untersuchte. Dadurch verbreitete sich die Krankheit unter der Bevölkerung, von der eigentlich niemand überleben sollte. Diejenigen, die nicht starben, waren von nun an noch mächtiger. Um sich an Nova zu rächen, wollen sie nach Nova eindringen und dort ebenfalls das Virus verbreiten. Beim Versuch, ein Gegenmittel herzustellen kam es zu einer noch mächtigeren Mutation: eine Frau, die sich mit organischem Material verbinden kann. Hier beweist Katrin Gal in Radius: Rebellion ihre Kreativität: Bewusstseinsbeeinflussung ist nur eine der spannenden Ideen. Für den weiteren Verlauf dürfte eine Verschmelzung von Gedanken interessant werden. Auch sonst kann man in den Panels mit den Rebellen immer viel entdecken. Die spannendsten Symbiosen entstehen und geben oft sogar etwas über den dargestellten Charakter preis. An Möglichkeiten mangelt es Katrin Gal bestimmt nicht und sie weiß sie einzusetzen.
Höllenhunde
Mithilfe von Eliteeinheiten – Hellhounds genannt – versuchen die Adeligen, sich der Rebellion zu widersetzen. Und einer dieser Einsätze bestimmt den Hauptteil der Handlung von Radius: Rebellion. Den Widerstandskämpfern ist es gelungen, die Grenze zu durchbrechen und das Virus lokal freizusetzen. Durch Absperrungen gelingt es, die Ausbreitung zu verhindern. Die Schutzschilde legen aber auch jegliche Kommunikationstechnik lahm. Deshalb weiß niemand, was genau passiert ist. Also dürfen Tom Ravens, Tank, Surfer und Buster in die Grenzstation eindringen, um die Situation zu klären. Sie sind die Besten, das Alphateam. Und Freunde, jedoch kommt es oft genug zu Spannungen. Das Verschwimmen von Grenzen zwischen Beruf und Privatleben nimmt fast ein bisschen zu viel Raum in der Handlung ein. Zu kurz kennen wir die Charaktere, um die Gruppendynamik immer gut finden zu können. Zu Beginn ist es auch schwer, die Figuren auseinanderzuhalten, was sich jedoch schnell gibt.
Solider Start mit intensiver Farbgebung
Wenn man die kleineren Schwächen des Storytellings ignoriert, ist Radius: Rebellion ein solider Start in die vierbändige Reihe. Katrin Gal, auch als „Radacs“ bekannt, hat die ersten beiden Bände ihrer Science-Fiction-Comicreihe zuerst im Selfpublishing auf Englisch veröffentlicht. Splitter scheint ein Herz für deutschsprachige Künstler*innen, die sich den englischsprachigen Raum zunutze machen, zu haben, denn auch Myre ging einen ähnlichen Weg. Katrin Gal wird der Bezeichnung Konzeptionskünstlerin durchaus gerecht: Man erkennt beim Lesen vor allem ein klares Farbkonzept. Kühle, intensive Farben leuchten einem entgegen. Die kalten Töne spiegeln den Wunsch einer zu funktionieren habenden Gesellschaft wider. Der Effekt, den diese Farbgebung im Gegensatz zur Leidenschaft einer Rebellion hat, ist beeindruckend. Dennoch ist die Handlung noch etwas holprig, der erste Band eindeutig ein Auftakt zu einer Reihe, die sehr interessant zu werden verspricht.
Fazit
Radius: Rebellion hat mich sofort angesprochen. Auf der Leipziger Buchmesse 2019 besuchte ich den Messestand von Splitter und hätte den Titel gern sofort mitgenommen. Ich musste noch einen Monat warten, doch das hat sich gelohnt. Ich bin sehr angetan vom Zeichenstil und dem Farbkonzept des Comics. Zwar sehe ich ein paar Schwächen im Storytelling, jedoch hat Katrin Gal eine erfrischende Art, ihre Geschichte zu erzählen, was alles wieder ausgleicht. Ich würde mich freuen, im zweiten Teil der Reihe mehr über die Figuren und ihre Beweggründe zu erfahren. Vor allem der alte Mann, der einem eine Einführung in die Geschichte gibt, dürfte spannend sein. Die verarbeiteten Ideen wecken meine Neugier, was sich Katrin Gal noch einfallen lässt, weswegen ich etwas traurig bin, auf die Fortsetzung bis zum März 2020 warten zu müssen.
© Splitter