1978
Die argentinischen Onetti-Gebrüder Nicolás und Luciano haben sich als Regisseure im Horror-Genre längst einen Namen gemacht. Bis auf wenige Ausnahmen wie Francesca oder The 100 Candles Game treten sie im Doppelpack auf. Mit The Waters Left Behind und The Waters Left Behind: Scars schufen sie ein Backwood-Slasher-Doppel. Ehe eine mögliche Trilogie vollendet wird, geht es weiter mit einem anderen Subgenre: Ihr Film 1978 schlägt eine okkulte Richtung ein. Gewohnt brutal, aber deutlich düsterer als bei den beiden vorhergehenden Titeln geht es dieses Mal zu. Gleichzeitig bedient der Film Elemente des Politthrillers. Die deutsche Premiere fand auf dem Obscura Filmfest 2024 statt, wo wir den Film auf der großen Leinwand sehen konnten.
Wir schreiben den 25. Juni 1978: Argentinien steht gemeinsam mit der Niederlande im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft. Eine kleine Menschengruppe wird derweil von der Regierung entführt und mit brutalsten Foltermethoden verhört. Doch keiner weiß bis jetzt, dass die Falschen entführt wurden. Bald stellt sich heraus, dass die vermeintlichen Rebellen Mitglieder eines rituellen Okkults sind. Mit der Erkenntnis, dass die falschen Personen entführt wurden, wendet sich das Blatt sehr schnell und als die Lichter der Haftanstalt ausfallen, ist es zu spät …
Gravierende Menschenrechtsverletzungen während der WM
Originaltitel | 1978 |
Jahr | 2024 |
Land | Argentinien |
Genre | Horror |
Regie | Nicolás Onetti, Luciano Onetti |
Cast |
Hugo: Agustín Pardella
Carancho: Carlos Portaluppi Moro: Mario Alarcón Baviera: Jorge Lorenzo Alsina: Santiago Ríos |
Laufzeit | 81 Minuten |
FSK | Keine Angabe |
Titel im Programm des Obscura Filmfest 2024 |
Es ist wichtig, den politischen Kontext zu 1978 zu kennen, um das volle Ausmaß des Menschenbilds zu erfassen, das hier aufgemalt wird. Die Weltmeisterschaft, die vor Russland (2018) und Katar (2022) die größten politischen Debatten auslöste, war jene 1978 in Argentinien. Die WM 1978 dauerte 24 Tage, doch bis heute scheint sie nicht abgeschlossen zu sein. Tausende Menschen wurden während der Militärdiktatur verschleppt, viele tausend Menschen wurden gefoltert, rund 30.000 Menschen ermordet. Zu den Grausamkeiten zählen Verhaftungen, Massen-Folterungen und -Tötungen. Zweifellos sollte die WM aus Sicht der argentinischen Machthaber deren Herrschaft im Land stabilisieren. Argentinien besiegte die Niederlande 3:1 nach Verlängerung. Als im Estadio Monumental der Konfettiregen niederrauschte, wirkte Argentinien für einen Moment wie ein geeintes Land. Doch die Realität außerhalb des Fußballfeldes blieb die gleiche. Der Krieg gegen die ultralinke Untergrundarmee der Montoneros galt zwar als beendet, doch das Entführen, Morden, der Terror des Staatsapparates gingen weiter. Vor diesem Hintergrund ist 1978 zu verstehen, denn das WM-Finale schrieb Geschichte und mit einem faden Beigeschmack konotiert.
Politischer Horror
1978 leitet kurz innerhalb dieses Rahmens ein, tritt aber schnell aufs Gaspedal. Wer die Insassen und die verhörenden Männer sind, bleibt relativ egal. Wir erfahren wenig über sie, aber genug, um zu wissen, wer hier zu Unrecht eingebuchtet wurde. Einen eindeutigen Hauptcharakter im klassischen Sinne gibt es nicht. Die Onetti-Brüder packen dann schnell ihr Repertoire aus: instinktive Schocks und grausige Versatzstücke in Hülle und Fülle. Es geht nicht ganz so ultrabrutal zu wie bei ihren Backwood-Slashern, aber immer noch grafisch genug, um den Film mit einer Warnung zu versehen. Das ist auch bei rein politischem Interesse nichts für jeden Magen. Während das Grauen in alle Richtungen um sich schlägt, kleben wir nicht dauerhaft an denselben Charakteren: Sowohl bei den Gefangenen als auch den Verhörenden gibt es Personen, deren Schicksal wir begleiten. Die Spannung entsteht durch eine schwangere Frau in Gefangenschaft und die Notwendigkeit, sie vor der Geburt herauszuholen. Erzählerisch bleibt die Handlung dadurch etwas hängen, dass es an Figuren fehlt, die man aufgrund ihrer Persönlichkeit mag – und nicht nur aus Mitleid. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass der Film nicht für seine Figuren(zeichnung) in Erinnerung bleibt.
81 unbequeme Minuten
Die Jump-Scares sitzen und auch wenn man schon viele Gruselschocker gesehen hat, kann man den Hut vor der beängstigenden Atmosphäre ziehen. Nirgendwo fühlt man sich in der Nacht der Ereignisse sicher. Die zweite Erzählhälfte fällt im Vergleich zur ersten weniger stark aus. Hier verzetteln sich die Argentinier in Wiederholungen und rauschen auch etwas zu schnell auf ihr Finale zu, was schade ist, da der Film mit 81 Minuten schon vergleichsweise kurz ausfällt. Langeweile tritt aber gar nicht auf. Mit der vollen Dröhnung geschichtlichem Hintergrund, Folterungen, Zombies (mal mehr, mal weniger) und rituellem Kult passiert genug on-screen.
Fazit
1978 ist ein amtlicher Gruselschocker, der wieder einmal kompetent und souverän von Nicolás und Luciano Onetti inszeniert wird. Hier ist einfach teuflich viel los! Der politische Hintergrund ist brisant und die Verwebung der realen Geschichte mit okkulten Elementen verleiht einen erweiternden (fiktiven) Blickwinkel auf die grausamen Geschehnisse. Vorausgesetzt natürlich, dass man diesen besitzt: Als argentinischer Zeitzeuge fühlt sich das mit Sicherheit noch einmal deutlich packender an als für den Rest der Welt, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelebt hat. Für alle anderen geht die politische Metapher so oder so zur Hälfte des Films verloren, sodass unterm Strich noch immer ein solider Schocker bleibt, der sich in der zweiten Hälfte nicht mehr ganz so intensiv anfühlt, aber keinerlei Langeweile aufkommen lässt.
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